Attentat auf Honecker und andere Besondere Vorkommnisse. Jan Eik. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Eik
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783955522360
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persönlichen Beziehungen.

      Die 38-jährige Geschäftsfrau Sieglinde St. aus Stolzenhagen, um die er hartnäckig geworben hatte, kündigte ihm ein paar Tage vor Weihnachten an, die Beziehung zu ihm endgültig zu lösen. Eßling war verzweifelt und betrank sich sinnlos. Als der Schnaps alle war, griff er nach vergälltem Brennspiritus. Sogar von einem Suizidversuch ist die Rede. Ein guter Bekannter, den er in der Nacht zum 23. Dezember mehrfach anrief, riet ihm dringend, einen Arzt aufzusuchen.

      Ob Eßling am Silvestervormittag in seiner Werkstatt getrunken hatte, bevor er erneut bei Frau St. anrief und seinen Besuch ankündigte, ist ungewiss. Frau St. und ihre Mitarbeiter stießen gerade mit einem Glas Sekt auf den Feierabend an, und sie war nicht bereit, mit ihm zu reden. Als Eßling gegen 12.00 Uhr dennoch vor ihrem Haus aufkreuzte, drohte er: „Ich gehe jetzt rein und räume bei dir auf!“ Sieglinde St. blieb ruhig und sagte, er solle verschwinden. Zwanzig Minuten später war er wieder da, stieg aber diesmal nicht aus seinem Auto aus.

      Elf Jahre später erinnerte sich Frau St.: „Kann sein, dass er etwas getrunken hatte, besoffen war er jedenfalls nicht.“ Ausführlicher sprechen mochte sie über die alte Geschichte nicht mehr – zu sehr hatten sie damals die zahlreichen Verhöre durch die Stasi belastet. Die hatte sogar unterstellt, Sieglinde St. sei die „Stern“-Informantin gewesen und habe dafür ein Honorar von 30 000 Westmark kassiert. Das wollte jedenfalls der Berliner „Tagesspiegel“ nach dem Ende der DDR von ihr erfahren haben.

      Doch zurück zu jenem verhängnisvollen Silvestertag. Wahrscheinlich hatte Eßling zu diesem Zeitpunkt nur einen ersten Schluck aus der Flasche Goldbrand genommen, die er in den zwanzig Minuten zwischen seinen beiden Besuchen in Stolzenhagen im Wandlitzer Imbiss „Zum dicken Kurt“ gekauft hatte. Sein Frust über das abweisende Verhalten der Frau war möglicherweise der Auslöser für die späteren Ereignisse. Auf dem Beifahrersitz neben ihm lagen das Fernglas, das er immer bei sich hatte, und die Flasche Goldbrand, aus der er ungefähr 0,3 Liter getrunken hatte – also sieben bis acht „Doppelte“, was mit dem Blutalkohol-Untersuchungsergebnis übereinstimmt. Ein 23 Zentimeter langes Messer lag griffbereit im Fußraum des Autos. In Eßlings Gürtel steckte die 7,65-mm-Walther-Pistole, mit der er schon öfter Schießübungen veranstaltet hatte.

      In seiner Tasche trug Paul Eßling über 1000 Mark bei sich, dazu den Entwurf einer Heiratsannonce für die Zeitung „Wochenpost“: „Die 40 sind überschritten, die erste Ehe ist geschieden. Vater mit 16jährigem Sohn, nur 1,70 groß und auch keine Schönheit, kann auch nicht mit Hochschul-Abschluß glänzen und muß kräftig arbeiten, in schöner Gegend bei Berlin, ortsgebunden, überzeugter Nichtraucher, sucht hübsche, lebenserfahrene Frau, die bereit ist, sich anzupassen, so wie er es auch möchte. Fahrerlaubnis erwünscht, obwohl eigene vorhanden. Bitte Bildzuschriften …“

      Der erfolgreiche Handwerker träumte offenbar von einem neuen Leben. Doch seine Abhängigkeit vom Alkohol bestimmte seine Gegenwart. Ein Teufelskreis, aus dem er keinen Ausweg fand.

      Die Ermittler der Staatssicherheit stießen in Eßlings Haus und seiner Werkstatt überall auf leere Flaschen. Sechs Tage lang durchsuchten sie unter Aufsicht des Militärstaatsanwalts B. das gesamte Anwesen. Sie durchforschten selbst den Karpfenteich mit Detektorsonden. Die Ausbeute: ein rostiger Nagel.

      Ein Waffennarr mit Beziehungen

      Aussagekräftiger war, was man im Haus und unter dem Dach des großen Nebengebäudes fand. Kein Zweifel, der Mann, dem das alles gehört hatte, musste ein regelrechter Waffennarr gewesen sein! Über dem Kamin hing eine ganze Kollektion von Waffen: ein Florett, ein indischer Dolch, mehrere Waidmesser und eine Armbrust. Darüber hinaus besaß Paul Eßling eine französische Doppelflinte mit Zielfernrohr, Kaliber 16 x 24, dazu 617 Patronen, eine Büchsflinte der Firma C. Franz Keller aus Suhl, Kaliber 11.15 / 16 x 70, eine 8,8-mm-Scheibenbüchse mit gezogenem Lauf, sämtlich um die siebzig Jahre alt. Außerdem Kleinkaliberwaffen, zwei unbrauchbare Revolver, selbstgebaute Schalldämpfer, zwei Druckluftpistolen, insgesamt 1154 Schuss Munition und 360 leere Patronenhülsen. Das Beschlagnahmeprotokoll umfasste 164 Positionen. 31 Gegenstände wurden später auf Anweisung des Staatsanwalts vernichtet, 77 an die Erben zurückgegeben.

