„Mann Gottes, Carstens, auf so ein Ziel haben Sie doch noch nie vorbeigeschossen“, polterte der Kommandant seinen TO an.
„Herr Kaptän“, äußerte dieser, völlig konsterniert, „das ist mir absolut rätselhaft. Die Torpedos können das Ziel gar nicht verfehlt haben. Wir haben doch die Blasenbahnen ganz genau verfolgen können. Beide Torpedos müssten Vorderkante Brücke und mittschiffs getroffen haben“, versuchte sich der Torpedooffizier zu rechtfertigen.
„Ja und Carstens,“ fauchte der ungehaltene Kommandant, „ich habe nicht das leiseste Tönchen vernommen und schließlich schwimmt das alte Boot ja immer noch völlig ungerührt. Sie können also nur vorbeigeschossen haben.“ Der Kommandant riss sich die Mütze vom Kopf, fuhr sich durch das volle Haar, stülpte die weiße Kommandantenmütze schließlich wieder auf und ordnete an, „Einzelschuss, Oberdecksrohrsatz. Und wehe Ihnen, mein Lieber, das geht wieder in den Bach.“
Der Oberleutnant bemühte sich den Oberdecksrohrsatz zu richten und schnellstens bereit zu zeigen, für den geforderten Einzelschuss. „Torpedowaffe klar für Einzelschuss aus Oberdecksrohrsatz“, meldete der TO.
Der Kommandant blickte in die Runde. Deutlich war von den beiden begleitenden Torpedobooten, die in etwa einer halben Meile an backbord des Hilfskreuzers sich treiben ließen, zu erkennen, dass Kommandanten und Offiziere die Gläser auf Zielschiff und Hilfskreuzer richteten. Der Kommandant schaute seinen ihm ja bereits vom Zerstörer „Arndt Griepen“ bekannten und hochgelobten, weshalb sonst hätte er ihn für das neue Kommando angefordert, Torpedooffizier an und meinte mit starren Gesichtszügen, „Torpedowaffe Feuererlaubnis!“
„Torpedo los“, kam das Kommando des Torpedooffiziers. Der Torpedomaat schlug zur Sicherheit, falls die elektronische Abfeuerung versagen sollte, noch auf die Handfeuertaste und der mehrere Meter lange, schlanke Torpedo schoss, von Pressluft getrieben, aus dem Rohr, klatschte auf die Wasseroberfläche und begab sich, nach Einsteuerung auf die eingestellte Tiefe von 2,5 Metern mit einer Geschwindigkeit von 40 Knoten geradewegs auf den Weg zum unbeweglich in der Ostseedünung schaukelnden Ziel. Kommandant, Offiziere, insbesondere Torpedooffizier und Torpedogasten, verfolgten gebannt die Blasenbahn des Torpedos. Schnurgerade lief dieser auf das Ziel zu. Bei Abfeuern des Torpedos hatte der Torpedooffizier, als auch der verantwortliche Torpedomaat, die in der Hand befindliche Stoppuhr gedrückt, um die Laufzeit des Torpedos bis zum Ziel exakt nach verfolgen zu können.
„Jetzt“, sagte TO Carstens, der die Stoppuhr gebannt im Auge behielt und schaute gebannt auf das Ziel. Allein, es tat sich nichts. Rein gar nichts. Die Laufzeit des Torpedos war längst abgelaufen, das Zielschiff schwamm ungerührt. Keine Detonation, kein nichts. Mit verstörtem Blick wandte sich der Torpedooffizier, Oberleutnant zur See Carstens, zum Kommandanten, der ihm bereits seit Sekunden zornig musterte. „Herr Kaptän, der Torpedo muss einfach getroffen haben.“ Korvettenkapitän Waldau schnaubte, „und, ich habe davon nichts gemerkt.“ Der neben ihm stehende IO, Graf von Terra bemerkte, mit dem ihm eigenen Humor, „na, das kann ja heiter werden.“ Der Kommandant schaute ihn kurz an, blickte unwirsch in die Runde und riss in einer eckigen Bewegung das Marineglas an die Augen und musterte die in der Nähe liegenden Torpedoboote. Er setzte das Glas ab und meinte verdrießlich, „die da drüben können sich ja kaum noch einklinken vor Lachen. Jetzt bin ich’s leid.“ Er wandte sich zu seinem IO, „Terra, Boot aussetzen und Sie sowie der II.O gehen an Bord des Zielschiffes. Wir werden jetzt mit Übungstorpedos schießen und Sie werden mir signalisieren, ob Treffer oder nicht. Sie nehmen die Barkasse, das geht schneller.“ Wie vom Kommandant angeordnet, veranlasste die seemännische Nr. 1, Oberbootsmaat Richter, das Aussetzen der Kommandantenbarkasse. Dieses Manöver zumindest klappte hervorragend. In 10 Minuten konnte die Barkasse, mit den an Bord befindlichen Offizieren, sowie der Bootsmannschaft von vier Mann unter dem Kommando des Bootsmaaten Schröter, ablegen und hielt auf das Zielschiff, das nach wie vor unbeschädigt in der Dünung gemächlich vor Backbord nach Steuerbord schlingerte zu. 40 Minuten später war der Torpedorohrsatz steuerbord mit zwei Übungstorpedos geladen. Das Torpedoboot 12, eines der Begleitboote, hatte zwischenzeitlich Anweisung erhalten, die schwimmfähigen Übungstorpedos anschließend aufzufischen. Der Kommandant raufte sich sowieso schon die Haare, das drei scharfe Gefechtstorpedos, die pro Stück ca. 40.000,00 Reichsmark kosteten, seiner Meinung nach absolut sinnlos verfeuert worden waren. Nach erneutem Befehl und Klarmeldung durch den mitgefahrenen Signalmaaten, der zwischenzeitlich mit dem gesamten Bootskommando, bis auf Bootsführer und 1 Mann, die sich sicherheitshalber 200 Meter ab vom Zielschiff hielten, an Bord des alten Torpedobootes gegangen waren, erfolgte der erneute Torpedoschuss. Gebannt schauten Kommandant und IO, sowie alle Besatzungsmitglieder, denen dieses möglich war, auf die Torpedolaufbahnen und das Zielschiff.
