Keine Beleuchtung, es war dunkel im Gang. Ein Schaffner verlangte meine Fahrkarte, redete auf mich ein, nahm meine Hand und zog mich zum Ende des Wagens. Nun merkte ich, dass ich im Schlafwagen für Männer gelandet war. Der Schaffner schloss die Tür zum nächsten Wagen auf, ich freute mich, dachte, er würde mir einen Sitzplatz besorgen.
Weit gefehlt, er warf mich förmlich auf den Perron des nächsten Wagens und schloss die Wagentür hinter mir ab.
Der Perron war voll besetzt, Männer saßen auf dem Boden, ich musste auf einem Bein stehen, das andere hing zwischen Staffelei und Reisetasche.
Die Mitreisenden sahen mich mitleidig an, mir ging es schlecht. Lyon kam in Sicht, einige Reisende stiegen aus, ich konnte besser stehen.
Ich sah die Rhône, die Sonne ging auf! Sonne im Tal der Rhône, ein überwältigender Anblick, ich fieberte der nächsten Station Orange entgegen.
Kein Mensch erwartete mich am Bahnsteig in Orange, kein Schild: »Hier nach Séguret«, war zu sehen. Ich ging durch einen Tunnel, um in die Bahnhofshalle zu gelangen und … dort stand ein kleiner Mann in kurzer Hose. Er sah freundlich aus, hatte ein Bärtchen und lustige, listige Augen strahlten mich an. Arthur Langlet mit meinem Passfoto in der Hand, so war es vereinbart.
An der Gepäckausgabe erfuhren wir, dass mein großer Koffer noch nicht eingetroffen war. Herr Langlet tröstete mich mit den Worten, er werde mir nun gleich den ›Arc de Triomphe‹ zeigen, als Ersatz für den fehlenden Koffer. Und das am Morgen gegen sieben Uhr. Begeistert war ich nicht, denn er hatte einen Fahrstil, den ich nie vergessen werde.
Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen, als mich Herr Langlet nach Séguret fuhr.
Entschädigt hat mich dann diese mir unbekannte, wunderschöne Landschaft, die Fahrt durch kleine Orte, vorbei an Weinfeldern und Olivenbäumen.
Es sollte ein herrlicher Frühlingstag werden und noch viele Tage und Jahre in der Provence folgen. In vergangenen Jahren konnte ich verschiedene Künstlerinnen und Künstler und oft ihre Begleiter im Atelier kennenlernen.
Immer wieder gab es Erlebnisse mit interessanten Menschen, mit der Kunst und meinen ungemalten Bildern, die noch in meiner Seele wohnen. Wann werde ich diese malen, malen können?
Traurige und lustige Geschichten konnte ich erleben, andere wurden mir erzählt, wenn ich mit Künstlern unterwegs war oder auch am Abend auf der kleinen Terrasse.
Wir setzten uns oft nach dem großen Abendessen mit den fünf Gängen, es gab immer Brot, Wasser und Wein, an den Pinienbrunnen oder Kamin, erzählten bis in die Nacht unsere Erlebnisse.
Hier im Buch schreibe und beschreibe ich das bewegte, erfüllte und aufregende Malerleben von den anwesenden Künstlerinnen, Künstlern und von mir in Séguret. Auch die Geschichten, die mir oft erst zu später Stunde, am Brunnen sitzend, erzählt wurden.
Es war einmal …
Platane am Tor
Rohrfederzeichnung 2015
Erinnerung an St. Esprit
1991 – Seit einigen Wochen streifte ich täglich zum Malen durch die Lande. Wie immer mit Rucksack, Mappe und Malhöckerchen. Wenn ich am Morgen in die Landschaft lief, wusste ich oft nicht, wie lang sich der Weg bis zum Motiv erstreckte. Es sei denn, dass ich den Ort oder die bestimmte Stelle kannte. So war ich erfreut, als Gevehard im Atelier eintraf. Wir kannten uns aus vorherigen Aufenthalten. Seinen Vorschlag, mit Hans und mir zu einem Konzert in die Chartreuse de Valbonne zu fahren, nahm ich erfreut an.
Wir fuhren mit seinem Auto von Séguret aus in die Richtung St. Cécile und Bollène nach Pont St. Esprit. Weiter über die Rhône-Brücke in Richtung Ardèche. Erster Halt in St. Esprit.
Von den wunderschönen, jedoch sehr verfallenen Renaissance-Häusern mit den großen Freitreppen waren wir beeindruckt. Wir gingen staunend auf und ab und fotografierten die prunkvollen Gebäude und uns gegenseitig.