      Den Grundstock für diese Waffensammlung hatte schon Eßlings Vater, ehemals Blockleiter der NSDAP, gelegt und über die Wirren der Zeit versteckt gehalten. Aus dessen Besitz stammte auch die schlecht gepflegte „Selbstladepistole Cal. 7.65 Walthers-Patent Modell 4“, um 1915 von Carl Walther im thüringischen Zella St. Blasii gefertigt.

      Paul Eßling trug diese Pistole am Silvestertag nicht zum ersten Mal bei sich. Er liebte es, bewaffnet umherzufahren. Nach dem Suizid lag die Pistole mit nicht zurückgefahrenem Ladeschlitten als „Spur Nr. 3“ auf der Chaussee in Klosterfelde. Hatte Eßling vor dem tödlichen Schuss noch Zeit gefunden, eine Ladehemmung zu beseitigen? Die Patrone sprach dafür. Auch beim Probeschießen im Verlauf der waffentechnischen Untersuchung verklemmten sich immer wieder Patronen im Auswerferfenster der Waffe.

      Paul Eßling war nicht nur ein Waffenliebhaber, er wollte seine Waffen auch nutzen. Mit dem „führenden Repräsentanten“, in dessen Nähe er an jenem Silvestertag geriet, teilte er eine besondere Leidenschaft: Er war ein passionierter – um nicht zu sagen manischer – Jäger. Doch im Gegensatz zu dem hohen Würdenträger, der sich dafür riesige Waldgebiete reservierte, ließ man den eigenwilligen Handwerksmeister, dessen charakterliche Schwächen und dessen Neigung zum Alkohol bekannt waren, legal nie zum Schuss kommen. Wer in einer der rund 970 Jagdgesellschaften der DDR auf die Pirsch gehen wollte, musste über eine entsprechende „persönliche politische Eignung“ verfügen, denn geschossen wurde „unter der Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“. Die Jagdgesellschaft erzog „ihre Mitglieder zu aufrechten Kämpfern für den Sozialismus“, in ihren Lehrstunden nahm Staatsbürgerkunde mehr Raum als die Ausbildung an den Waffen ein. Doch Paul Eßling hatte mit seinem Staat nichts am Hut, er wollte nur schießen.

      Dass der ihm das edle Waidwerk vorenthielt, traf ihn tief. Nicht einmal die Politprominenz zweiter Garnitur, die zu seinem Kundenkreis zählte, vermochte ihm da zu helfen. In den Befragungsprotokollen der Staatssicherheit tauchten zahlreiche renommierte Namen auf. Über einen prominenten Autor ist nachzulesen, er habe Eßling zu Hause besucht und sei von dessen Bekannten K. nach Hause gefahren worden. Betroffen bestätigte der Schriftstellerkollege den Vorgang. Bis zu unserem Gespräch darüber hatte er nicht geahnt, dass ihn die flächendeckende Überwachung der Stasi mit dem „Honecker-Attentäter“ in Verbindung gebracht hatte.

      Paul Eßling baute seine Kamine auch in Häusern und „Datschen“ der Stasi-Oberen, unter anderem bei Markus Wolf, in mehreren Armee-Objekten und in den „Jagdhütten“ des Sportvereins Dynamo bei Groß-Schönebeck. Er war stolz auf seine Arbeit, die jeder schätzte. Ins Jagdkollektiv wurde er dennoch nicht aufgenommen. „Unsere Jagdgesellschaft ist durch Abtrennung eines Jagdgebiets an eine andere Jagdgesellschaft mit Jägern weit überfordert“, hieß es in einem von mehreren Ablehnungsschreiben auf seine wiederholten Aufnahmegesuche.

      Jene „andere Jagdgesellschaft“ hatte in der Schorfheide seit über hundert Jahren ihre eigene Tradition. Diese reichte von Kaiser Wilhelm über den „Reichsjägermeister“ Hermann Göring bis zu Erich Honecker und Genossen. Selbst als Paul Eßlings Munitionslieferant, der Diplom-Staatswissenschaftler K., der als „Versorger“ für die Waldsiedlung Wandlitz tätig war und ein Jahr nach dem Tod des Ofensetzers auf der F 109 in seiner Jagdhütte selbst Suizid beging, sich im angeblichen Auftrag von „General Wolf“ für den Möchtegern-Jäger einsetzte, half das nicht. General Günter Wolf, Chef der Hauptabteilung Personenschutz im MfS, zeichnete für den Butler-Service in der Waldsiedlung Wandlitz verantwortlich. Er hatte seinen Untergebenen nicht nur schriftlich befohlen, ihre Arbeitsaufgaben „zur optimalen und niveauvollen Betreuung und Versorgung der führenden Repräsentanten, ihrer Familienangehörigen und Gäste … jederzeit vorbildlich, mit hoher Einsatzbereitschaft, revolutionärer Wachsamkeit und tschekistischer Meisterschaft zu realisieren“, sondern sie auch allen Ernstes angewiesen, den hohen Herren Genossen jeden Wunsch von den Augen abzulesen, bevor er überhaupt ausgesprochen wurde.

      Dass sich ein Stasi-General für Paul Eßling eingesetzt haben soll, bleibt merkwürdig, denn der war bekanntermaßen aufmüpfig. Doch letztlich wog wohl das gängige DDR-Motto