Alle drei nicken. Die Dame in der Mitte besonders.
»Diese Jahreszeit ist einfach wie gemacht für das In-sich-Gehen.«
Die Dame rechts zupft einen Fussel vom ordentlich über den Arm gelegten Wollmantel. »Feierlich war sie, diese Predigt, das muss man dem Pastor schon lassen. Aber musste er denn am Ende wieder auf diese Sonderspenden und Opfer hinweisen? Meinem Mann und mir gefällt das gar nicht.«
Von links und aus der Mitte kommt enthusiastische Unterstützung durch nahezu synchrones Kopfnicken:
»Genau! Um diese Zeit sind immer schon die Jahresbeiträge für den Automobilclub und das Konzertabo fällig. Und die Rate für das Wochenendhaus kommt auch bald wieder auf den Tisch.«
»Bei uns kommen noch die Sportvereine dazu, die Studiengebühren der Kinder! Es wird einem aber auch gar nichts geschenkt!«
Erneutes heftiges Nicken von rechts und aus der Mitte, wobei die Dame in der Mitte leicht nervös die Oberlippe verzieht.
»Dann wird immer gleich an das weibliche Feingefühl appelliert mit diesen Bildern und Sätzen von Ausländern – als ob uns hier in Deutschland alles in den Schoß fiele …«
Ein weiterer Fussel wird vom Mantelrevers geschnippt.
»Ist dein Mantel eigentlich neu? Der ist ja todschick!« Der Stoff und die Verarbeitung werden eingehend bestaunt. Es folgt allgemeine Bewunderung.
»Man muss doch auch mal an sich denken! Gerade hat Walter die neue Skiausrüstung bekommen.«
»Vergiss nicht die neuen Winterreifen, von denen du letzten Sonntag erzählt hast, und den neuen Bildschirm für euren Sohn!«
Die Dame links erhebt den Zeigefinger der rechten Hand, wobei sie ihr glitzerndes Armband kurz im Lichtkegel der Deckenbeleuchtung spielen lässt:
»Da hast du goldrichtig gehandelt! Für uns muss auch immer mal wieder etwas herausspringen, sonst kommt man selbst viel zu kurz!«
Rasche Seitenblicke nach links und rechts.
»Wenigstens etwas Schönes für sonntags muss man doch im Schrank haben!« Die Köpfe wandern aufeinander zu und werden etwas dichter zusammengesteckt.
»Also, wenn ich da an diese Frau aus der Nachbarschaft denke, die seit kurzem die Gottesdienste besucht, da muss ich mich schon sehr wundern! Wie kann man denn in solch abgewetzten Klamotten in der Kirche erscheinen?« Die Röcke werden pikiert glatt gestrichen.
»Mir wäre das direkt peinlich.« Zur Sicherheit werden auch die Blusen noch einmal gerade gezupft. »Ich habe gehört, die andere junge Frau aus der Nachbarschaft, diese mit Kleinkind, ohne Mann – die wurde wohl in den Hauskreis bei Berchtholds eingeladen.« Die zwei anderen Damen machen große Augen.
»Aber das war doch immer so eine gemütliche Runde bei ihnen!«
»Die Frau des Pastors sagte, wir sollten beim nächsten Treffen vielleicht einen Bibelkurs starten.«Von links kommt eine abwehrende Handbewegung, während die Augen der Dame rechts noch größer werden.
»Was? Wir dürfen uns nicht einfach nur unterhalten, wie wir wollen, wir müssen den Ablauf ändern, nur weil diese eine Person so unwissend ist und nichts vom christlichen Glauben weiß?«
Die mittlere Dame erwidert: »Vielleicht können wir mit der Frau des Pastors einmal reden. Sie scheint sich ja gut mit dieser Bekanntschaft aus der Nachbarschaft zu verstehen. Da könnte sie sich doch erst mal zu zweit mit ihr treffen, oder?«
»Gute Idee! Das ist doch auch irgendwie ihre Aufgabe, sich um die Einzelgänger und Neuen in der Gemeinde zu kümmern – so als Frau des Pastors.«
Der zuvor bewunderte neue Mantel wird langsam angezogen, wobei der Wollstoff betont langsam über die Ärmel gestreift wird. »Dann sollten wir sie gleich noch mal darauf ansprechen, dass ihr Mann und der Diakon mitunter ziemlich viel fordern. Vielleicht kann sie ihm das als Ehefrau mal stecken.« Ein fragendes Gesicht in der Mitte bekommt sogleich eine erklärende Antwort von links und rechts: »Der Pastor hat doch diesen Fahrdienst für ältere Personen begonnen. Da hat der Diakon doch neulich meinen Mann gefragt, ob er denn nicht auch einmal im Monat einige Senioren zum Gottesdienst abholen und wieder nach Hause fahren könnte.« Kopfschütteln aller drei Damen und nahezu rhythmisches Klirren hängender Ohrringe. »Man möchte doch gerade am Sonntag, am Ruhetag, auch mal ein wenig verschnaufen!«
»Wo die Männer die ganze Woche mit ihren Firmen zu tun haben und wir mit unseren Arbeitsstellen …« Die Köpfe rücken wieder etwas auseinander.
