«Noch Witze machen über meine Wurstwaren, wa? Meine Schweine sind eins a … Det is mein bestes Messer, ’n besseret hab ick nich zum Entbeinen. Det will ick wiederham!», forderte Fleischermeister Fechner.
Otto Kappe schüttelte den Kopf. «Daraus wird nichts, das ist ein Beweisstück.»
Fechner schaute mürrisch.
Konrad König zitierte mit einer Handbewegung einen Kollegen von der Spurensicherung herbei, der gerade damit begonnen hatte, die Scheibe von Fechners Theke auf der Suche nach Fingerabdrücken mit Graphitpulver abzupudern. «Hallo! Kommen Sie mal hierher! Ich könnte Sie vielleicht brauchen.»
«Schwarzet Pulver an unserer Theke – det wird meiner Ollen nich jefalln», meinte der Fleischermeister. «Würde Ihnen raten, det Sie det später wieda schön saubermachen. Sonst bläst Ihnen meine Edith den Marsch. Und det kann se.»
Der Kollege legte seine Utensilien ziemlich unsanft nieder und trottete herbei. König übergab ihm das Messer. Dann packte er ein weiteres Mal zu und drehte den Toten um.
Alle hielten den Atem an. Ein Gesicht mit weit aufgerissenen, fast erstaunt wirkenden blauen Augen starrte sie an. Ein sehr merkwürdiges Gesicht, denn es trug eine Clownsbemalung, ziemlich ungelenk ausgeführt. Die Linien um Mund und Augen wirkten krakelig, die weiße Farbe war verschmiert. In der Mitte saß eine rote Clownsnase. Wer auch immer die Maske aufgetragen hatte, schien darin nicht besonders geübt zu sein, befand Oberkommissar Otto Kappe und sagte: «Komisch.»
«Bei dem is jetzt aber Schluss mit lustig!», meinte Hans-Gert Galgenberg. «So wat passiert offenbar selbst Clowns.»
«Haha!», kam es trocken von Kappe, während er sich daranmachte, die Taschen der Winterjacke des Toten zu durchstöbern. Er wollte wissen, ob der Papiere bei sich hatte, fand aber nichts. Er richtete sich wieder auf. «Entweder der oder die Mörder haben seine Taschen geleert, oder der Clown ist ohne Papiere hierhergekommen. In beiden Fällen stellt sich die Frage: Warum?»
In diesem Augenblick erklang eine weibliche Stimme: «Oh, wen haben wir denn da?»
Kappe wandte sich um. Sein Herz machte einen Hüpfer.
«Die Kollegen vom Dauerdienst haben mich geschickt», erklärte Kriminalmeisterin Lilli Lenné auf seinen fragenden Blick hin. «Die dachten, es wäre vielleicht besser, wenn eine Frau bei den Befragungen dabei ist. Und wer weiß, vielleicht ist der Mörder ja noch da. Sieht für mich jedenfalls so aus, als hätte jemand ganz hastig eine Clownsbemalung auf das Gesicht gepinselt. Wahrscheinlich nach dem Mord. Was meinen Sie, Doktor König?»
«Vor der Autopsie meine ich nie etwas», antwortete König und wurde unvermittelt rot.
Otto Kappe sah vom einen zur anderen. Er wusste ziemlich genau, was in König vor sich ging. So war es immer mit diesem Fräulein Lenné: Die Kollegin hatte einfach eine besondere Wirkung auf Männer, ihn selbst eingeschlossen. Obwohl sie keine klassische Schönheit war – stämmig, sportlich, Trägerin des schwarzen Gürtels beim Judo –, konnte man einfach nicht wegsehen, wenn sie mit schwingenden Hüften vorüberging oder einen mit ihren großen blauen Augen anschaute. Sie hatte etwas Französisches. Was allerdings nicht weiter verwunderlich war, stammte sie doch von einer jener hugenottischen Familien ab, die im 17. Jahrhundert aus dem streng katholischen Frankreich nach Berlin geflüchtet waren. Wie alt sie wohl sein mochte? Vermutlich ungefähr so alt wie König. Der war 1926 in irgendeinem schwäbischen Kaff geboren, dessen Namen Kappe sich nicht merken konnte.
«Was meinen Sie, wie lange die Tat her ist? Könnte der oder könnten die Täter noch in der Halle sein?» Lilli Lenné beharrte auf Antworten.
«Ein Täter, vermutlich ein Mann, Linkshänder womöglich», wich König aus. «Aber vor der Autopsie meine ich …»
«Wissen wa, wissen wa. Vor der Autopsie meinen Sie nie was», fuhr Galgenberg dazwischen.
Lilli Lenné lächelte König zu.
