Der mondhelle Pfad. Petra Wagner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Wagner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783867779579
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der König unsere Sonne symbolisiert. Viviane tanzt für die Mondgöttin. Sie sind der Tag und die Nacht. Zur Sommersonnenwende ist der Tag viel länger als die Nacht. Deshalb berühren sie sich nicht.“

      Silvanus leckte sich über die Lippen, als Viviane in ihrer Nähe vorbei zirkelte, jawohl zirkelte, denn sie streckte ihr rechtes Bein weit aus und drehte sich um sich selbst. Prompt geriet Silvanus in extreme Schräglage, was Loranthus zu einen verständnislosen Blick animierte, bis er diesen anmutigen Tanzschritt auch einmal aus dieser Perspektive betrachtete.

      „Bei Artemis!“, quiekte er und zuckte wieder hoch. „Als der König vorhin mit Elektra getanzt hat, war das also die Zeit um die Frühjahrstagundnachtgleiche“, versuchte er sich abzulenken.

      „Genauuu“, grunzte Silvanus, schmatzte „Früh … jahrs … tag … und … nacht … gleiche“ und schnalzte vergnügt mit der Zunge. „Zur Sommersonnenwende kommt immer der zweite Tanz hinzu.“

      „Der mit Viviane.“

      „Ja. Oder mit einer anderen Schwangeren. Es ist eine hohe Ehre, für die Mondgöttin zu tanzen.“

      „Kann ich mir vorstellen“, hauchte Loranthus schlapp und ließ dazu passend die Schultern hängen. Doch da ruckte er plötzlich hoch und fasste sich ins Genick, als habe ihn etwas gezwickt.

      „Dann müsstet ihr zur Herbsttagundnachtgleiche ja drei Tänze haben! Und beim dritten ist der Tag wieder gleichlang mit der Nacht!“

      „Ja“, bestätigte Silvanus und erhob sich. „Königin Elsbeth ist dabei immer die Mondgöttin.“

      Loranthus sackte zusammen und atmete erleichtert aus, doch da zuckte er schon wieder. Diesmal allerdings mit eindeutiger Schräglage, denn König Gort hatte ihm einen derben Klaps auf die Schulter verpasst.

      Loranthus war so verdattert, dass er ihm nur mit offenem Mund hinterher starren konnte, während er verzweifelt um sein Gleichgewicht rang. Der König bekam seine Notlage nicht mit.

      Er bewegte sich durch die Reihen hindurch und klopfte jedem Mann auf die Schulter. Keiner kippte zur Seite und Loranthus wurde sich wieder einmal bewusst, dass er nur ein dürres Ästchen unter Knüppeln war. Nein, er war eine Weidenrute, biegsam und geschmeidig! Immerhin hatte er es gerade in die Vertikale geschafft. Und außerdem waren es die anderen Barbaren-Männer gewohnt, einen Klaps vom König verpasst zu bekommen, denn sie feierten schließlich jedes Jahr die Sommersonnenwende auf Barbarenart.

      Dass er in seinen Überlegungen richtig lag, zeigte ihm der rabiate Umgang seiner Gastgeber mit ihresgleichen. Johlend schleiften sie alle Leute weg, die eingeschlafen waren. Conall und Tarian zerrten den selig schlummernden Medan besonders grob über die Wiese.

      Ganz anders Viviane. Anmutig tänzelte sie durch die Frauenabteilung und berührte jede von ihnen sanft an der Schulter. Sie lächelte auf eingeschlafene Maiden herab, ihre langen Haare wallten über die weiche Kuhhaut, rotbraun auf weiß, alles schwang und wehte … und die Beine … so graziös, so … „Was?“

      Silvanus zog Loranthus mit einem Ruck auf die Füße, denn er hatte ihn jetzt schon das dritte Mal aufgefordert, mit zu den Fässern zu kommen, wo die Sklaven den Met austeilten. Als er es endlich begriffen hatte, ging er auch ohne Hilfe, wollte aber tatsächlich zum Himbeersaft abschwenken. Silvanus musste ihn quasi vor sich her schieben. Wenn das Medan gesehen hätte … vor allem, dass er sein Horn auch noch nur halbvoll wollte.

      Da erklärte Silvanus seinem griechischen Schüler sehr geduldig, dass er einen Teil den Göttern opfern sollte. Sofort ruckten Loranthus’ Augenbrauen nach oben und sein Horn nach vorne über das Fass Met.

      „Ein Trankopfer?!“, johlte er und verrenkte sich den Hals, bis er gefunden hatte, was er suchte. „Sehr schön. Mach nur ordentlich was rein, Loth! Wir Griechen lieben Trankopfer! Ach, was sag ich! Wir Griechen sind die Erfinder des Trankopfers, oder präziser: die Nachkommen der Erfinder des Trankopfers!“

      „In deiner Heimat gibt es bestimmt viele Sümpfe, Loranthus!“ rief einer irgendwo hinter ihm.

