Er hatte das Ende der Kurve erreicht, vor ihm lag in geringer Entfernung – der Bahnhof! Die Lokomotive pfiff laut und vernehmlich, als er das hintere Ende des Zuges erreicht hatte und er fragte sich, ob der Zug jetzt wohl ohne ihn gefahren wäre.
Er wischte sich mit dem Taschentuch sorgfältig das Gesicht, klopfte seinen Anzug ab und stieg auf den Bahnsteig hinauf. Der Schaffner stand in der Mitte des Zuges und hielt nach der Straße hin Ausschau. Der Reisende ging an ihm vorüber und grüßte höflich. Es war 20 Minuten über die Zeit. Der Schaffner musterte ihn und brachte seine Sorge über sein langes Fernbleiben zum Ausdruck. Der Reisende entschuldigte sich für die Verspätung, aber dies sei wirklich ein ganz reizender und interessanter Ort.
DIE BEGEGNUNG
Zwischen den Bäumen war der Boden weich von abgefallenen Nadeln und Moos. Überall glänzte Feuchtigkeit. Durch den Nebel sah der Wanderer die Stämme schon in geringer Entfernung nur noch undeutlich, weiter hinten verloren sie sich ganz in der hellgrauen Wand des Nebels, ebenso wie die Baumkronen über ihm.
Den Weg hatte er schon lange verloren. Er ging zwischen den Bäumen dahin, über den weichen, feuchten Boden. Die Nässe drang langsam in seine Schuhe ein. Den Kragen hatte er hochgeschlagen, die Hände tief in die Taschen seiner Jacke vergraben. Er begann zu frösteln.
Er wusste nicht wo er war, noch wo er sich hinwenden sollte. Er ging immer geradeaus weiter, so schnell, wie es der unwegsame Boden zuließ. Irgendwann musste er auf einen Weg treffen. Es war schon spät, jetzt, im Spätherbst kam die Dämmerung früh, sie würde nicht mehr lange ausbleiben. Bis dahin musste er aus diesem Wald heraus sein. Er hatte sich noch nie in seinem Leben verirrt. Er konnte nicht verstehen, wann und wo er den Weg verloren hatte.
Der Nebel wurde noch dichter, oder schien es ihm nur so, als er plötzlich einen schwachen Lichtschein wahrnahm. Er glaubte zunächst, sich getäuscht zu haben, doch schon nach wenigen Schritten sah er das Licht ganz deutlich. Der warme Schein einer Lampe fiel durch das Fenster eines Hauses ins Freie. Es war ein kleines, einstöckiges Haus, das mitten im Wald auf einer kleinen Lichtung stand. Wäre nicht der Lichtschein gewesen, man hätte es im Nebel übersehen können, wenn man nicht unmittelbar daran vorüberkam.
Der Verirrte blieb vor der Tür des Hauses stehen. Es war eine einfache Holztür, kein Namensschild verriet etwas über die Bewohner. Auch fehlten Briefkasten, Klingel oder Türklopfer. Wie seltsam, wer mochte hier wohnen? Dass jemand hier wohnte stand fest, das brennende Licht verriet es.
Noch zögerte er. Hier konnte man ihm sicher den richtigen Weg weisen. So klopfte er an. Drinnen war nichts zu hören. Was sollte er tun? Er wartete, klopfte noch einmal. Wieder keine Antwort. Vielleicht war doch niemand zu Hause, das Licht nur vergessen worden. Er beschloss, zur anderen Seite, zum Fenster zu gehen, als drinnen jemand »Herein« sagte. Er öffnete, trat ein und schloss die Tür wieder.
Er stand in einem Raum mit einfachem Holzfußboden, die Wände waren ebenfalls aus Holz. Alte Möbel standen an den Wänden. Ein Sofa, Schränke, Kommoden.
Der Besucher musste seine Brille abnehmen, da sie in der plötzlichen Wärme beschlagen war. Mehrere Petroleumlampen an verschiedenen Stellen tauchten den ganzen Raum in ein helles Licht.
In der Mitte des Zimmers stand ein großer Tisch, an dem ein alter Mann bei der Arbeit saß, von der er aufsah und seinen Gast erstaunt anblickte.
»Nanu? Besuch?«, fragte er.
Der Verirrte, der das Gefühl hatte zu stören, drehte etwas verlegen die Brille in der Hand und erklärte, dass er sich verlaufen habe. Angelockt durch das Licht habe er hier angeklopft, um nach dem Weg zu fragen.
