Der zweite Einwand wird von denen kommen, die der Auffassung sind, Rassismus sei eine »schwarze« Erfahrung, die zu verstehen »weiße« Menschen unfähig seien. Diese Ansicht wird oft mit der Behauptung verteidigt, dass der Rassismus ausschließliches Produkt und Wesensmerkmal europäischer »weißer« Kulturen und Gesellschaften ist, und dass von daher alle, die diesen Kulturen und Gesellschaften angehören, notwendigerweise rassistisch belastet sind. Daraus folgt, dass die »Weißen« selbst Ursprung oder Ursache des Problems sind und ihnen von daher die Fähigkeit abgeht, den Rassismus verstehen, analysieren und erklären zu können. Des Weiteren könnte das Argument vertreten werden, dass gerade die »weiße« Beteiligung an der Bloßstellung und Bekämpfung des Rassismus ein Beweis mehr für eine rassistische und kolonisierende Einstellung ist, weil diese Haltung den eigentlichen Opfern keinen Raum für eigenständiges, autonomes Handeln lässt. Diese Argumente werden eher im politischen als im akademischen Bereich vorgebracht, wiewohl hier Echos des Ersteren widerhallen. Offensichtlich wird dies etwa in Bezug auf die problematische Kategorie einer »weißen Soziologie« (CCCS 1984: 133f.).
Zumindest in ihrer »harten« Version kann ich diese Argumente nicht akzeptieren. Wie ich weiter unten noch erläutere, ist es ein Fehler, die Parameter des Rassismus durch Verweis auf die Hautfarbe zu begrenzen. Immerhin sind verschiedene »weiße« Gruppen Objekte des Rassismus gewesen und rassistische Äußerungsformen nicht auf »weiße« Menschen begrenzt. So können ohne Zweifel viele Bekundungen des »schwarzen« amerikanischen »Black Muslim«-Führers Louis Farrakhan als rassistisch beschrieben werden (vgl. Searchlight, März 1986 und September 1987).
Von größerer Bedeutung aber ist die Vorstellung, »Erfahrung« sei das ausschlaggebende Moment bei der Fähigkeit, erforschen, lernen und erkennen zu können. Wird dies Argument in seiner »harten« Version interpretiert, so muss es aus einem logischen Grund heraus scheitern: wenn nämlich Rassismus ein Vorrecht »weißer« Menschen, ein ausschließliches Produkt ihrer Praxis und Erfahrung ist, so ließe sich behaupten, dass nur »weiße« Menschen die Motive und den Ursprung des Rassismus zu begreifen in der Lage sind. Mehr noch, wenn Erfahrung das letztlich ausschlaggebende Moment dessen ist, was erkannt und erklärt werden kann, so werden Untersuchungen über das Ausmaß diskriminatorischer Praktiken in gravierender Weise eingeschränkt. In britischen Studien zu diesem Thema ist festgestellt worden, dass Menschen karibischer und asiatischer Herkunft in Großbritannien weniger häufig die Erfahrung der Diskriminierung machen, als Methoden experimenteller Forschung (in denen man zum Beispiel die Reaktion von Arbeitgebern auf von Schauspielern dargestellte schwarze und weiße Stellenbewerber testet) dies vermuten lassen (Smith 1977: 127-40). Wenn also, mit anderen Worten, die »schwarze« Erfahrung in Großbritannien als einzig signifikanter Maßstab der Realität genommen wird, so wird mit einem solchen Kriterium das Ausmaß der Diskriminierungsformen gewaltig unterschätzt.
Es ist zum Beispiel wahr, dass die Erfahrung von Menschen karibischer und asiatischer Herkunft sich oftmals insoweit von der der »eingeborenen« Bevölkerung unterscheidet, wie Teile der Letzteren sich rassistischer Äußerungsformen bedienen und Diskriminierung betreiben. Desgleichen kann die Übernahme von rassistischen und kolonialen Vorstellungswelten den Raum einschränken, innerhalb dessen Mitglieder der »eingeborenen« Bevölkerung dem Rassismus Widerstand entgegensetzen. Der Fehler liegt in der Annahme, dass die Erfahrung der karibischen und asiatischen Bevölkerung sich in allen Lebensbereichen von der der eingeborenen Bevölkerung unterscheidet und dass alle Mitglieder der eingeborenen Bevölkerung sich dem Rassismus nicht oder nur eingeschränkt entgegenstellen. Das ist falsch, weil solche Unterstellungen auf der Grundlage einer rein kontextgebundenen Stichprobe eine gesellschaftlich konstruierte Kategorie unzulässigerweise verallgemeinern. Zudem leugnen sie eine relative Objektivität, um einer absoluten Subjektivität Vorschub zu leisten.
