Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Eulenberger
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957449665
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bei ihm rechts so beulte. Ab und zu verlor auch eines der Mädchen, dies war aber eher die Ausnahme. Im Anschluss an Name, Stadt, Land kam nun Alle Vögel fliegen hoch in die Luft an die Reihe. Alle strahlten, sogar die zurückhaltende Janine. Es war aber auch immer wieder lustig. Hauptmacher war auch hier wieder Marion. „Alle Vögel fliegen hooooch in die Luft – Schwalben fliegen, Gänse fliegen, Blumenstöcke fliegen, was ist denn, Klaus und Lothar? Blumenstücke können nun einmal fliegen, wenn sie jemand aus dem dritten Stock herunterwirft, zum Beispiel auf laut grölende Betrunkene. Bälle fliegen, Schweine fliegen – Lothar, du hast wieder einmal nicht aufgepasst. Liefere das Pfand ab! Deinen Kupferdraht kannst du stecken lassen. So was hatte schon der Klaus, aber die Spielkarte kannst du ruhig geben, die gilt als Pfand.“ So in dieser Art ging es dann weiter, aber als ich meine Kastanie als Pfand geben wollte, stoppte Marion das Spiel. „Ich würde vorschlagen, wir hören auf damit und es geht jetzt an das Einlösen aller Pfandsachen. Wem gehört denn dieses leicht angeschmutzte Taschentuch?“ Lothar meldete sich. „Ach, ja – du kleines Ferkel. Was soll der Pfand in meiner Hand, was soll derjenige tun?“ Alle schrien bunt durcheinander. „Zehn Liegestütze machen, ein Gedicht aufsagen, ein Lied singen, Gewitter machen.“

      „Ja, mache ein Gewitter Lothar!“ Lothar verdrehte die Augen, kratzte sich mit dem rechten Finger am Kopf (das tat er grundsätzlich immer, wenn ihm etwas nicht passte) und ging zur Tür, welche von Tante Fridas Zimmer auf den Flur führte. Er öffnete die Tür, ging in die Hocke und rubbelte mit seiner Stirn von unten nach oben und dann wieder nach unten am Türgewand. Teilweise schepperte es leicht (eben so wie Gewittergrollen), dann rutschte die Stirn ein Stück und dann gelang es wieder. Alle klatschten begeistert und Lothar kam mit einer roten Stirn, welche er aufgeregt rieb, von seiner Aktion wieder ins Zimmer. „Das tut mitunter ganz schön weh, vor allem dort, wo die Lackfarbe weg ist.“

      „Du hast vollkommen Recht, Lothar – tust mir richtig leid. Hier, nimm mal die Creme und reibe ein. Das wird dir gut tun“, half die süße Janine dem traurig in die Welt schauenden Lothar. Dann kam Helga an die Reihe, welche zur Pfandeinlösung jemand drücken musste. Sie wählte ihren Bruder Lothar, den sie, nach seiner Gewitteraktivität, bemitleidete. Leider kam ich auch noch häufig an die Reihe, um meine Pfande zurückzuholen. Unter anderem musste ich ein Lied unter dem Tisch singen. Da ich damit rechnen musste, hatte ich mir schon vorher überlegt, was ich bieten könnte und hatte es schon mehrfach mit Lothar einstudiert. Widerwillig, denn es passte mir überhaupt nicht in den Kram – singen war einfach nicht mein Ding –, kroch ich unter den Tisch und hub an: „Friiiiiiidolin, wir braten eine Leiche, Friiiiiiidolin im Leichenhaus, Friiiiiiidolin, die Knochen sind schon weiche, Friiiiiiidolin zum Leiiiiiichenschmauuuuuus.“ Der Singsang war derb, aber er kam im Allgemeinen gut an. Hätte ich Am Brunnen vor dem Tore … gesungen, wäre es sicherlich zu keinem Beifall gekommen, den ich aber bei meinem kessen Lied, trotz Schelte einzelner Mädchen, dass es zu frech sei, erhielt. Die Aufgaben, um seinen Pfand wieder zu erhalten, waren wahnsinnig breit und interessant gefächert. Ein Mädchen musste zeigen, dass es bügeln kann, dass andere musste gegen eine Wand ballen, sich umdrehen und so den zuvor geworfenen Ball auffangen. Mit am lustigsten war die Aufgabe – sie betraf Helga – das Nachtgeschirr (sprich – den Nachttopf) von Tante Frida heranzuschaffen. Es dauerte sehr lange, bis Helga mit dem Nachttopf in der Tür erschien – alle hatten den Eindruck, dass Helga den Inhalt erst ausschütten und dann den Topf noch ausspülen musste. Endlich aber erhielt ich den von mir sehnlichst erwünschten Auftrag „Kirschen kosten!“ – und zwar bei Janine. Das hatte ich Marion zu verdanken, die genau wusste, was mein sehnlichster Wunsch war. Obwohl es für mich natürlich eine Riesenfreude war, dies von Marion zu hören, so war es doch zunächst ein Schock. Das Blut schoss mir in den Kopf, es wurde heiß, sicher stieg der Adrenalinspiegel enorm – ich wurde zittrig und fisblich. Sofort sah ich zu Janine. Auch sie errötete, schlug die Augen nieder. Langsam erhob ich mich – sicher war ich in der letzten Zeit nie so langsam wie jetzt – ging bedacht um den Tisch herum auf Janine zu. Dabei gingen mir in diesen wenigen Sekunden wahnsinnig viele Gedanken durch den Kopf. Der Hauptgedanke war: Hoffentlich ist sie nicht zu schüchtern und so zurückhaltend wie das letzte Mal, wo erst Marions Machtwort dafür sorgen musste, dass Janine mir ihre wunderschönen Lippen entgegenstreckte. Als ich vor ihrem Stuhl stand, schaute sie immer noch brav nach unten. Langsam ging ich in die Hocke, so dass mein Kopf in ihrer Höhe war und – verhielt mich einfach still in dieser Stellung. Das war alles unbewusst, aber sicherlich richtig, wie ich mir im Nachhinein überlegte. Janine dauerte es zu lange. Als Mädchen war sie natürlich super neugierig und wollte nun endlich wissen, was los war. Also schlug sie die Augen auf und sah meinen Kopf in gleicher Höhe. Ich verhielt mich ruhig (wollte mich ja schließlich auch nicht bis auf die Knochen blamieren) und schaute sie sehr lieb an. Alle schauten gebannt zu und riefen plötzlich, wie im Chor: „Jetzt muss es aber endlich losgehen – wir wollen einen großen, langen Kuss sehen!“ Jetzt wurde Janine aber so richtig rot, blutrot. Ich bewegte meinen Kopf zu ihr hin, aber nicht zu schnell, damit sie nicht geschockt wegdrehte. Plötzlich bekam ich aber doch Angst, dass sie ihren Kopf wegdreht und ich nahm einfach ihren Kopf in meine zwei Hände und küsste sie auf ihre Lippen – na ja, vielleicht war es eine Sekunde zu lang (wenn ich im Nachhinein überlege, man konnte schon in Ruhe die Zahl 2134 in dieser Zeit aussprechen). Danach zog ich mich zurück – ich war wie benebelt und selig. Alle klatschten wie verrückt, riefen laut „Bravo, na endlich!“ oder irgendetwas anderes. Ich setzte mich wieder neben Lothar, der mich zornig, mir kam es fast vor, hasserfüllt, anschaute. Aus meiner Stimmungslage war ich kaum herauszubringen, aber da mir das mit Lothar auffiel, fragte ich nur: „Was hast du denn nun schon wieder zu meckern?“

