Mordgelüste in der Schlossklinik Buchenhain. Herbert Seibold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Herbert Seibold
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Юриспруденция, право
Год издания: 0
isbn: 9783957448330
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Mitarbeitern die Befunde und die Differenzialdiagnosen. Doktor Muniel hob leicht die Decke an und wollte doch wieder zuhören. Das beruhigte ihn aber auch nicht – er zitterte jetzt sogar. Muniel murmelte unüberhörbare, aber unverständliche Sätze.

      „Halluziniert der?“, mokierte sich Pfleger Mario hinter vorgehaltener Hand. Der Geschäftsführer streckte jetzt den Kopf wieder ganz aus der Decke. In den Gesichtern konnte er nichts Erhellendes lesen. Vielleicht wirkten sie jetzt eher verstört. Sie spürten wohl seine aufkommende Wut.

      „Es ist zum Kotzen“, hörten ihn jetzt die Vorderen. „Hat mir jemand ein falsches Medikament gegeben?“

      Professor Pfeiferlich runzelte bedenklich die Stirn und unterbrach seine erklärenden Worte. Er fühlte sich sichtlich unbehaglich und unsicher und das bei seiner Chefvisite!

      Doktor Muniel setzte noch eins drauf, als er jetzt laut losbrüllte: „Herr Professor Pfeiferlich! Reden wir ab jetzt Klartext.“ Seine Stimme klang wie gewohnt unangenehm kalt und hart. Seine Augen starrten dabei ins Leere. Das Knistern und Rascheln der Akten verstummte unmittelbar. Nichts war zu hören außer seiner eigenen Eisesstimme: „Ich bin wohl das, was Sie einen komplizierten Fall nennen. Nichts für ein Provinzkrankenhaus. Ich sehe hier vor mir nur ein Kaleidoskop des Schreckens. Oder haben Sie etwa wie das berühmte blinde Huhn schon des Rätsels Lösung meines ‚Falles‘ gefunden? Wollen Sie wirklich wochenlang nutzlose und kostspielige Untersuchungen bei mir durchführen und mich am Ende dann doch moribund in die Universitätsklinik verlegen? Kommt gar nicht infrage!“

      „Herr Doktor Muniel“, erwiderte der Chefarzt der Inneren Abteilung mit dem Schwerpunkt Magen-Darm- und Lebererkrankungen und straffte demonstrativ den Rücken: „Lassen Sie mich zuerst etwas prüfen. Geben Sie mir bitte Ihre Hand.“ Er ergriff Muniels Hand und überstreckte sein Handgelenk. In einem flatternden Rhythmus bewegte es sich.

      „Was ist das, Doktor Gscheidle?“

      „Flapping tremor, Herr Professor“, kam es wie aus der Pistole geschossen. „Ein Zeichen von Leberversagen.“

      „Richtig, mein kluger Schwabe“, kommentierte der Chefarzt, sich zu seinen anderen Assistenten umdrehend. Er fuhr zu Doktor Muniel gewandt fort: „Der Wunsch des Patienten ist immer unser oberstes Gebot. Wir Ärzte können und müssen uns in andere Menschen hineinversetzen, anders, als wir es von gewissen Bürokraten, nicht nur bei den Behörden und den Politikern, gewohnt sind.“ Der Chefarzt verzog dabei keine Miene. Er wirkte jetzt wie eine Führungskraft, die keinen Widerspruch duldete, aber auch ein wenig gekränkt.

      Kurt Muniel hingegen zuckte kurz zusammen, hob die Augenbrauen, schwieg aber, so überrascht war er ob der versteckten Unverschämtheit.

      Der Chefarzt fuhr fort: „Zugegeben, auch ich würde nicht so gern im eigenen Krankenhaus behandelt werden. Sie haben ja vor Ihrem Studium der Betriebswirtschaft ebenfalls Medizin studiert, sodass wir jetzt ganz wie unter uns Pfarrerstöchtern sprechen können. Sie leiden an einer seltsamen und sehr ungewöhnlichen Lebererkrankung. Nach dem Ultraschallbefund, auf dem ich unspezifische Veränderungen mit lokalen Fettansammlungen in den Leberzellen und Verdichtungen sah, deren Ursprung länger zurückliegen dürfte, kommen mehrere Differenzialdiagnosen in Betracht. Die Befunde der Blutuntersuchung legen eine infektiöse Hepatitis C nahe. Aber wegen der Unwahrscheinlichkeit einer Ansteckung durch Hepatitis-Viren – Sie geben ja niemandem die Hand – und da Sie auch keine Blutübertragungen bekommen haben, ziehe ich eine weite Palette von Möglichkeiten in Betracht, selbst eine Vergiftung mit toxischen Substanzen ist möglich. Ihre Gereiztheit – Ihre heute besonders heftige Gereiztheit – und die extreme Müdigkeit haben mit einem drohenden Leberversagen zu tun. Der Ammoniakgehalt im Blut war stark erhöht, weil die Leber die Substanz verzögert in Harnstoff umwandelte. Mein Privatassistent hier Doktor Gscheidle aus Ulm kam vor zwei Tagen zu mir und sprach von einem ‚Läbergeruch‘. Sie waren kurz vor einem Leberversagen. Deshalb die speziellen Infusionen am Arm. Es scheint mit Ihnen aber objektiv aufwärtszugehen, die erhöhten Leberwerte im Blut gehen schon zurück. Alles wird wahrscheinlich gut. Um auf Ihr Anliegen zurückzukommen: Wenn Sie einverstanden sind, verlege ich Sie zu meinem Kollegen und Freund an der Universität Frankfurt am Main, Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Prätorius, einem exzellenten Leberspezialisten von internationalem Ruf. Ich würde Ihnen dringend raten, dort in Frankfurt eine Leberpunktion machen zu lassen.“ Professor Pfeiferlich hielt einen Moment inne. „Obwohl die minimale Verweildauer weit unterschritten ist, was ja – das brauche ich Ihnen nicht zu erklären – vom Standpunkt der Verwaltung ökonomisch schlecht ist, machen wir das für Sie.“