Obwohl (oder besser: weil) also die Erfahrung vieler »weißer« Menschen im Vergleich zu »schwarzen« Menschen begrenzt ist, gibt es doch nicht so etwas wie eine einzige Wahrheit über den Rassismus, die nur Letzteren zugänglich wäre. An einer solchen Auffassung festzuhalten hieße tatsächlich, die »weißen« Menschen zu einem universellen Wesensmerkmal zu verdammen, ihnen folglich den Besitz einer dauerhaften Charaktereigenschaft zuzuschreiben, die sie unvermeidlicherweise von anderen Menschen abhebt. Wie Said mit einer gewissen Untertreibung bemerkt, ist »die Vorstellung, dass es geographische Räume mit eingeborenen, radikal ›unterschiedlichen‹ Einwohnern gibt, die auf der Grundlage irgendeiner diesem geographischen Raum eigenen Religion, Kultur, oder rassischen Wesensart definiert werden können, […] eine fragwürdige Idee« (Said 1985: 322). Wenn man von der Vorstellung ausgeht, dass Wahrheit relativ und konsensuell ist (wobei Letzteres den Gebrauch von wiederhol- und verifizierbaren Forschungsmethoden einschließt), und dass die Behauptungen, die man vorbringt, sich als falsch erweisen können, so gibt es keinen Grund zu der Annahme, die eigene Hautfarbe würde einen natürlicheroder unvermeidlicher Weise daran hindern, einen Beitrag zum Verständnis des Rassismus zu leisten.
In die politische Auseinandersetzung um den Begriff und um das Ausmaß des Rassismus hat sich seit einiger Zeit auch die Neue Rechte eingeschaltet. Die Motive und Absichten dieser politischen Bewegung haben für unseren Zusammenhang nur eine beschränkte Bedeutung und sind anderenorts kritisch diskutiert worden (Levitas 1986, Gordon und Klug 1986). Was den Rassismus angeht, so entspringt ihre Intervention einer Besorgnis über die beobachteten Folgen anti-rassistischer Initiativen in Großbritannien, wobei die von Palmer (1986) herausgegebene Essaysammlung sich insbesondere auf das britische Bildungs- und Erziehungssystem konzentriert. Er und seine Kollegen werden offensichtlich von dreierlei Sorgen geplagt. Zunächst gilt der Rassismus nunmehr als eine hegemoniale Ideologie und Praxis (Palmer 1986: 1f.) und von der »Lobby für ›Rassenbeziehungen‹« wird gesagt, sie sei »die mächtigste Interessengruppe, die wir im Augenblick überhaupt haben« (Honeyford 1986: 44). Zweitens wird behauptet, dass der Anti-Rassismus »die Herstellung harmonischer Beziehungen zwischen den Gemeinschaften erschwert«, weil er »bei den ethnischen Minderheiten wie auch der eingeborenen Bevölkerung Ablehnung und Argwohn« befördert (Levy 1986: 120f.). Und schließlich heißt es, der Anti-Rassismus würde es verabsäumen, das zur Verfügung stehende Beweismaterial vollständig zu untersuchen, und somit seine Behauptungen ohne ausreichende Absicherung durch Tatsachen vortragen (Marks 1986: 38). In einem Aufsatz wird sogar behauptet: »Man kann es nur als politisch ungesund bezeichnen, wenn ein Großteil der Literatur über Rassenbeziehungen in Großbritannien so verzerrt ist, dass es der systematischen Lüge nahe kommt« (O’Keeffe 1986: 195).
Diese Verpflichtung auf vollständige Würdigung des Beweismaterials vorausgesetzt, erweist sich der von Palmer edierte Sammelband als grundlegend verfehlt, weil alle diese Bedenken nirgendwo durch Tatsachen untermauert werden. Darüber hinaus richten sie sich nicht gegen den Anti-Rassismus als solchen. Vielmehr ist der eigentliche Feind der Marxismus, da behauptet wird, anti-rassistische Initiativen würden sich direkt oder indirekt auf – selbstverständlich von vornherein falsche und unannehmbare – marxistische Analysen stützen (Palmer 1986: passim; vgl. etwa Flex 1986: 18f., Honeyford 1986: 55). In Wahrheit muss eher bezweifelt werden, ob sehr viel von der Literatur, die unter dem Banner des Anti-Rassismus erscheint, die Bezeichnung »Marxismus« verdient hat, weil dieser oftmals als eurozentrisch (Sivanandan 1982; Robinson 1983) oder als veraltet (Gilroy 1987: 18f., 245) dargestellt wird.
Dennoch ist Palmers Buch für unseren Zusammenhang von einigem Interesse, weil es in der Literatur, die eine ausdrücklich anti-rassistische Perspektive entwickelt, zwei zentrale Schwachpunkte richtig benennt und seinen Gewinn daraus zieht. Das heißt natürlich nicht, dass man den Schlussfolgerungen, die die einzelnen Beiträge ziehen, zustimmen muss.
Zunächst richtet sich eine Reihe von Aufsätzen gegen die zunehmende Tendenz, den Rassismus-Begriff in einer lockeren und oftmals undefinierten Weise zu verwenden (vgl. etwa Flew 1986); das ist ein Einwand, dem ich zustimme. Allerdings findet sich in Palmers Buch nicht ein einziger Beitrag, der einen ernstzunehmenden Überblick über die Entwicklung des Begriffs oder seine gegenwärtige Verwendung in der wissenschaftlichen Literatur böte. In dieser Hinsicht