Mordgelüste in der Schlossklinik Buchenhain. Herbert Seibold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Herbert Seibold
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Юриспруденция, право
Год издания: 0
isbn: 9783957448330
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zum wahrscheinlichen Tathergang auf. „Der potentielle Mörder muss Herrn Muniel zuerst betäubt, am ehesten mit K.-o.-Tropfen, und dann versucht haben, ihn mit einer Spritze zu töten. Er hat das Zimmer verlassen, bevor der Oberarzt von Risseck ins Zimmer kam. Aber bringt uns das weiter? Wer ist diese Person? Dieser Doktor Gscheidle hat ja in unglaublicher Weise sofort das richtige Tötungsmittel vermutet. Der war gestern in Frankfurt auf einer Fortbildung. Ein Elektroencephalogramm des Gehirns von Muniel ist schon von Risseck angeordnet und vom Neurologen durchgeführt und bewertet worden. Es zeigt nur geringe Allgemeinveränderungen, sodass wohl kein schwerwiegender langzeitiger Sauerstoffmangel des Gehirns bestanden hat. Die Reanimation ist dank eines glücklichen Zufalls und der Kompetenz des Oberarztes gerade noch rechtzeitig erfolgt. Das ist positiv zu werten und kann auch auf die rechte Seite der Tafel gesetzt werden. Der Gedächtnisverlust um und vor dem Herzstillstand ist ein unbekannter Faktor und vorwiegend durch die wahrscheinliche Einnahme von K.-o.-Tropfen zu erklären. Welche Resterinnerungen hat Doktor Muniel, bevor er betäubt wurde und das Bewusstsein ganz verlor? Vielleicht ist das Gedächtnis um die Zeit des Herzstillstandes nur reversibel verschwunden und durch raffinierte Methoden wiederherzustellen.“ Joe dozierte jetzt ein wenig: „Fachchinesisch nennen die das ja anterograde Amnesie. Das weiß man als Kriminologe auch ohne Medizinausbildung, Gertrude!“

      Die errötete leicht, sagte aber nichts darauf.

      Joe fuhr fort: „Vielleicht kann man in der neurologischen Frührehabilitation, unter anderem durch Hypnose und das Nachstellen von Szenen und Bildern, unbewusste Inhalte wieder bewusst machen. In Washington haben die uns mal so einen Fall vorgespielt.“

      Gertrude hing an seinen Lippen, obwohl sie manchmal genervt war, wenn Joe zu lange dozierte.

      „Zum Thema Wiedererinnern gibt es angeblich sogar Studien an Freiwilligen mit vorgeführten Videosequenzen, vorwiegend Schreckensszenen wie brutale Vergewaltigungen. Vorher hatten die Probanden eine Kurznarkose mit Midazolam, wie es in K.-o.-Tropfen vorkommt, bekommen. Unmittelbar nach dem Abspielen der Szenen waren die Schreckensbilder wegen des Betäubungsmittels völlig aus der Erinnerung gelöscht. Nach mehreren Wiederholungen konnten plötzlich doch Bilder wiedererkannt werden. Angeblich gibt es auf diesem Gebiet auch Filme aus Guantanamo. Ich habe große Hoffnung, dass bei Muniel zumindest eine vage Erinnerung zurückkommt und wir eine klarere Spur und eine Person mit Gesicht verfolgen können“, tröstete Joe Moser sich und das Team. „Die Spurenauswertung an Muniels Körper wird nicht viel bringen, weil durch das Reanimationsteam viele Spuren beseitigt wurden.“ Joe wandte sich an seine Kollegin: „Gertrude, als du vorhin mit dem Toxikologen bei Muniel warst, hat dir da der Mai eine Einstichstelle gezeigt?“

      Sie nickte. „Ja, glücklicherweise waren die Ellenbeugen frei von Pflastern und Kanülen. Die Intensivmediziner legen – das weiß sogar ich – sogenannte zentrale Zugänge in die Halsvenen oder Schlüsselbeinvenen.“ Für einen kurzen Augenblick wurde sie blass.

      „Was ist?“

      „Ach, nichts! Ich erinnere mich nur an einen Fall, bei dem ein Mörder den Schlauch des Venenkatheters abgeschraubt hat. Der Patient war vorher wieder auf Normalstation verlegt worden. Der Mörder – es war in diesem Fall ein Pfleger auf Normalstation – kannte sich genau aus. Er hat den Oberkörper im Bett hochgestellt, sodass der Venendruck unter dem Luftdruck lag. Die Folge war – susch – ein Sauggeräusch, so der Pathologe, also eine tödliche Luftembolie. Ich war bei der Obduktion dabei. Unter Wasser sprudelte Luft aus dem Herzen. Mir wird jetzt noch ganz anders.“

      Joe verzog den Mund und fragte: „Könnte das auch hier passieren?“

      „Ja.“

      „Ein grausiges Szenario in der Nacht, wenn der Mörder ein Intensivpfleger wäre und allein bei Muniel stünde.“

      Gertrude nickte zustimmend. „Dann sollten wir auf strenge Videoüberwachung des Intensivzimmers bestehen.“

      Er seufzte und wirkte in diesem Moment etwas rat- und hilflos. Gertrude hätte ihn am liebsten in den Arm genommen. Sie traute sich aber nicht. Stattdessen rückte sie mit einer weiteren Information heraus: „Doktor Mai hat noch mit der Nadel und einer kleinen Schere ein Stückchen Haut von der kaum sichtbaren Injektionsstelle am Arm entfernt und ins Gläschen befördert. Als ich wissen wollte, was das soll, hat er erklärt, so könne er nach erhöhtem Kaliumgehalt im Gewebe suchen und nach fremder DNA auf der Haut forschen.“ Sie warf Joe einen verschwörerischen Blick zu.