      „Oder präziser: In deiner Heimat laufen alle den ganzen Tag mit einem Fass Wein auf dem Buckel rum, damit sie jederzeit für ein Trankopfer gerüstet sind!“ wusste ein anderer.

      „Ganz genau. Und weil ihr immer so viel Wein verschüttet, bekommt ihr den Hals nicht voll!“ sinnierte ein weiterer.

      „Ja, und deshalb habt ihr auch Sandalen! Da läuft alles besser ab, wenn ihr durch all den vergossenen Wein waten müsst!“

      Loranthus nahm vom grinsenden Loth sein Horn entgegen, drehte sich um, reckte die Brust und sagte pikiert: „Wie ich höre, habt ihr eine sehr praktikable Art, Ursache und Wirkung in Einklang zu bringen, bis auf die Fässer. Wir Griechen haben Amphoren aus bruchsicherem Graphittongemisch. Aber Fakt ist eines: „Die Götter selbst haben uns das Trankopfer gelehrt, und überhaupt haben …“

      „ … alle anderen auch noch ein leeres Horn, genau wie ich.“

      Silvanus schob Loranthus zur Seite und hielt Loth sein Horn hin. Diese Aktion dauerte einen Wimpernschlag, und schon ging Loranthus bereitwillig vor ihm her, ohne weiter zu diskutieren. Dabei machte er ein Hohlkreuz, was an Silvanus’ Finger lag, der ihm ins Kreuz pikte und ihn gleichzeitig zum Opferfeuer dirigierte. Dieses Ursache-Wirkung-Prinzip funktionierte so gut, dass Loranthus seine Augen nicht brauchte und prompt seinen Kopf nach hinten drehte.

      „Warum stehen Viviane, Flora, Noeira und Taberia beim Kräutertee?“

      „Es ist egal, mit welchem Getränk du den Göttern opferst. Schwangere und stillende Weiber sollten lieber auf den Met verzichten. Du wirst bald selbst erkennen, warum. Komm, wir müssen zur Opfergabe. Afal und König Gort warten schon.“

      Loranthus sah zu den beiden und erkannte gleich, dass sie in einer bestimmten Linie am Feuer standen. Afal genau im Osten und der König gegenüber im Westen – jeweils exakt an den Stellen, wo am Morgen die Sonne aufgegangen und gerade eben untergegangen war.

      Als alle Erwachsenen mit erwartungsvollen Mienen um den brennenden Wall standen, hob Afal sein Horn.

      „Entsprungen euren Lenden, bitten wir euch laut: Kommt zu uns, ihr allmächtigen Götter!“, rief er feierlich und goss einen Schluck Met ins Feuer, dass es zischte.

      Auf der anderen Seite hob König Gort sein Horn.

      „Vereint seit Anbeginn der Zeit, erwarten wir euch sehnsüchtig. Kommt zu uns, ihr allmächtigen Götter!“

      Auch er schüttete Met ins Feuer, und eine neue Dampfwolke quoll zischend empor und stieg zu den Göttern auf.

      Nun traten alle Männer von der Westseite vor und gaben aus ihren Hörnern einen Schluck ab, dann waren die Frauen an der Reihe. Der Met schwappte von allen Seiten in die Flammen, es zischte und qualmte unablässig, bis endlich das Feuer die Oberhand bekam.

      Als es wieder richtig hoch loderte, streckten alle ihre Hörner gen Himmel, riefen im Einklang: „Erhört unsere Bitte! Kommt zu uns, ihr allmächtigen Götter!“ und tranken.

      Plötzlich flammte das Feuer grün auf und goldene Funken stoben hinauf in den Abendhimmel.

      Der Rauch hatte jetzt seltsamerweise einen metallischen Geruch.

      Loranthus schnupperte und schnupperte. Er wollte unbedingt wissen, nach was es roch, doch er kam einfach nicht drauf. In seine Überlegungen hinein hörte er ein Prasseln, oder eher ein Dröhnen, das in seinen Kopf eindrang, auf seine Brust drückte und sein Herz zum Rasen brachte. Es waren Töne, die er fühlen konnte. Sie beeinflussten seinen Körper und seinen Geist.

      Einen Augenblick dachte er, alle Kräuterfrauen des Clans würden hinter ihm gemeinsam die Trommeln schlagen, schneller und schneller. Doch er konnte sich nicht umdrehen; das Dröhnen kam auch von vorne, aus dem Opferwall, wurde immer lauter und greifbarer; sogar die flirrende Luft um das Feuer vibrierte, bis sie plötzlich in einem Gestöber aus Myriaden goldener, grüner, blauer und roter Funken zerbarst.

      Ehrfürchtig