Aber genug der Tiraden, Adrian. Ob ich Lust auf ein Bier habe, fragst Du? Aber sicher. Wir haben hier eine wunderbare Kneipe gleich an der nächsten Straßenecke. Echtes gezapftes Bier. Freundliches Personal. Und keine Plastikgartenstühle.
Liebe Grüße,
Jeff
SIEBEN
Lieber Jeff,
da bin ich wieder und finde mich zu unserem Zwei-Mann-Trottel-Kreistreffen ein. Eigentlich lässt es sich hier ganz angenehm leben, und es ist genau die richtige Arena, um ein bisschen deprimierend schmutzige Wäsche zu waschen. Irgendetwas ist ja immer, nicht wahr?
Die frommen Klischees, von denen Du gesprochen hast, haben mich an etwas Bestimmtes erinnert. Vor ein paar Jahren war ich an einer Konferenz beteiligt, bei der die Jugendarbeit von einer Gruppe junger Erwachsener geleitet wurde, denen es gewiss nicht an Begeisterung und gutem Willen mangelte, die aber offensichtlich viel zu viel Zeit damit verbracht hatten, das Handbuch der frommen Standardsprüche auswendig zu lernen. Sicher ist auch Dir diese Sammlung billiger Bonbons in glänzendem Stanniolpapier, bei denen sich einem die Fußnägel aufrollen, bestens vertraut. Beispiele gefällig?
„Wenn Gott nicht mehr an deiner Seite ist – rate mal, wer sich entfernt hat.“
„Du hast es vielleicht im Kopf, aber ist es auch schon die vierzig Zentimeter hinunter in dein Herz gerutscht?“
Das Schlimme sind eigentlich nicht diese banalen Sprüche. Was mich stört, ist die Geisteshaltung, die nicht bereit ist (oder es nicht wagt), zuzulassen, dass alles, was an uns unfertig und unausgegoren ist, unsere Menschlichkeit, unsere individuellen Unterschiede oder auch unterschiedliche geistliche Reiserouten, zu unserem Weg zu Jesus dazugehören. Mir ist nur zu klar, dass manche Leute den letzten Punkt auf dieser Liste als Hinweis auffassen werden, ich hinge der Vorstellung an, alle Religionen einschließlich des Christentums seien verschiedene Lichter, die die vielen Facetten ein und desselben Kristalls beleuchteten. So denke ich gewiss nicht, Jeff. Jesus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, aber schon ein Blick ins Neue Testament zeigt uns, dass der Meister gnädig und einfallsreich genug ist, Menschen an unerwarteten und überraschenden Stellen ihrer Reise zu begegnen, nicht seiner.
Es ist so, als würde eine Gruppe fanatischer Schottland-Anbeter steif und fest behaupten, der einzige Weg von London nach Edinburgh sei der über Leicester und die A 74 in einer getunten Isetta. Stimmt nicht. Ist nicht vernünftig. Entspricht nicht den Tatsachen. Ist ein bisschen bescheuert.
Jedenfalls, die Gruppe junger Leute, die ich eben erwähnt habe, zogen die ganze Woche über ihr gutgemeintes, aber ziemlich schlichtsinniges Ding durch und merkten wahrscheinlich gar nicht, dass mindestens zwei von den Leuten in ihrer Gruppe ziemlich abgestoßen und enttäuscht davon waren, wie sie den Glauben dargestellt hatten. Ein junger Mann erzählte mir von dem bedeutsamen, verschlungenen Weg, den er zurückgelegt hatte, bis ihm die Möglichkeit des Glaubens aufging. Er war sehr enttäuscht darüber zu erleben, wie „eng“ hier der christliche Glaube ausgedrückt wurde. Was er brauchte, war, aufgeschlossen zu werden, nicht zugenagelt. Leider gibt es eine subtile Form von Pöbelherrschaft in Gruppen von Christen, die sich ihrer Sache nicht ganz so sicher sind, wie sie es gerne wären. Im Gegensatz zu anderen Pöbelscharen ziehen diese verunsicherten Kohorten jedoch nicht durch die Straßen und greifen alles an, was sich bewegt, sondern ziehen sich in Festungen zurück, um dort allen Angriffen der Wahrheit und der Wirklichkeit zu trotzen. In diesen Festungen gibt es dann nur eine kleine Tür für die unter uns, die vielleicht gerne hinein möchten, und dazu müssen wir das Passwort genau kennen.