»Das Licht?«, fragte der Bewohner des Hauses und sah zum Fenster. »Oh, ich habe wahrhaftig vergessen, die Läden zu schließen.«
Der alte Mann öffnete das Fenster, neigte sich nach draußen, schloss die Fensterläden und ging dann wieder zum Tisch, setzte sich aber nicht mehr und sagte: »Verirrt haben Sie sich? Das kommt vor.«
»Bis jetzt ist mir das noch nie passiert. Es muss am Nebel liegen.«
»Möglich. Da Sie nun schon einmal hier sind, trinken Sie eine Tasse Tee mit mir. Sie machen einen erfrorenen Eindruck.«
»Ja, es ist recht kalt draußen.«
»Wahrhaftig?«
Der alte Mann ging zu einem Herd in der Ecke, während sein Besucher die Jacke auszog und die Brille wieder aufsetzte. Es war ein großer, alter Herd, in dem Holzscheite knisterten und der den Raum gleichzeitig heizte. Der alte Mann goss aus einer großen Kanne Wasser in einen Kessel und setzte ihn auf den Herd.
Der Besucher betrachtete den Raum jetzt genauer. Überall herrschte Unordnung. Hausrat, Werkzeuge, Holzteile und hölzerne Masken lagen herum.
»Sie müssen die Unordnung entschuldigen«, sagte der alte Mann, als hätte er die Gedanken seines Gastes gelesen, »aber ich hatte wirklich nicht mit Besuch gerechnet.«
»Aber ich bitte Sie, ich muss mich für mein Eindringen entschuldigen.«
Der alte Mann brachte eine altmodische Porzellankanne mit zwei Tassen, Löffeln und Zucker zum Tisch. Er sagte: »Ich muss noch irgendwo etwas Rum haben, das wärmt«, und begann, in einer Kommode herumzusuchen, in der es ebenso unordentlich war, wie im Zimmer selbst. »Ich muss wirklich gelegentlich einmal wieder aufräumen.«
Der alte Mann fand die gesuchte Flasche, stellte sie auf den Tisch, warf einen Blick in die Teekanne und sagte: »Er muss noch etwas ziehen … aber bitte, nehmen Sie doch Platz. … oh Entschuldigung.« Er entfernte zwei der hölzernen Masken, die offenbar noch nicht ganz fertig waren, von einem Stuhl am Tisch. Auf allen Stühlen des Zimmers, selbst auf dem Sofa lagen Gegenstände.
Der verirrte Wanderer dankte und setzte sich. Der große Tisch war übersät mit verschiedenen Messern, Holzteilen und Spänen. Der Besucher nahm eine der hölzernen Masken in die Hand.
»Sie gefällt Ihnen?«, fragte der alte Mann und deutete auf die Maske.
»Ja, sehr gut. Sie haben sie selbst gemacht?«
»Ja, ich schnitze Masken.«
»Das ist sicher sehr interessant.«
»Ja, und notwendig. Fast alle Menschen brauchen eine Maske. Leider ist das so.«
Der Besucher fühlte sich langsam unwohl mit diesem wunderlichen Alten und wäre am liebsten gegangen, doch der alte Mann hatte inzwischen die beiden Tassen vollgeschenkt und seinem Gast Zucker und Rum hingeschoben. Dieser dankte, bediente sich und nippte in kleinen Schlucken an dem heißen Getränk, auf diese Weise auch eine Konversation umgehend, da er nicht wusste, was er sagen sollte.
»Ja, ja«, nahm der alte Mann nach einer Weile seinen Satz von vorhin wieder auf, »dabei hätten die Menschen es viel leichter, wenn sie mit ihrem wahren Gesicht leben würden, wenn sie einfach so wären, wie sie wirklich sind. Aber das will fast keiner. Sie leben alle hinter einer Maske, die meisten sogar hinter verschiedenen Masken. Sie könnten nicht mehr existieren, nähme man ihnen ihre Maske weg.«
»Tatsächlich?«, fragte der verirrte Gast, nur um etwas zu sagen, da der alte Mann eine Pause machte.
»Aber ja. Oder haben Sie das bei sich selbst noch nicht festgestellt? Allerdings – dass sie hinter einer Maske leben, das ist den wenigsten Menschen bewusst, oder sie wollen es sich nicht eingestehen.«
Der alte Mann trank zum ersten Mal von seinem Tee, während die Tasse seines Gastes fast leer war. Dieser fragte jetzt, und es war wieder nur eine Verlegenheitsbemerkung, über die er kaum nachdachte: »Und Sie verkaufen Ihre Masken hier in der Gegend?«
Der alte Mann sah ihn erstaunt an. »Verkaufen? Nun, das ist wohl nicht ganz der richtige Ausdruck. Ich sehe schon, Sie haben nicht ganz verstanden … aber Ihre Tasse ist leer. Möchten Sie noch einen Schluck?«
»Nein, vielen Dank, sehr liebenswürdig, aber ich muss dringend weiter, draußen ist es sicher