Der mondhelle Pfad. Petra Wagner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Wagner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783867779579
Скачать книгу
das geht heute noch nicht.“ Viviane schüttelte entschieden den Kopf. „Außerdem müsst ihr doch wieder auf die Weiden und nebenbei Himbeeren sammeln, damit wir zur Feier genug Saft für euch und alle anderen Kinder haben. Das ist sehr wichtig.“

      Lavinia und Robin ließen enttäuscht die Köpfe und Schultern hängen, murrten aber nicht. Viviane wuschelte ihnen ein wenig die Haare.

      „Wenn es dem Baby gut geht, nehme ich euch morgen mal mit.“

      „Ja! Da freuen wir uns, Viviane! Und heute sammeln wir so viele Himbeeren, dass wir ganz viel Saft pressen können!“ Robin streckte seine Hände weit auseinander und rieb sich übertrieben den Bauch. „Mmmh, Himbeermarmelade schmeckt gut, getrocknete Himbeeren sind genauso lecker, aber Himbeersaft … mmmh … Himbeersaft könnte ich fässerweise trinken!“

      „Na, dann mal los ihr zwei, auf dass wir genug Fässer voll kriegen!“

      Lavinia zog Robin hinter sich her.

      „Wir lassen euch wieder welche übrig!“

      Viviane war bei Tinne schneller fertig, als sie gedacht hatte. Die kleine Germania schlief friedlich in der Hängewiege und machte einen gesunden und zufriedenen Eindruck. Es war eben ein großer Vorteil, dass Tinne schon einen kleinen Sohn hatte und genau wusste, was zu tun war.

      Noch ein Vorteil war, dass sie eine Sklavin besaß. Die kümmerte sich um den Haushalt und spielte mit dem Jungen. So konnte sich Tinne ganz ihrem Töchterchen widmen. Sie kam gut mit dem Wickeln und Füttern zurecht und hatte die Kleine auch schon erfolgreich angelegt, denn trotz ihrer Winzigkeit hatte sie einen kräftigen Zug. Daher konnten sie alle das Beste hoffen, verabredeten sich für den nächsten Tag und Viviane ging mit Hanibu den Fuhrweg weiter nach oben.

      Hanibu betrachtete das Haus von Wahedon, der als erster Krieger des Königs ein noch etwas größeres als Tinne besaß. Vor dem Haus des obersten Druiden klappte ihr allerdings die Kinnlade herunter. Es war mindestens dreimal so groß wie ihr Langhaus im Dorf.

      „Was macht Afal eigentlich, wenn er nicht gerade Opferzeremonien oder Feste leitet?“

      Viviane drehte ihr den Kopf zu und Hanibu erschrak wegen des seltsamen Mienenspiels, dass sich ihr bot.

      „Hätte ich das nicht fragen dürfen?! Ist das ein Geheimnis?!“

      Viviane prustete los und winkte beschwichtigend ab, weil Hanibus Augen schon feucht zu glänzen begannen.

      „Nein, nein! Das ist kein Geheimnis und natürlich darfst du mich alles fragen, was du wissen willst. Aber ich war gerade in Gedanken, und du bist übrigens die Erste, die das wissen will! Keiner fragt danach!“

      „Vielleicht denken alle, dass man so was nicht fragen darf?“, hakte Hanibu nach und kämpfte die aufsteigenden Tränen erfolgreich zurück.

      „Du meinst, weil Afal der oberste Druide in unserem Clan ist und deshalb über allem steht?“

      „Genau.“ Jetzt war alles wieder gut.

      „Da hast du einen totalen Denkfehler, Hanibu. Auch er muss sich verantworten, sogar mehr als jeder andere Mensch: vor dem gesamten Clan, vor dem König und natürlich vor den Göttern. Das ist seine absolute Pflicht. Und glaube mir, Hanibu: Nur derjenige wird oberster Druide, der seiner Verantwortung vollkommen gerecht wird.“

      „Ich verstehe. Kann eigentlich jeder Druide oberster Druide werden?“

      Viviane wiegte den Kopf.

      „Theoretisch, ja. Aber meistens sind das weise Druiden, die das Universum studiert haben, zumindest die Rechtsprechung oder die Philosophie. Diese Künste stehen im höchsten Rang bei uns Druiden und bringen daher das meiste Ansehen in unseren Kreisen. Ich persönlich gebe der Astronomie den Vorrang. Die Sterne zu berechnen und was sonst noch dazu gehört, halte ich nämlich für besonders kompliziert. Das wäre nichts für mich. Wahrscheinlich würde ich, an Afals Stelle, die Sommersonnenwende in den Winter verlegen, Beltaine käme zu früh zur Frühjahrstagundnachtgleiche und außerdem würde ich den ganzen Tag über Nackenschmerzen jammern.“

      „Nackenschmerzen? Ach so! Aber vielleicht hat Afal ja ein dickes, weiches Schaffell und beobachtet die Sterne im Liegen?“

      Viviane kicherte und nickte anerkennend.