      „So ein Rotz mit diesen Weibern – ich möchte wissen, was der Zirkus soll?“, zischte er.

      Anschließend spielten wir alle noch Friseur. Ei, war das fein – ich konnte das so richtig genießen. Dabei ging es mir weniger darum, andere zu kämmen und Haare zu schneiden. Daran hatte ich eigentlich überhaupt kein Interesse. Ich wollte nur selbst genießen, wenn andere mir die Haare waschen, schneiden, föhnen, kämmen oder was weiß ich, sonst noch alles. Also half ich den Mädels bei ihren Aktionen – holte Kämme, Scheren, eine Schüssel mit lauwarmem Wasser von Tante Frida und so weiter und so fort. Irgendwann kam ich dann endlich auch einmal an die Reihe und ergötzte mich am Herumwerkeln an meinem Kopf. Es war einfach ein Riesengenuss. Ich verdrehte die Augen wie ein Schellfisch, später schloss ich sie dann ganz. Es war einfach wunderschön, entspannend, beruhigend, einfach spitzenmäßig. Wenn ich dann aufstand, war ich so in mich gekehrt, dass ich gar nicht mehr richtig beim Aufräumen helfen konnte. Wo war Lothar? Gleich zu Beginn der Frisieraktion hatte er sich verdrückt. So war er nun halt. In der Folge war ich gar nicht so recht bei der Sache. Ich sollte für Mutti Eier holen, tat dies auch, aber meine Gedanken waren bei Janine. So ein hübsches Kind, rückblickend bekam ich (sicherlich vor Erregung) Schüttelfrost. Gedanklich sah ich ihre Lippen vor mir, die schönen schwarzen Haare, die ihr Gesicht umrahmten, aber vor allem die Augen – so schön, so dunkelbraun – sie sahen mich an – nur mich. Ich lieferte die Eier bei Mutti ab, indem ich ihr den Korb hinhielt. Mit der einen Hand nahm sie den Korb, mit der anderen fasste sie meine Schulter, drehte meinen Körper zu sich, so dass unsere Gesichter ganz nah beieinander waren. „Klaus, Klausmann, was ist denn mit dir? So habe ich dich ja noch nie erlebt. Du bist doch ganz in dich gekehrt und schaust mich an, ohne mich zu sehen. Du schaust einfach durch mich durch, als wenn ich gar nicht da wäre.“

      „Ach was, Mutti, nichts Besonderes!“

      „Nein, nein, nein!“ Sie wurde fuchtig und energisch. „Sag mir doch bitte, was heute los war und was dich so beschäftigt.“

      „Wir haben heute mit den großen Mädchen wieder Name, Stadt, Land und so weiter gespielt. Das war alles“, antwortete ich ärgerlich. Plötzlich fragte sie: „Habt ihr wieder geküsst?“ Ich erschrak – woher wusste sie denn das nun schon wieder? „Mutti, du verschweigst mir etwas. Bitte erzähl es mir, unbedingt!“

      „Ich habe mit Marion und Helga gesprochen. Sie erzählten mir, dass es wieder sehr lustig und hübsch war.“

      „Na, und? Mutti – ich bin dein Sohn. Erzähle mir jetzt, was die erzählt haben!“

      „Ich gebe ja zu, ich weiß, dass dir die Janine sehr gut gefällt und du sie küssen musstest, um