»Sandra?«
Die junge Frau drehte den Kopf und sah Martin unwillig an. »Was gibt es denn? Müssen wir schon wieder eine Pause machen?«
»Nein, keine Pause. Aber wir sollten dort vorne rechts abbiegen.«
»Warum? Kennst du dich auf einmal hier aus?«
»Nenn es meinetwegen ein Gefühl, aber lass uns dort vorne in die Seitenstraße gehen. Bitte.«
Sandra blieb abrupt stehen. »Kannst oder willst du mir nicht sagen, was dort vorne ist?«
»Ich kann es nicht.«
»Und warum sollte ich deinem Wunsch dann nachkommen, hm?«
»Weil …, weil …, weil es richtig ist. Vertrau mir bitte einfach.«
In Stephans Blick war zu sehen, dass er seine Chance witterte, den »Junkie« endlich loszuwerden: »Wenn er meint, dann lass ihn doch. Vielleicht hat er ja gerade wirklich einen lichten Moment.«
Sandra schien hin- und hergerissen zu sein. Schließlich gab sie sich einen Ruck. »Also gut, wir schauen nach. Aber wenn uns das nur Zeit kostet, trete ich dir in den Arsch, mein Lieber.«
*
Die Seitenstraße lag verlassen da, so wie die anderen Straßen auch, durch die sie gekommen waren. Nicht ein Untoter ließ sich blicken, und auch sonst bewegte sich rein gar nichts.
»Und?« Sandra schaute Martin herausfordernd an. »War’s das? Können wir weiter?«
»Einen Moment noch bitte.«
Tom, wo müssen wir suchen?
Melanie sagt,sie müssen in dem kleinen Haus dort vorne sein. Das mit den hellblauen Wänden.
»Das Haus mit den hellblauen Wänden. Dort müssen wir hin.«
»Willst du mich verarschen?« Sandras Augen schienen förmlich Blitze zu versprühen. »Hier ist nichts, das siehst du doch selbst. Oder vernebelt dir der Turkey schon so die Birne, dass du rosa Elefanten tanzen siehst?«
»Lass uns bitte in dieses Haus gehen. Wenn dort nichts ist, darfst du mit mir alles machen, was du möchtest.«
»Vielleicht will ich ja gar nichts mit dir machen, sondern einfach nur zusehen, dass wir endlich weiterkommen?«
»Diese Diskussion kostet auch nur Zeit«, mischte sich nun Patrick ein. »Wir sind seinem Wunsch schon gefolgt und in diese Seitenstraße eingebogen, also können wir auch noch kurz nachsehen, was es mit diesem Haus auf sich hat. Auf die paar Minuten kommt es nun wirklich nicht mehr an.«
»Also gut«, stimmte Sandra mit säuerlicher Miene zu. »Dieses Haus noch, aber dann gehen wir weiter Richtung Ortsrand.«
Kurz darauf drückte Sandra gegen die Tür des Gebäudes, diese ließ sich aber nicht öffnen.
»Du bist dran«, sagte sie an Stephan gewandt. »Aufmachen!«
Dieser ließ sich nicht zweimal bitten und trat mit Wucht gegen die Seite der Tür, an der die Angeln waren. Weitere zwei Tritte später rissen diese aus dem Holz, und das Türblatt ließ sich mit ein wenig Mühe vollends zur Seite drücken.
»Bitteschön!« Stephan verbeugte sich galant und wirbelte dabei mit der Hand in der Luft herum.
Sandra schien die Geste jedoch kein bisschen zu beeindrucken. Wortlos ging sie an ihm vorbei und betrat den kleinen Windfang. Dann erstarrte sie plötzlich und hatte im gleichen Moment ihre Pistole in der Hand.
»Ist da jemand?« Ein zaghaftes Stimmchen klang durch die Glastür, die den Windfang nach innen abschloss.
In Sandras Gesicht spiegelte sich Überraschung. Sie überwand diese jedoch schnell und drückte beherzt die Türklinke nach unten.
Vor ihr stand ein Mädchen von vielleicht acht oder neun Jahren. Sie hatte ein zart geschnittenes Gesicht, und ihre langen blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst.