„Meine Fresse“, berlinerte Matrosenhauptgefreiter Schrupp, seines Zeichens Torpedomechaniker, und selbstverständlich auch interessiert am Geschehen. Det muss doch jans enfach jetroffen haben.“ Dieses meinten auch Kommandant und TO. Das anschießende Flaggensignal vom Zielschiff bestätigte ihnen, das beide Torpedos Vorschiff und Vorderkante Brücke aufgeschlagen haben.
Zwei weitere Torpedoeinzelschüsse brachten das gleiche Ergebnis. Beide Übungstorpedos trafen.
„Verdammt und zugenäht“, verkündete der Kommandant auf der Brücke des Hilfskreuzers zu den ihn erwartungsvoll anstarrenden Offizieren, „das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen.“ Er winkte seinem Läufer und befahl, „Winkspruch an Zielschiff und Barkasse, sofort Rückkehr an Bord. FT-Spruch an Begleitschiffe: Übung abbrechen, einlaufen Kiel!“
Im Kriegshafen Kiel angelangt, machte der Hilfskreuzer an einem abgesperrten Kai fest. Die SKL, die zwischenzeitlich durch verschlüsselten Funkspruch vom Torpedodebakel unterrichtet worden war, hatte bereits veranlasst, dass sämtliche Torpedos sofort von Bord zu geben und von der Torpedoversuchsanstalt in Flensburg geprüft werden würden. Wie sich bereits zwei Tage später herausstellte, waren die meisten an Bord befindlichen Torpedos Blindgänger, zurückzuführen auf einen Fehler in der Aufschlagzündung. Sabotage nicht auszuschließen, hieß es lapidar. Der Kommandant wurde zur Berichterstattung nach Berlin befohlen.
Bei der SKL wurde dem Kommandanten bedeutet, dass, noch während die Besprechung mit ihm in Berlin stattfände, sein Schiff für die künftige Unternehmung ausgerüstet werde. Es sei sichergestellt, dass nur einwandfreie Torpedos an Bord kämen. Auch die Marschbefehle für die noch fehlenden Besatzungsmitglieder seien ausgefertigt und diese – einschließlich der vorgesehenen acht Prisen-Offiziere, Handelsschiffskapitäne und Offiziere der Handelsmarine mit Kapitänspatent, alle im Range eines Leutnants zur See (S), werden sich ebenfalls bereits bei Rückkehr des Kommandanten an Bord befinden. Es sei leider, bedingt durch die Kriegslage, keine Zeit mehr, Kommandant und Besatzung Möglichkeit zu weiteren Übungsfahrten zu gewähren.
„Herr Korvettenkapitän Waldau“, verkündete Admiral Scheidel persönlich dem Kommandanten, „leider gebietet die Kriegslage, dass Sie mit Ihrem Schiff schnellstens auslaufen müssen, um gegnerische Seestreitkräfte zu binden und der Versorgung des Gegners durch Versenkung, Aufbringung und evtl. auch Zurückbehaltung gegnerischer Handelsschifftonnage in den Häfen, einen Schlag zu versetzen.“ Der Admiral führte weiter aus: „Wie Ihnen bekannt ist, steht insbesondere die U-Bootswaffe bereits am Feind und hat auch das Panzerschiff Graf Spee erste Erfolge erzielt. Durch das Auftreten weiterer Überwasserseestreitkräfte, also als nächstes auch Ihrem Hilfskreuzer, verspricht sich die SKL über die zu erwartenden Versenkungen hinaus durch die beim Gegner zu stiftende Verwirrung erhebliche negative Auswirkungen hinsichtlich der Versorgungslage der britischen Inseln.“
4. Auslaufen zur Feindfahrt
Am 20. November 1939, dem Tag der Einführung einer sogenannten Reichskleiderkarte für den Bezug von Textilien im Deutschen Reich, macht der Handelsstörkreuzer seeklar. Die Ausrüstung des Schiffes war zwischenzeitlich beendet. Als Bordflugzeuge wurden zwei Arado 196 A 1 an Bord genommen, deren Aus- und Einsetzen nicht ein einziges Mal auf dem Schiff selbst überhaupt manövermäßig geübt werden konnte. Eine Maschine befand sich einsatzklar, unter Persenningen getarnt, an Oberdeck, die zweite in Einzelteilen verpackt in einem der Laderäume. Im Bedarfsfall würde diese später von den Bordmechanikern