Hans Ulrich Gumbrecht, Jahrgang 1948, studierte Romanistik, Germanistik, Philosophie und Soziologie. Er lehrte an den Universitäten Konstanz, Bochum und Siegen. Seit 1989 ist er »Albert Guérard Professor in Literature« an der Stanford University. Zuletzt sind von ihm erschienen »Unsere breite Gegenwart«. (2010), »Stimmungen lesen. Über eine verdeckte Wirklichkeit der Literatur«. (2011) und »Nach 1945. Latenz als Ursprung der Gegenwart«. (2012).
Hans Ulrich Gumbrecht
Digital_Pausen
Konturen einer flüchtigen Gegenwart
zu Klampen
Inhalt
Das größere Ganze
Nach dem Ort des Menschen im Kosmos fragen, heute
Michael Schumacher und Malaysian Air 370: Überleben als Signatur der Gegenwart
»Gott ist tot.« – Was können wir mit Nietzsches Feststellung heute anfangen?
Unsterblichkeit, Glück – und Vitalität?
Das eigenartig Politische
Sozialdemokratie als europäisches Schicksal?
Die Armut der allernächsten Zukunft
Eliten von morgen: ein letztes Mal Utopie
Kann es noch ein Recht des Stärkeren geben?
Ob man »unpolitisch« sein darf?
Nation aus Provinzen
Was Deutschland so anders macht oder: Dr. Klöbners »Herkunftsabhängigkeit«
Ist die Provinz bedroht – und mit ihr das Denken?
Hölderlins Sprache und Heidelberg – strophenweise
Ist Bochum besser, als man denkt?
Hartz-IV-Provinz, Niedergang und stumpfe Melancholie
Schönheit aus Momenten
Die Sehnsucht nach dem Schönen der Gegenwart
Piercings, Narben, Schmisse – von innen und außen
Zeit ohne Leidenschaft/Zeit für Balzac
Lyrik als Form für die Gegenwart
Philosophie des leeren Stadions
Für meine Freunde
Jan Söffner und Miguel Tamen,
mit Dank für
wöchentliche Zuwendung
Unverhoffte Umrisse
Die Begrüßung an der Rezeption des schönen Kölner Hotels, in dem am letzten März-Wochenende 2011 für mich ein Zimmer reserviert war, hätte bedeutungsvoller und prägnanter nicht ausfallen können: »Frank Schirrmacher, der Herausgeber der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹, erbittet Ihren Rückruf baldestmöglich, es gehe um eine äußerst wichtige, persönlich folgenreiche Entscheidung.« Mit Mühe und Konzentration konnte ich gerade noch die insistierenden Angebote abwehren, doch sofort von der Rezeption aus Schirrmachers Nummer zu wählen. Ich wusste ja, wie unverrückbar effizient er seinen Willen auch anlässlich ganz durchschnittlicher Situationen deutlich machte. Und dass fast jede Äußerung in seinem kurzen Leben auf Hochfrequenz geschaltet war, widersprach nicht meiner – in unserer gemeinsamen Eile bis zum Ende immer zu vagen – Erfahrung, dass Frank ein guter, ohne Ausnahme verlässlicher, sorgender, auf seine Weise ganz und gar zugewandter Mensch war.
Also rief ich von dem Upgrade-Zimmer mit Domblick gleich zurück, zuerst die Nummer, die man mir an der Rezeption gegeben hatte, dann all die anderen Schirrmacher-Nummern, die in meinem Notizbuch standen, traf wie immer bei solchen Gelegenheiten auf viele freundliche Sekretärinnen, FAZ-Mitarbeiter und Anrufbeantworter und dachte mir, auch wie immer und etwas ungeduldig, dass dies wohl eine lächerliche Strafaktion sei für einen Rückruf, der nicht unmittelbar gekommen war, bis sich dann, unerwartet schon, die lebendige Stimme meldete: »Es hängt sehr viel davon ab, dass du einen Blog für unsere Online-Ausgabe schreibst, wöchentlich, ab nächsten Monat, absolut freie Themenwahl.« Damals, vor weniger als fünf Jahren, standen den großen Zeitungen ihre finanziell und inhaltlich enttäuschenden Erfahrungen mit den elektronischen Ausgaben noch bevor, und außerdem verstand es Frank Schirrmacher wie wirklich