Meine Kollegen wollten unbedingt sofort zeichnen. Wie oft praktiziert, trennten wir uns für einige Stunden.
Ich war wie immer beim Erkunden neuer Landschaften und den Orten erfüllt vom Sehen, Aufnehmen und Einatmen der Atmosphäre, dass ich allein ging.
Ich spazierte die Treppen auf und ab bis zum Ufer der Rhône. Trotz der Mittagshitze war es am Wasser nicht zu heiß. Die Füße im warmen Sand, träumend konnte ich die Seele sprechen lassen. Kein Mensch war in der Nähe und störte meine Gedanken, diese gingen auch zurück in die Vergangenheit, erinnerten mich an meine große Liebe. Versunken nahm ich Stift und Papier zur Hand, das Gedicht, es schrieb sich von allein. Liebe ist der Titel.
Danach traf ich die Malkollegen, wir fuhren weiter. Noch Mittagshitze, gleißendes Licht und wenig Wind waren unsere Begleiter. Leise zitterten die Pappeln am Weg. Silbrig ihre Farben, Monet-Pappeln! Üppige Weinfelder, Rosenbüsche in der ersten Reihe leuchten auf. Der Fahrer des Wagens fuhr langsam, auch er genoss die einmalige Landschaft der Provence im Frühling. Grün, grau und rosé bis violett zeigte sich die Natur.
Es ist ein diffuses Licht, das Licht der Provence.
Valbonne liegt in einem Tal. Die Fahrt geht bergauf und bergab durch ein Waldgebiet. Gegen sechzehn Uhr haben wir unser Ziel erreicht, da das Konzert erst um zwanzig Uhr beginnen soll, haben wir Zeit, uns umzusehen.
Zuerst besichtigen wir die Klosteranlage. Im Kloster werden jetzt kranke Menschen beherbergt und betreut. Es gibt verschiedene Therapien für Alkoholiker und andere suchtkranke Menschen. Touristen können das Kloster zu bestimmten Zeiten besichtigen. Ein Café und Werkstätten befinden sich auf dem Gelände.
Voll Erwartung und Vorfreude auf das Konzert suchen wir einen geeigneten Platz zum Malen. Ich setze mich an den Rand eines riesigen Lavendelfeldes unter einen Maronenbaum. Der Lavendel ist noch nicht aufgeblüht, nur ein wenig Rosa und Blau ist zu sehen.
Es entsteht eine farbige Zeichnung der Landschaft. Später sah ich, dass Hans Hess mich bei der Arbeit gezeichnet hatte.
Es wird Abend, wir setzen uns unter die alten, mächtigen Bäume in den Klosterhof und breiten ein großes, farbiges Tuch aus. Das mitgebrachte Abendessen mit reichlich Rotwein aus der Vaucluse ist ein Genuss!
Später nehmen wir unter alten, riesigen Kastanienbäumen die Konzertplätze ein. Hunderte von Gästen finden in den Stuhlreihen einen Sitzplatz. Fast ohne Dämmerung wird es plötzlich dunkel. Doch schon nach einigen Minuten hat sich das Auge daran gewöhnt und ich sehe wieder Farben am Himmel. Auch die Chöre aus Nimes und die Interpreten treffen langsam ein.
Es ist still, nur die Rufe einiger Nachtvögel sind zu hören. Im lauen Nachtwind suchen Insekten das Licht der wenigen Lämpchen auf.
Erst um 21 Uhr beginnt das Konzert. Wir hören die Messe von Schubert und zum Schluss das Ave Verum von Mozart.
Lange, lange war es still, bevor der Beifall erklang. Für mich war es das Konzert des Jahres. Nie vordem und nachdem habe ich ein Konzert in dieser Art so intensiv gehört, erlebt und in mich aufgenommen.
Die Atmosphäre unter den großen, alten Bäumen, die stillen Menschen in der Nacht, es war himmlisch. Ein ganz besonderer Zauber, der anhielt, bis wir weit nach Mitternacht wieder in Séguret eintrafen. Tagelang ließ mich das Konzert nicht los.
Noch immer aufgewühlt mit all den Gefühlen und der Liebe in mir malte ich das Bild …
›Erinnerung an die Chartreuse‹
Bizarre Landschaft der Provence
Tuschezeichnung 2015
Theo und die drei Meter
Ausflug in die Camargue
Der Brunnen plätschert seine Melodie,