Übertreibe ich? Die Frage treibt mich um, wie immer, wenn ich mich in Fahrt rede wie jetzt, aber dann fällt mir etwas ein, was erst neulich passiert ist. Ich saß bei einer unserer großen christlichen Veranstaltungen vor einem Zelt und tat so, als läse ich ein Buch. In Wirklichkeit lauschte ich einer Gruppe netter junger Leute am nächsten Tisch, die sich begeistert darüber unterhielten, wie Gott in ihrem Leben wirkte. Es war ebenso entzückend wie beängstigend, Jeff. Ich erinnere mich noch an einen oder zwei Fetzen aus dem Gespräch.
„Jessica ist wirklich prophetisch begabt, aber ich glaube, sie ist nicht ganz so prophetisch begabt wie Sam, und Rachel ist einfach Wahnsinn! Sie sagt: ‚Gott sagt das und das über dich ...‘, und es ist einfach nur wow! Total krass, wisst ihr.“
„Da war so ein phantastischer Redner, der sagte, der Heilige Geist würde mit Macht kommen, und kaum hatte er das gesagt, wurden überall Leute geheilt. Gott war so was von da! Wisst ihr, was ich meine? Es war umwerfend!“
Eigentlich bezaubernd, und die Vorstellung, diesen Überschwang zu ersticken, ist mir widerwärtig. Aber die ganze Sache machte mir riesige Angst – um sie, um die Leute, denen sie begegnen, um die Gemeinde der Zukunft und um Gott, der nach meiner nicht besonders bescheidenen Meinung keineswegs mit solchen Erlebnissen um sich wirft wie mit Konfetti bei einer Hochzeit. Die Kultur der lebhaften geistlichen Unmittelbarkeit hat eine große Anziehungskraft, besonders für junge Leute, aber sie muss echt sein, nicht wahr? Mir scheint, es ist ein altbekanntes Rezept fürs Scheitern, wenn man auf Worte mehr Gewicht legt als auf Substanz.
Was meinst Du, Jeff? Bin ich nur ein griesgrämiger alter Christ, der einfach den Leuten ihren harmlosen Spaß nicht gönnt, oder gibt es tatsächlich einen Kampf, der in diesem Bereich ausgefochten wird? Was immer die Antwort darauf letztlich sein mag, ich werde wahrscheinlich weiter in meiner Ecke kämpfen und hoffen, dass es auch Gottes Ecke ist. Ich kann nicht anders. Zum Beweis hier noch eine Tirade, wenn Du es noch aushalten kannst.
Ist Dir aufgefallen, dass wir Christen uns endlich eine angenehm neutrale Weise angewöhnt haben, um anzudeuten, dass Gott zu uns geredet hat? Bisher gab es dazu folgende Möglichkeiten:
„Das Wort des Herrn kam zu mir und sagte ...“ Glaube ich nicht.
„Gott hat etwas Interessantes zu mir gesagt, als wir uns heute Morgen beim Kaffee unterhielten ...“ Nein, hat er nicht.
„Gott hat mir ein Wort für dich gegeben ...“ Passiert komischerweise nie beim Scrabble.
„Gott hat mir gesagt ...“ Bei Weitem zu sehr von sich überzeugt, und es lässt keinen Widerspruch zu.
Dieses Letzte ist genau das, was unser neuer Kompromiss erfolgreich zu vermeiden versucht. Das Ziel ist es, genau die richtige Balance zwischen abstoßender Selbstsicherheit und wenig überzeugender Schwammigkeit zu treffen. Und das geht so:
„Ich empfand, dass der Herr sagte ...“
Was meinst Du, Jeff? Haben wir die Nuss geknackt? Macht die sanft angedeutete Demut, etwas zu empfinden, statt etwas zu hören, unseren Anspruch, eine Mitteilung von Gott erhalten zu haben, einigermaßen akzeptabel oder überzeugend? Oder ist uns die Sache entglitten, und wir bekommen es einfach nur mit der Angst zu tun, wenn es um die höchst erstrebenswerte Gabe der Prophetie geht? Ich weiß nicht, wie Du darüber denkst, aber ich empfinde, dass der Herr sagt ...
Der ernsthafte Hintergrund all dessen ist, dass wir Christen, die wir uns verständlicherweise nach etwas Stabilität und Vorhersehbarkeit in unserer Glaubenserfahrung sehnen, alle möglichen farblosen, irreführenden und sogar bewusst destruktiven Attacken gegen die Ausbreitung des Reiches Gottes billigend in Kauf nehmen – solange diese Attacken nur unseren frommen Status quo absichern, der uns gegen unwillkommene Einmischungen Gottes in unserem Leben absichert. Wo wir gerade dabei sind: Eine meiner aktuellen Tiraden betrifft die grundlegende