Geschichte
Herodot berichtet uns, dass die Einwohner von Kaunos glaubten, ihre Vorfahren seien von der Insel Kreta gekommen; er selbst hielt sie für Karer mit einem eigentümlichen Dialekt. Im Jahre 545 v. Chr. geriet Kaunos nach verlustreichen Widerstand unter persische Herrschaft, sodass die Teilnahme am Ionischen Aufstand (500 – 494 v. Chr.) ebenso wenig überrascht wie die spätere Zugehörigkeit zum Delisch-Attischen Seebund unter der Führung Athens. Der Königsfriede des Jahres 387 v. Chr. bescherte Kaunos zwar erneut ein persisches Intermezzo, jedoch erhielt die Stadt durch den Satrapen Maussolos mehr und mehr griechischen Charakter, bis sie unter Regierung seiner Schwester Ada im Alexanderreich aufging.
Wechselvoll war das Schicksal von Kaunos in hellenistischer Zeit, bis die Ptolemäer im Jahre 189 v. Chr. die Stadt für 200 Talente Silber an Rhodos verkauften – eine stolze Summe, die die Rhodier möglichst schnell durch hohe Steuern in Kaunos wieder hereinholen wollten. Erst als Rhodos die Gunst Roms verlor und an seiner Stelle die Insel Delos zum Handelszentrum aufgebaut wurde (168 v. Chr.), erhielt Kaunos den Status einer civitas libera und wurde 129 v. Chr. in die aus dem pergamenischen Erbe gebildete römische Provinz Asia integriert. Aber die Kaunier vergaben die Chance auf eine ruhige Entwicklung unter römischer Herrschaft, indem sie 88 v. Chr. für einen der letzten großen Gegner Roms, Mithradates VI. Eupator von Pontos, Partei ergriffen. Sie befolgten den von Mithradates VI. erlassenen „Blutbefehl von Ephesos“ und ließen die römischen Bürger in ihren Mauern umbringen. So wurde Kaunos im Jahre 85 v. Chr. im Frieden von Dardanos, durch den Mithradates VI. auf seine pontischen Besitzungen zurückgeworfen wurde, erneut den verhassten Rhodiern unterstellt. Es folgten intensive Bestrebungen, durch Ehrungen für einflussreiche Römer, darunter ein ehernes Reiterstandbild des Lucius Licinius Murena, das rhodische Joch abzuschütteln und die Freiheit wiederzuerlangen, bis Kaunos im Jahre 65 v. Chr. erneut als „freie Stadt“ in die Provinz Asia aufgenommen wurde.
Bereits in der Kaiserzeit machten der Stadt zwei Probleme sehr zu schaffen – die langsame, aber stetige Verlandung ihres Hafens und die gesundheitliche Gefährdung ihrer Bürger durch Stechmücken, die in der sumpfigen Umgebung ideale Lebensbedingungen vorfanden. Schon Strabon und Plinius berichten von dem ungesunden Klima von Kaunos. Erst 1948 ging man energisch gegen die Stechmücken vor, die schon in der Antike bekämpfte Verlandung des Hafens dagegen konnte nicht verhindert werden. Heute liegt Kaunos etwa 3 km von der Küste entfernt, den ehemals mit einer Kette versperrbaren Hafen erkennt man in dem von einer weiten Schilffläche umgebenen Sülüklü Göl („Blutegelsee“) wieder.
Abb. 9 Kaunos, Delta des Dalyan Çayı und Iztuzu-Strand.
Die Felsgräber
Die großartigen Felsgräber, die man mit dem Boot auf dem Kalbis (Dalyan Çayı) passiert, sind ohne Zweifel die Hauptsehenswürdigkeit von Kaunos (Abb. 8). Sie liegen zumeist in zwei Reihen übereinander – oben die Tempelgräber mit ihrer reichen Fassadenarchitektur, unten einfache Kammergräber mit viereckigen Türöffnungen. Bei der oberen Reihe handelt es sich um Grabkammern, deren äußere Gestaltung einer ionischen Tempelfassade mit zwei Säulen in antis entspricht. Daneben gibt es aber auch ein unvollendetes Grab, das mit vier Säulen in antis geplant war, von oben nach unten bearbeitet wurde und die anderen Gräber an Größe weit übertreffen sollte.