Jetzt drehte sie den Kopf zu Seite und rief: »Alles klar, ihr könnt kommen. Es sind keine Knirscher.«
Kapitel VI - Unterricht
Langsam schälten sich drei kleine Gestalten aus dem Halbdunkel des Hausflurs und traten neben das blonde Mädchen.
»Ich heiße Jessica«, stelle sie sich nun vor, dann zeigte sie auf einen etwa zwölfjährigen Jungen mit hellbraunen Haaren und Sommersprossen. »Und das ist mein Bruder Mark.«
Der Junge nickte freundlich, und Jessica fuhr fort: »Miriam und Regina waren unsere Nachbarn, bevor unsere Eltern sich verwandelten. Jetzt wohnen sie bei uns.«
Auch ohne Jessicas Hinweis war sofort klar, dass es sich bei den beiden Mädchen um Schwestern handeln musste. Sie mochten in etwa 12 und 14 Jahre alt sein, hatten beide lange schwarze Haare, und ihre Gesichtszüge glichen sich wie ein Ei dem anderen.
»Habt ihr denn keine Angst?« Sandra klang verwundert. »Schließlich sind wir Fremde und könnten euch Gott weiß was antun.«
»Ihr seid anständige Menschen, das spüren wir. Bis auf den da vielleicht.«
Bei den letzten Worten zeigte Jessica auf Stephan, der bislang einfach nur dagestanden und das Mädchen angestarrt hatte.
»Stephan ist schon in Ordnung. Er hat mehr als einmal unter Beweis gestellt, dass er sich gegen die Zombies zu wehren weiß. Was dagegen, wenn wir reinkommen?«
*
Kurz darauf saßen oder standen alle in dem überraschend geräumigen Wohnzimmer des Hauses. Patrick hatte es übernommen, sich und den Rest der Gruppe vorzustellen.
»Wie konntet ihr euch bislang schützen?«, wollte Sandra wissen. »Ihr scheint gar keine Angst zu haben.«
»Ich vermute, wir hatten bislang einfach Glück.« Mark, der nun für die vier Kinder sprach, zuckte mit den Schultern. »Sie haben uns in Ruhe gelassen, und wir haben sie nicht gefragt warum.«
Martin konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Junge log. Egal wie man es auch anstellen mochte, aber es war schlicht und ergreifend einfach nicht möglich, jeglichen Kontakt mit den Untoten zu vermeiden. Selbst Stephan in seinem abgelegenen Haus hatte irgendwann »Besuch« bekommen – zumindest hatte er das so erzählt.
Für einen Moment kämpfte Martin gegen die Übelkeit, die in ihm hochkam, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er schaute Mark noch einmal genauer an und entdeckte dabei, dass dieser verstohlene Blicke mit Tom wechselte.
Natürlich, das musste es sein! Diese Kinder hier verfügten ebenfalls über Fähigkeiten! Und vermutlich war Tom so schlau gewesen, sie davor zu warnen, sich Sandra zu offenbaren. Daher die ausweichenden Antworten des Jungen.
Martin nahm sich vor, Tom bei Gelegenheit danach zu fragen. Jetzt musste er zuerst einmal zusehen, dass er das Klo erreichte, bevor er die ganze Bude vollreiherte.
*
»Geht es wieder?«
Martin hing über der Kloschüssel und hatte gar nicht bemerkt, dass Patrick ihm gefolgt war. Bevor er dem Pfarrer antworten konnte, verkrampfte sich sein Magen erneut. Ein schleimiger grün-gelber Faden kam aus seinem Mund. Dieser war bitter und stank. Ein Rest Magensäure war alles, was sich noch in Martins Bauch befand, und selbst das würde nicht mehr lange der Fall sein, wenn es noch ein wenig so weiterging.
Nachdem sich Martin sicher war, dass sein Körper nicht länger rebellierte, erhob er sich wieder. Seine Beine fühlten sich wackelig an, und seine Hände zitterten.
»Hier.« Patrick streckte ihm ein Glas Wasser entgegen. »Aber nimm kleine Schlucke, sonst geht es gleich wieder los.«
Martin nickte und nahm das Glas entgegen. Wie Patrick es ihm geraten hatte, nippte er vorsichtig daran.
»Es ist ein Wunder, dass