      Doktor Muniel hatte bei der Erwähnung der unökonomischen Verweildauer sichtbar mit den Mundwinkeln gezuckt. „Danke Ihnen, Herr Professor Doktor Pfeiferlich. Ich behaupte ja nicht, dass die Ärzte hier alle Pfeifen sind, besonders nicht Sie, Herr Professor, und Ihr Oberarzt Doktor von Risseck. Mit Aussicht auf Verlegung ist mir aber viel wohler, weil ich einfach Angst habe, dass meine Erkrankung, weil so komplex, die Möglichkeiten des Hauses übersteigen könnte.“

      Der Assistent Doktor Gscheidle aus Ulm grinste jetzt amüsiert, verdrehte die Augen und schaute zur Decke. Muniel verschwieg ihnen, dass er den Medizinern, wie er die Ärzte nannte, misstraute, weil er ja – das realisierte er sehr wohl, trotz seines leicht benebelten Gehirns – so unbeliebt war und manche ihm sogar den Tod wünschen könnten.

      Am nächsten Tag wurde der Patient in deutlich besserem Zustand in die Uniklinik verlegt, womit auch dem Chef der Inneren Abteilung ein kleiner Stein vom Herzen fiel. Zurück ließ er nachdenkliche und bei einigen Mitarbeitern auch zufriedene Gesichter. Kurt Muniel war alles andere als ein leichter Patient. Als Mensch schwierig, als Diagnose eine harte Nuss.

      „Den sind wir vorerst los“, brummte der Pfleger Mario, der immer aussprach, was andere nur dachten. Er wünschte dem Geschäftsführer wirklich nicht die Genesung. Mit seinem Freund und Kollegen Odoku, dem Sohn eines Zauberers aus Kamerun, hatte er sich schon einen Voodoo-Zauber ausgedacht. Tief in der Nacht legte er eine tote Katze mit heraushängender Leber vor das Gartentor der Muniel’schen Villa! Der finstere Groll gegen den Geschäftsführer steckte wohl ganz tief in ihm. Er glaubte auch, dass er sich damit in guter Gesellschaft mit gar nicht so wenigen anderen Mitarbeitern befand.

       Acht Monate zuvor: Im Verwaltungsschlösschen des Klinikums

      Doktor Kurt Muniel reckte sich in seinem Sessel und versuchte sich zu entspannen. Er hatte auch heute, wie seit Tagen, nicht seinen besten Tag. Wenn er sich mit seinen Zahlen quälte, war er sonst eher glücklich. Das war immer seine größte Stärke – gewesen. Aber jetzt hatte er – das war für ihn neu – so richtig Angst. Grundlos? Er hatte vor zwei Wochen sein nachhaltiges strategisches Konzept in der Klinik Buchenhain vorgestellt und damit durchgesetzt, dass Patienten nach der mittleren Verweildauer entweder nach Hause oder in andere Kliniken entlassen werden mussten, wenn die interne Verlegung in die Geriatrie mit seiner abrechnungstechnisch günstigen „Frühkomplexbehandlung“ nicht möglich war. Eine Kalkulation nach Maß, wie er mit strengem Gesichtsausdruck bekannt gab. Sie seien wie auf rauer See alle in einem Boot.

      In dreißig Minuten hatte er eine Betriebsversammlung angesetzt, für die er seine Gedanken ordnen musste. Da schellte das Telefon. „Ja, Muniel?“ Es war seine Frau, die wieder einmal Geld für die Putzfrau und einen größeren Betrag für den Gärtner brauchte. „Was soll das? Hat das denn nicht Zeit bis heute Abend? Ich habe dir doch gestern Abend schon dreihundert Euro dafür gegeben. Ich hab jetzt keine Zeit.“ Er knallte den Hörer auf und stöhnte. Die Sekretärin hatte gerade die Tür einen Spalt geöffnet und wegen der dicken Luft sofort wieder geschlossen. Dabei war diese Störung noch harmlos, verglichen mit den unerwarteten Ereignissen nach der Versammlung.

      Es traf ihn wie ein Schock, als er nach seiner großen Rede in der Betriebsversammlung am Vormittag dieses 15. März leichten Schrittes und wie durch ein Wunder – dank der gelungenen Rede – ausnahmsweise gut gelaunt in sein Büro trat. Er stockte. „Frau von Hess, was ist denn hier los? Warum ist es hier so kalt? Wer hat denn wieder das Fenster offen gelassen – war diese schreckliche Putzfrau mit ihren giftigen Putzmitteln schon da?“ Die Nacht zuvor war ungewöhnlich kalt gewesen, während