»Und die anderen Verpflichtungen kommen ja noch dazu: Elternverein der Schule, Segelclub – da wünscht man sich doch gerade am Sonntag etwas Privatleben!« Von links wird sogleich zugestimmt:
»Wir sollten uns doch ein Minimum an persönlicher Freiheit beibehalten können, findet ihr nicht?«
Einem Augenaufschlag von rechts folgend, rücken die Köpfe der drei Damen wieder etwas dichter zusammen. »Wenn ihr mich fragt, dann hat der Diakon gar keinen Grund, andere zu fragen – der Pastor wird für so was bezahlt. Er hat eben andere Arbeitszeiten und als Pastor auch andere Aufgaben als wir.«
»Und vor allem: Wenn ich mir sein Auto anschaue, dann wundere ich mich schon ein wenig, dass auch noch andere fahren sollen.«
»Über zu wenig Platz in seinem Auto kann er sich nun wirklich nicht beklagen.«
»Da hast du recht: Welcher Pastor fährt schon einen 7-Sitzer!«
Wieder herrscht große Einstimmigkeit. Mit wichtigem Seitenblick legt die Frau von links noch mal nach:
»Der Diakon kann ja einmal mehr fahren, der hat auch einen großen Wagen! Oder seine Frau – die findet ja immer, man müsse sich mehr in die Gemeinde einbringen.« Die Köpfe gehen wieder leicht auseinander. Erste Blicke auf die glitzernden Armbanduhren deuten das bevorstehende Ende der sonntäglichen Erbauungsgespräche an.
»Ach, bevor ich es vergesse: Bald ist ja der Weihnachtsbasar, da werden sicher wieder diese hübschen Seidentücher verkauft, oder?«
»Du meinst diese Schals und Halstücher aus der Behindertenwerkstatt? Ich denke schon!« Nicken von links.
»Ja, diese bunten, hübschen! Ich werde nämlich nicht hier sein können für den Basar, das Wochenendhaus muss winterfest gemacht werden!«
Von rechts und aus der Mitte prompte Bekräftigung:
»Aufbauen kann ich auch auf keinen Fall, da muss ich meine Weihnachtseinkäufe erledigen.«
»Nein, da werde ich auch nicht helfen können! Der Basar fällt immer auf den Samstag nach unserer Betriebsweihnachtsfeier. Das wird mir dann zu viel.«
Von links rückt der Kopf wieder etwas näher. »Ich wollte euch nur bitten, mir drei oder vier von diesen Tüchern beiseitelegen zu lassen – die machen sich immer so nett als Mitbringsel beim Skivereinstreffen, und die kosten ja auch nicht so viel wie im Laden – bevor die Besucher aus dem Viertel wieder alles wegkaufen.«
Sogleich folgt ein Einwurf aus der Mitte:
»Wir können das gleich der Frau vom Pastor mitteilen, wenn wir eh schon mit ihr reden.«
»Gute Idee! Sie muss ja mithelfen, als Angestellte der Gemeinde, da kann sie gleich schon beim Aufbauen ein paar von den Schönsten beiseitelegen …«
»Und mir schmeckt die selbst gekochte Blaubeermarmelade von Kerstin immer so gut. Die werde ich am Parkplatz noch fragen, ob sie mir nicht einfach vorab schon welche verkaufen kann, etwas billiger, so unter Freunden – beim Basar ist immer alles gleich weg, wenn die ganze Nachbarschaft hier durch das Gemeindehaus rennt.«
Verständnisvoll nickend bewegt man sich, Mäntel glattstreichend und Hüte zurechtrückend, in Richtung Ausgang. Dem Pastor wird freundlich die Hand geschüttelt.
»Ach,