      Hanibu strahlte.

      „Afal ist also ein hoch angesehener Astronom.“

      „Ja. Er berechnet die Bahnen der Sterne. Nachts beobachtet er sie bei ihrem göttlichen Tanz und hat für jede Sternenkonstellation ein Knotenmuster parat. Wie er das ganze Knüpfwerk auseinander hält, ist mir zwar schleierhaft, aber er kann sogar Sonnenfinsternisse auf dreihundert Jahre vorausberechnen. Stell dir das mal vor, Hanibu! Dreihundert Jahre im Voraus! Mondfinsternisse gibt es ja viel öfter und sie sind auch leichter zu berechnen, aber irgendwie habe ich es trotzdem nie verstanden, obwohl ich schon mal dabei war, als sie die Sterne vom Himmel geholt haben.“

      „Sterne? Vom Himmel? Geholt?“

      „Das geht, glaube mir! Du brauchst nur einen Teich, ein riesengroßer Bottich geht aber auch. Da gehen eben weniger Sterne rein.“

      „Sterne rein? Wie?“

      „Ganz einfach. Du musst nur Stricke spannen und dort, wo sich die Sterne im Wasser spiegeln, da machst du einen Knoten. Wenn du das übers Jahr verteilt machst, erkennst du die Wanderung der Sterne. Nicht umsonst gibt es den See der Weisheit in unseren Mythen. Die Welt von Vater Himmel spiegelt sich bei uns hier unten auf der Mutter Erde wider.“

      „Aha, das ist wirklich interessant.“

      „Ja, das ist es, Hanibu. Es geht alles, wenn man weiß wie, auch Sterne vom Himmel holen. Und im Winter lehrt Afal zusätzlich die älteren Kinder Schreiben, Rechnen und Griechisch. Sein Weib, Fea, ist für die jüngeren zuständig, musst du wissen. Ach! Und dann überprüft Afal auch noch gemeinsam mit dem König wie viele Rinder, Schafe, Schweine, Ziegen und Gänse es in den Dörfern gibt, Getreide und Gemüse natürlich auch. Daraus wird errechnet, was die Dörfer abgeben müssen.“

      „Und wenn der König zu viel von euch verlangt?“

      Viviane schüttelte den Kopf.

      „Dafür ist Afal ja gerade zuständig. Der König verwaltet zwar seine Güter selbst, aber Afal überprüft alles zur Sicherheit und steht mit seinem Wort für jede Forderung ein. Keiner kann dann behaupten, der König würde zu viel verlangen. Verstehst du? Afal ist praktisch die Kontrolle für König und Clan.“

      Hanibu nickte.

      „Wie du vorhin schon gesagt hast: Er muss sich mehr verantworten als andere. Ja, ich verstehe. Aber wer legt die Abgaben fest? Wenn sie zu hoch sind, meine ich.“ Viviane nickte verstehend und schüttelte dann den Kopf.

      „Jedes Jahr zu Samhain wird der König neu gewählt, beziehungsweise bestätigt. Natürlich ist es wichtig, dass ein König Verbündete hat und hoch angesehen ist, aber was meinst du, was passiert, wenn sein Clan unzufrieden ist?“

      Viviane zog scharf die Luft ein und überließ es Hanibus Fantasie, was man mit einem König alles anstellen könnte, der sein Volk übers Ohr haut. Hanibu fasste sich auch prompt an die Gurgel.

      Viviane fühlte sich nun doch zu einer Erklärung genötigt, denn Lew würde ja auch eventuell König werden. Hanibu sollte keine schlaflosen Nächte haben, wegen der Vorstellung, ein aufgebrachter Haufen Bauern würde Lew aus ihren Armen zerren.

      „Keine Angst, Hanibu! Das ist wie beim Melken! Wir nehmen bei jeder Kuh doch auch nur ein bisschen Milch weg. Sonst würden wir uns ja ins eigene Fleisch schneiden. Und König Gort nimmt auch nur einen kleinen Teil. Er muss ja schließlich die Krieger und die Druiden mit ernähren.“

      „Warum gehen die nicht selbst auf die Felder?“

      „Oh, das tun sie ja! Sie haben jeder ein kleines Stück Land, das sie eigenhändig bewirtschaften. Alle Krieger, Druiden und Könige können pflügen, säen, ernten, mit einem Ochsen umgehen und