„Weißt du, Mama, ihr habt damals fast überstürzt die Entscheidung getroffen wegzuziehen. Beide. Da passt etwas nicht zusammen, wenn du sagst, du wolltest dich scheiden lassen. Das verstehe ich nicht.“
„Es war an einem Abend im April 1999, als dein Vater sehr betrunken war, aber weder gereizt oder schon hinüber, wie sonst. Er saß einfach da, trank seinen Whisky, schien in sich gekehrt, in Gedanken verloren. Ich glaubte zuerst, es wäre wieder etwas mit einer Frau, Liebeskummer, Enttäuschung oder so. In mir kochte es, ihn da so sitzen zu sehen, um im nächsten Moment eine neue Botschaft zu erhalten. Das wollte ich mir diesmal nicht zumuten und redete einfach los. Ich habe ihm erst ruhig, dann aufgebracht und schließlich wütend und schreiend alles an den Kopf geworfen, was sich in mir aufgestaut hatte. Ich habe ihm gesagt, dass ich mich trennen würde und wegginge mit dir und wir noch einmal von Neuem anfangen würden. Er saß da, sagte kein Wort und brachte mich damit noch mehr auf die Palme. Er starrte in sein Whiskyglas und ließ alles über sich ergehen. Ich brüllte ihn an, er möge doch endlich seinen Mund aufmachen, sich dazu äußern. Er stellte sein Glas auf den Couchtisch, blickte mich fest an und ich hatte das Gefühl, er wäre stocknüchtern. Dann sagte er ganz ruhig und gefasst, dass er nicht mehr wolle, aufhöre mit dem Job, er mich tief im Inneren ganz lieb habe und endlich raus wolle aus dem Teufelskreis von Alkohol, Weibern und dieser verhassten Maklerei. Und dann kam ein Satz, der mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf, dein Vater sagte: ‚Lass uns gemeinsam alles abbrechen, neu anfangen, nicht irgendwo, sondern in Bayern. Ich will endlich eine Familie haben, die ich so lange vernachlässigt habe. Ich möchte mit euch neu beginnen.‘ – So in etwa hat es dein Vater gesagt“, resümiert Susanne versonnen.
„Und du hast ihm das so ohne Weiteres abgekauft, ihm geglaubt nach den unzähligen Enttäuschungen?“, hakt Veronika nach.
„Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ich hatte plötzlich wieder Vertrauen. Der Blick, seine Worte, die kamen mir vor wie damals ganz am Anfang, als ich Papa kennengelernt habe. Für mich stand felsenfest, er meint es ehrlich“, versucht Susanne zu erklären. „Es war einfach so, es war ein Bauchgefühl, was mich geleitet hat“, denkt sie für sich.
Veronika holt Luft, stößt den Atem mit einem tiefen Pfeifton durch die Lippen aus. Diese Wendung in den Geschehnissen hat sie nicht vorausgeahnt. Es ist anders gelaufen als vermutet, ohne Druck und Ultimatum.
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