Liza Cody
Eva sieht rot
Die Eva-Wylie-Trilogie
Band 2
Aus dem Englischen
von Regina Rawlinson
Ariadne Kriminalroman 1203
Argument Verlag
Inhalt
1
Ich wollte bloß ein paar Bananen kaufen. Ich war auf dem Weg zum Laden, als ich eine Horde Blagen sah, die irgendwas umkreisten und dabei wie die Hyänen heulten. Sie johlten:
Dawn, die dreckige Nutte,
stinkt wie ’ne siffige Kutte.
Pennt mit jedem Freier,
geht jedem auf die Eier,
ihr Schlüpfer liegt im Dreck,
und ihr BH ist weg.
Dawn bedeutet Ärger. Sie ist total im Eimer und ein Klotz am Bein. Sie säuft wie ein Loch. Ich ging auf die andere Straßenseite. Wenn sie mich entdeckte, würde sie bloß erwarten, dass ich ihr die Blagen vom Hals schaffte und sie in einer Schubkarre nach Hause brachte. Also verdrückte ich mich lieber in Hanifs Laden.
Ich ließ mir Zeit hinter den Regalen. Wenn ich schön langsam machte, würde Dawn sich von selbst wieder berappeln und ohne meine Hilfe nach Hause wackeln. Anderen zu helfen endet immer in Tränen. Und Besoffenen zu helfen ist die reinste Zeitverschwendung. Besoffene sind nicht dankbar, sie bezahlen ihre Schulden nicht, und sie haben ein Gedächtnis wie ein Sieb. Wozu sollst du nett zu einem sein, der hinterher sowieso nicht mehr weiß, wie nett du warst? Kannst du mir das vielleicht verraten? Es hat bloß Sinn, einem anderen einen Gefallen zu tun, wenn der sich später auch daran erinnert und dir seinerseits einen Gefallen tut.
Außerdem sind sogar gereizte Wespen friedlicher als die Kids in diesem Teil Londons. Lass dir einen guten Rat geben – wenn du deine Ruhe haben willst, leg dich nie mit mehreren Jugendlichen auf einmal an. Ich war selbst mal jung, deshalb weiß ich, wie schlimm Blagen sein können, wenn sie in der Überzahl sind. Für ein Rudel gelten die normalen Regeln nicht, und jeder kleine Hosenscheißer, der alleine keiner Fliege ein Bein ausreißen könnte, wird in der Gruppe zu Conan dem Barbaren. Wenn ich’s mir recht überlege, gilt das für Erwachsene genauso.
Ich kenne mich mit Menschenmengen aus. Darin bin ich Expertin, weil ich Catcherin bin.
Ganz recht. Ich, Eva Wylie, die Londoner Killerqueen. Vielleicht hast du schon von mir gehört, wenn nicht, ist es auch egal. Auf jeden Fall mache ich mir allmählich einen Namen als der fieseste und härteste weibliche Bösewicht im Ring. Also erzähl mir nichts von Menschenmengen. Halt lieber die Klappe und stell die Lauscher auf. Du glaubst, ein paar Leute auf einem Haufen ergeben eine Menschenmenge? Das stimmt nicht, und das kannst du an jedem Publikum sehen. Ein Publikum ist nicht einfach bloß ein Haufen Leute. Es ist ein Tier. Ein brüllendes Tier. Man kann es streicheln, bis es Ruhe gibt. Man kann es reizen. Man kann es triezen und aufstacheln. Es kann friedlich sein, aber meistens ist es grausam. Leute, die sich niemals trauen würden, mich zu kritisieren, wenn sie mir auf der Straße Auge in Auge gegenüberstünden, schmeißen mir die ungeheuerlichsten Beleidigungen an den Kopf, wenn sie wissen, dass sie jederzeit in der Menge untertauchen können.
Das ist mir egal. Das stecke ich weg. Dafür werde ich bezahlt. Aber ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich mich mit einer Horde bösartiger, versauter Kids anlege. Außerdem bin ich Dawn nichts schuldig. Im Gegenteil.
Ich bin früher ab und zu mit Dawns kleiner Schwester Crystal rumgezogen, als wir beide noch Platte gemacht und an denselben Plätzen geschnorrt haben. Das war, bevor ich auf die Füße fiel, als ich noch auf der Straße lebte. Und bevor sich für Crystal das Blatt wendete und sie ihren Marktstand kriegte. Damals machte Dawn das dicke Geld, und Crystal und ich mussten Kohldampf schieben.
Die Geschichte war folgende. Eines Nachts, es war so bitterkalt, dass dir deine körperlichen Ausdünstungen in der Jacke gefroren und die Frostbeulen aufbrachen, hatten Crystal und ich uns in einem Abrisshaus in Hammersmith einen Schlafplatz gesichert. Wir hatten es uns gerade gemütlich gemacht, als wir von einer Truppe Uralthippies samt Hunden aufgescheucht wurden. Acht Hippies und drei Köter.
Gegen ein paar Gruftis hätte ich bestimmt was ausrichten können, ich war nämlich damals schon ziemlich kräftig. Aber gleich gegen acht! Und drei Hunde. Heute wäre es ein Klacks für mich, sie wüssten nicht, wie ihnen geschieht. Aber damals hatte ich mein volles Potenzial noch