»Das schon, die Wohnung ist nicht zu teuer und der Hausherr natürlich ein alter Jud, aber sonst soweit in Ordnung. Es gibt solche und solche Juden. Ich habe nur prinzipiell gesprochen. Als Christen müssen wir sie verachten, denn sie haben unsren Herrn Jesus ans Kreuz geschlagen und wer mag sie schon.«
»Aber es sind doch deine Nachbarn«, sagte Albert verwundert. »Wie bekommst du das unter einen Hut?«
»Wie ich dir bereits sagte, es gibt solche und solche. Meine Nachbarn stören mich nicht, sie sind ganz angenehm, haben manchmal komische Bräuche wie am Sabbat, aber sind hilfsbereit und freundlich. Wir grüßen uns und lassen uns weitgehend in Ruhe. Katharina hilft ihnen in ihrer Gutmütigkeit öfters am Sabbat, wenn sie nichts tun dürfen. Und es gibt eben die anderen, Handelsjuden und Lumpen, und dann die Juden, die unseren Jesus gekreuzigt haben. Es gibt halt viele Arten von Juden. Aber wir leben in einer anderen Zeit und außerdem glaube ich auch nicht alles, was der Pastor von der Kanzel erzählt.«
»Lumpen gibt es überall, nicht nur unter den Juden«, bemerkte Albert trocken, »und unter den Priestern gibt es solche und solche, da hast du Recht.«
3. Begegnungen Teil 1
Das Jahr neigte sich dem Ende entgegen. Albert war zufrieden mit sich und seiner Situation. Er fühlte sich wohl bei der Arbeit und in seinem Umfeld, dem Kolping und der Pfarrei St. Johannes. An einem Sonntag gegen Ende November besuchte er wie immer das Hochamt. Nach der Messe betete er noch still und ging hernach zum Ausgang. Wilhelm Schello holte ihn ein und beide betraten den Kirchenvorplatz. Sie grüßten die noch verbliebenen Kirchenbesucher. Wilhelm zeigte auf ein junges Ehepaar und meinte:
»Albert schau, dass ist das Ehepaar Trotz. Er wurde anlässlich des Kaiserbesuchs ausgezeichnet. Hast du das nicht in der Zeitung gelesen, liest doch sonst alles. Ein junger Postchorsänger durfte dem Kaiser zweimal die Hand schütteln. Das da vorne ist er.«
»So«? meinte Albert, »dem Kaiser die Hand geschüttelt, ist ja doll.«
»Eben«, meinte Wilhelm und beide lüfteten ihre Hüte und grüßten das junge Paar, als sie an ihnen vorbeigingen. Michael grüßte höflich zurück, in dem auch er den Hut zog, Anna lächelte hoheitsvoll und erwiderte den Gruß.
»Wer ist das neben Herrn Schello?« fragte sie.
»Ein junger Schreiner, der in der Kirche arbeitet und aushilft. Ein armer Wandergeselle, der glaube ich im Kolpinghaus wohnt.« Dabei schaute er hoheitsvoll geradeaus.
Wilhelm betrat mit Albert seine Wohnung. Der Küster wohnte in einem alten Haus hinter der Kirche. Ein altes, stark verbautes Haus mit zwei Stockwerken, er wohnte im zweiten. Unter ihm Dora, ein Trierer Original und ganz unten eine junge Familie mit Kind. Das Treppenhaus war dunkel und eng, schloss man die Wohnungstüre auf, betrat man doch recht angenehm geschnittene Räume. Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich aufs Sofa. Roswitha deckte gerade den Tisch, begrüßte beide und meinte, es dauere noch eine halbe Stunde. Dann entschwand sie in die Küche.
Wilhelm nahm aus dem Wohnzimmerschrank zwei kleine Gläschen und schenkte Albert und sich einen guten Cognac ein. Er nahm sich eine Zigarre und begann zu rauchen. Sie stießen miteinander an.
»Hast du den Kaiser bei seinem Besuch im Oktober nicht gesehen«, fragte er Albert.
»Nein«, entgegnete dieser, »ich bin kein Freund von ihm, er ist mir gleichgültig. Ein alberner Selbstdarsteller und sein Militär sind mir ebenfalls zuwider. Hast du das in der Zeitung mit Zabern gelesen?«
»Ich verstehe nicht viel von Politik, ich bin in erster Linie Musiker. Außerdem war ich nicht beim Militär wegen meines Beines.«
»Und ich nicht wegen meiner früh verstorbenen Brüder«, ergänzte Albert, »und darüber bin ich nicht traurig. Ich halte den Krieg für ein Unglück und hoffe sehr, dass wir so etwas nicht erleben müssen.«
»Glaubst du, dass es Krieg geben wird?«, fragte Wilhelm erschrocken, »wie kommst du darauf? Nur weil unser Kaiser ein Uniformnarr ist und das Militär viel zu sagen hat.«
»Der Kaiser ist ein naiver Trottel, ein mieser Theaterschmierenkömdiant, sonst nichts. Ich bin nur ein einfacher Schreiner, aber das sehe ich auch, dass alle Staaten um uns herum bis zu den Zähnen bewaffnet sind. Und alle Militärs schießen gerne, ob bei uns oder bei den Franzosen. In Berlin las ich in der Kolpingbücherei in einer Zeitung über eine Frau, die den Friedensnobelpreis bekam. Bertha von Suttner heißt sie. Sie warnt vor einem Vernichtungskrieg, der uns drohen könnte angesichts der aufgerüsteten Staaten.«
»Du liest zu viel Albert«, lächelte Wilhelm, »sieh nicht so schwarz. Wir haben nun schon lange Frieden und das wird sicher so bleiben, vielleicht einige Scharmützel, aber nichts Großes. Jedenfalls hoffe ich das.«
»Wollen wir es hoffen und dafür beten.«
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