In einem strengen Kontrast zur aufwendigen Fassadengestaltung der Tempelgräber steht nicht nur in Kaunos, sondern auch bei vergleichbaren lykischen Monumenten die schlichte Ausführung der kleinen Grabkammern. Diese sind völlig ohne Schmuck und weisen meist drei Steinbänke (Klinen) zur Bestattung auf. Nach Keramik- und Glasfunden sind diese Gräber in das 4. Jh. v. Chr. zu datieren, vereinzelt bezeugen Inschriften die Wiederverwendung eines Grabes in der römischen Kaiserzeit. Ein interessantes Detail ist die schwer zu deutende Tatsache, dass in dieser Felswand auf zwei unmittelbar benachbarten Felsgräbern zwei völlig identische Inschriften stehen, die diese beiden Gräber für dieselben drei Personen in Anspruch nehmen. Vielleicht gefiel dem Auftraggeber das benachbarte Grab plötzlich doch besser, sodass er dort seine Inschrift noch einmal einschlagen ließ und nicht mehr daran gedacht hat, die erste Inschrift wieder löschen zu lassen. Oder hat der Steinmetz einfach die „Baustelle“ verwechselt und diese Inschrift noch einmal am richtigen Felsgrab einschlagen müssen? Die am falschen Grab stehende Inschrift jedenfalls scheint niemanden gestört zu haben!
Nur ganz wenige von diesen Tempelgräbern können gefahrlos aufgesucht werden. Wer dazu sportlich genug ist, wird eine weitere interessante Einzelheit feststellen: Alle Tempelgräber stehen in einer künstlichen Felshöhle, d. h. sie sind von einem begehbaren Korridor umgeben, auch die Giebel sind vollständig aus dem Felsen herausgearbeitet. Diesen Architekturentwurf kennen wir in dem an Felsgräbern so reichen Kleinasien nur noch von den großen pontischen Königsgräbern im Burgfelsen hoch über der Stadt Amaseia (Amasya).
Die antike Stadt
In Kaunos, das man von der nördlichen Anlegestelle aus nach einer kurzen Fußwanderung erreicht, hat Baki Öğün (Universität Ankara) im Jahre 1965 eine erfolgreiche Ausgrabung ins Leben gerufen, die seit 2000 sein Schüler Cengiz Işık leitet. Das Stadtzentrum wird von zwei Akropolishügeln überragt, die durch mächtige Mauern miteinander verbunden waren. Am Fuß des größeren Akropolisfelsens liegt das am besten erhaltene Gebäude – ein Theater mit 34 Sitzreihen, die etwas mehr als einen Halbkreis umschreiben. Freigelegt werden konnte auch die untere Etage des Bühnenhauses. Auf dem Höhenrücken nördlich des Theaters folgen drei weitere Großbauten: ein Rundbau, vielleicht eine der vom Architekturhistoriker Vitruv beschriebenen Vermessungsplattformen, eine dreischiffige Basilika und eine hoch aufragende Thermenanlage. Letztere diente den Archäologen über Jahrzehnte als Depot für bedeutende Funde wie die Statuenbasen des Maussolos von Halikarnassos und seines Vaters Hekatomnos sowie die Exedra des berühmten Künstlers Protogenes, der in der 2. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. auf Rhodos große Erfolge feierte. Diese und weitere Funde befinden sich heute im Museum von Fethiye.
Zwischen der Basilika und den Thermen zweigt ein getreppter Weg zur Unterstadt und zum Hafen ab, in ein Gebiet, auf das sich die jüngsten Ausgrabungen konzentriert haben. Dabei passiert man vorbei an einem rekonstruierten Säulenportikus auf einer Terrasse einen kleinen Antentempel dorischer Ordnung und die Fundamente eines hellenistischen Heroons. Unten am Hafen liegen außer Resten der von Strabon erwähnten Schiffswerften noch zwei interessante Gebäude. Dabei handelt es sich zunächst um eine zur Agora gehörende Säulenhalle, Fundort der bereits angesprochenen Ehreninschrift für Murena. Das zweite Bauwerk ist das rekonstruierte, baulich schlicht wirkende Brunnenhaus aus der Zeit des Kaisers Vespasian (69 – 79 n. Chr.). An seiner Westfassade ist die große Zollinschrift eingemeißelt, von der sich die Bürger und Kaufleute von Kaunos eine Belebung des schwächelnden Handels erhofften. Es galt, fremden Kaufleuten trotz der Verlandung des Hafenbeckens und des ungesunden Klimas eine Niederlassung in Kaunos schmackhaft zu machen.
Diese Bemühungen der Kaunier werden in der Zollinschrift deutlich, die von einer jährlichen Subventionierung der städtischen Zolleinnahmen durch reiche Bürger in Höhe von 60.000 Denaren berichtet. Offenbar hatte der Verlandungsprozess des Hafens bereits so große Fortschritte gemacht, dass die Handelsbedingungen für