      „Sehr gut – dann haben wir vielleicht nicht nur an einer Tasse mögliche Fingerabdrücke. Noch ein positiver Punkt für die rechte Seite des Flipcharts.“

      „Joe, soll ich mit Oberarzt von Risseck sprechen und ihn bitten, einer verstärkten polizeilichen Überwachung für Muniel auf der Intensiven zuzustimmen? Ein Video zur Überwachungszentrale läuft ja eh auf Intensivstationen.“

      Er zog die Stirn kraus. „Lass mich nachdenken. Ja, wir brauchen nicht nur eine Videoüberwachung, sondern auch Sender und Sensoren unter dem Nachthemd. Gertrude, morgen ist ein sehr intensiver Tag. Wir müssen auch noch Mundabstriche der Mitarbeiter abnehmen lassen und die meisten befragen.“

      „Die armen Labormäuse – auf die kommt eine Menge Arbeit zu“, seufzte Gertrude und Joe fragte sich, ob sie wirklich Mitleid mit den Kollegen von der Spurensicherung hatte oder ob das nur einer ihrer ironischen Kommentare war.

      „Bitte ruf doch noch mal bei der Spurensicherung an und sag denen, dass sie sich vorerst nur auf die Ärzte, Pfleger und Vollschwestern konzentrieren sollen, die laut Arbeitsvertrag Blut abnehmen dürfen. Der Hauptwachmeister soll dafür von der Pflegedienstleitung die Namen der Personen erfragen, die eine Vene punktieren können. So ist eine Einengung auf wenige verdächtige Personen möglich.“

      Gertrude schaute ihn kurz an und gab dann zu bedenken: „Dann wäre ja auch die Frau des Verwaltungsdirektors, die sich noch nicht gemeldet hat, verdächtig; die hat zwar nur Pharmazie studiert, weiß aber vielleicht von Praktika in Krankenhäusern, wie man Spritzen setzt. Mit der werde ich mich dann auch noch unterhalten müssen, obwohl sie prima vista als Verdächtige nicht infrage kommt. Eher, wenn es um Gift geht, da sie ja Apothekerin ist. Oder hat sie jemanden angeheuert? Sie ist auf jeden Fall noch nicht von der Liste der verdächtigen Personen zu streichen.“

      Joe horchte auf. „Richtig, wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen und in Muniels Vergangenheit wühlen. Hatte der Herr Geschäftsführer Frauengeschichten? Auch das sollten wir prüfen. Gibt es eine frühere Geliebte oder mehrere, die er gedemütigt und gekränkt hat? Getäuschte Frauen können gnadenlos sein.“

      „Genau“, entgegnete Gertrude lächelnd und ergänzte kryptisch: „Oft spielen Zufälle und gekränkte Gefühle eine große Rolle.“ Sie schien sich in solchen Dingen wie Eifersucht und Kränkung auszukennen.

      Joe gab ihr die Hand und verabschiedete sich mit den Worten: „Nur eines ist sicher: Ein Raubmordversuch scheidet aus, weil nichts im Büro fehlt und die Geldbörse im abgeschlossenen Schrank gefunden wurde. Und noch eins: Keine Information an die Journaille.“

      Wie immer am Anfang der Ermittlungen fühlte sich Joe wie ein Stier, der die Hörner senkt. Er war bereit! Bevor er nach Hause ging, meldete sich heulend die Ehefrau und berichtete, dass sie wie jede Woche in Frankfurt bei einem Auffrischungskurs in Pharmakologie gewesen und soeben zurückgekehrt sei. Das wisse der Kurt doch, der habe sie gerade sogar wiedererkannt.

       Ermittlungen: Ist es ein Mitarbeiter der Klinik?

      „Herr Doktor Freund, ich grüße Sie. Haben Sie einen jüngeren Bruder Severin, der zurzeit beim Skispringen Deutschlands Champion ist?“

      „Nein, Herr Hauptkommissar, wieso denn das? Ich sehe zwar sportlich aus, aber Skispringen ist nicht mein Ding – immer schön auf dem Boden bleiben, sonst fällt man zu tief.“

      Joe Moser lächelte über diese coole Argumentation. „Entschuldigen Sie, d’accord, auch ich hebe selten ab! Wie lange arbeiten Sie schon in diesem Klinikum?“

      „Oh, schon lange! Fünf Jahre. Bin ich deswegen