Otto Kappe verspürte einen Anflug von Eifersucht und fragte sich zum wiederholten Mal, warum ihm das gerade bei Lilli so ging. Seine Gertrud war schließlich eine prächtige Person, praktisch, handfest und tüchtig. Eine Frau zum Herzerwärmen. Er wollte keine andere. Und trotzdem …
Der Ablenkung wegen, aber nicht nur deshalb, sah er sich um. Vielleicht war der Täter tatsächlich noch irgendwo in der Halle. Auf den ersten Blick konnte Kappe keine möglichen Verstecke erkennen. Aber so viel stand für ihn fest: Nach Lage der Dinge war der tote Clown nur wenige Minuten nach seinem gewaltsamen Dahinscheiden gefunden worden. Also hätte jemand den Täter sehen müssen! Fechner und sein Kollege Schreiber vom Obststand hatten vor dem nächstgelegenen Ein- und Ausgang der Halle eine Zigarette geraucht und Stein und Bein geschworen, sie hätten niemanden fortlaufen sehen. Allerdings gab es mehrere Ein- und Ausgänge. Um zu einem der anderen zu gelangen, hätte der Kerl an jeder Menge Stände vorbeikommen müssen. «Würde mich mal interessieren, ob jemand von den anderen Händlern eine Person gesehen hat, die nicht hierher gehört», murmelte Kappe vor sich hin. Er ließ seinen Blick erneut schweifen und schaute dann nachdenklich nach oben, zur hohen Decke. Wegfliegen ging ja wohl nicht. Anschließend sah er auf die Umstehenden. Einige Personen waren noch in die Halle gekommen, bevor die abgesperrt worden war, hatten sich bei Fechners Fleischtheke versammelt und gafften, während die Kollegen von der Spurensicherung verzweifelt versuchten, die Herrschaften auf Abstand zu halten. Es war vielleicht ein halbes Dutzend, darunter zwei Frauen mittleren Alters und ein etwa zehnjähriger Junge, der sich an die grüne Schürze seiner Mutter drückte.
Ein Kollege von der Schutzpolizei raunte Otto Kappe zu, dass das provisorische Vernehmungszimmer inzwischen eingerichtet und die Kollegen vor der Tür dabei seien, die Personalien der Händler aufzunehmen.
«Halten Sie die Leute fest, wir brauchen sie noch! Lassen Sie niemanden gehen! Besorgen Sie sich außerdem die Liste sämtlicher Hallenbeschicker, und karren Sie schnellstens diejenigen hierher, die uns durch die Lappen gegangen sind! Ich denke, es ist sinnvoll, wenn sich alle der Reihe nach den Toten ansehen. Dann haben wir sie gleich beieinander. Ich fange mit denen an, die hier rumstehen.» Kappe machte eine einladende Handbewegung. «So, meine Damen und Herren, dann wollen wir mal!», dröhnte seine Stimme. «Sie kommen bitte nach hinten zum Fisch, Ausgang Nord, Bugenhagenstraße! Einer nach dem anderen. Ich warte da auf Sie.» Und dann sagte er etwas leiser: «Galgenberg, du übernimmst die Verkehrsführung! Und Sie, Fräulein Lenné, schreiben bitte das Protokoll! Soweit ich weiß, können Sie Steno.»
«Na, da müssen wir uns aba beeiln, sonst stinkt die Leiche bald genauso wie der Fisch. Für ewig wolln die von der Rechtsmedizin och nich auf den Toten warten», murmelte Hans-Gert Galgenberg vor sich hin und trabte hinter Kappe her.
In den Gewölben unter der Arminiushalle hockte ein dunkler Schatten zusammengesunken und reglos am Boden, die Knie angezogen, die Hände vors Gesicht geschlagen, einen Rucksack und eine Jacke neben sich. Er wusste, er hätte längst weg sein müssen. Doch er war wie gelähmt. Ihm war speiübel. Er hatte einen Menschen getötet, ein Messer in eine lebende Person gerammt. Gegen den Widerstand des Fleisches und der Knochen war es schließlich zwischen den Rippen hindurchgeglitten. Mehr als die Tat selbst machte ihm der Umstand zu schaffen, dass er überhaupt dazu fähig gewesen war. Dass er nicht links und nicht rechts geschaut hatte in diesem Tunnel aus blankem Hass und Abscheu. Er richtete sich etwas auf, nahm die Hände herunter. Nein, das war kein Mord gewesen, das war Gerechtigkeit. Jarusch würde niemals wieder einem anderen Menschen schaden können. Er musste würgen. Der Brechreiz wurde immer stärker.
Dann hörte er Stimmen. Er sah den Lichtkegel einer Taschenlampe und ergriff hastig den Rucksack und die Jacke. Verflucht, er hatte doch gewusst, dass es knapp werden würde! Wieso war er nur nicht früher abgehauen?
Er