Ich wünsche Papst Franziskus Gottes reichen Segen für sein Amt.
P. Franz Jalics
15. März 2013“
Am 19. März 2013, dem Tag der Amtseinführung Franziskus’, sind die Schatten der Vergangenheit wieder weit weg. Seinen Landsleuten hat Franziskus empfohlen, nicht nach Rom zu kommen, sondern das Geld lieber karitativen Zwecken zukommen zu lassen. Gekommen sind trotzdem viele. Argentinische Fahnen sind überall in der Menge zu sehen.
Auch an diesem Tag, dem Hochfest des hl. Joseph, des Patrons der Weltkirche, trägt Franziskus seine einfache weiße Soutane. 132 Delegationen aus aller Welt sind angereist. An die versammelten Staatsoberhäupter und Regenten richtet er in Erinnerung an „Joseph, dem Gott anvertraut hat, Hüter von Maria und Jesus zu sein“, seine „herzliche Bitte“:
„Lasst uns, Hüter‘ der Schöpfung, des in die Natur hineingelegten Planes Gottes sein, Hüter des anderen, der Umwelt; lassen wir nicht zu, dass Zeichen der Zerstörung und des Todes den Weg dieser unserer Welt begleiten! Doch um zu , behüten‘, müssen wir auch auf uns selber Acht geben!
Erinnern wir uns daran, dass Hass, Neid und Hochmut das Leben verunreinigen! Hüten bedeutet also, über unsere Gefühle, über unser Herz zu wachen, denn gerade von dort gehen unsere guten und bösen Absichten aus: die, welche aufbauen, und die, welche zerstören! Wir dürfen keine Angst vor der Güte haben. Ja, nicht einmal vor der Zärtlichkeit!“
Und Franziskus spricht vor hunderttausenden Mitfeiernden seine zentrale Botschaft an: „Vergessen wir nie, dass die wahre Macht der Dienst ist.“ Es gehe um „die Hungernden, die Durstigen, die Fremden, die Nackten, die Kranken, die Gefangenen. Nur wer mit Liebe dient, weiß zu behüten!“
Bei der Amtseinführung des Bischofs von Rom sind auch Vertreter vieler Kirchen und Religionsgemeinschaften anwesend. Erstmals in der Geschichte – seit dem Schisma von 1054 – nimmt auch der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel daran teil. Bartholomaios I., der dieses Amt seit 1991 innehat, unterstreicht die verbesserten Beziehungen zwischen Katholiken und Orthodoxen. Seine Entscheidung, zur Feier nach Rom zu reisen, bezeichnet er selbst als „historische Entwicklung“. Die herzliche Umarmung der beiden gilt als wichtiges Zeichen für die Einheit der Kirchen.
Mit der Messe beginnt das Pontifikat offiziell. Der erste Papst aus Lateinamerika, der erste Jesuit in der Geschichte, ist zu diesem Zeitpunkt im Vatikan so gut wie unbekannt. Papstsprecher Federico Lombardi, Jesuit wie Franziskus, sagt im Gespräch, dass er Jorge Mario Bergoglio vor dem Konklave nur einmal gesehen habe.
Fremd im Vatikan – das ist für Franziskus Chance und Risiko zugleich.
Bei der Amtseinführung am 19. März 2013
Jorge Mario Bergoglio (stehend, 2. von links) mit seinen Eltern und Geschwistern
Kindheit und Jugend.
Ein erfülltes und bescheidenes Leben
„Von meiner Großmutter lernte ich das Beten.“
Papst Franziskus
Die Tickets für die Überfahrt nach Argentinien mit dem Luxusdampfer Principessa Mafalda waren gekauft. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Rosa Margarita Vasallo und seinem Sohn Mario Giuseppe Francisco sollte für Giovanni Angelo Bergoglio im Oktober 1927 die Reise nach Südamerika beginnen. Seine drei Brüder hatten Italien bereits verlassen und in Argentinien, wohin damals viele Italiener auswanderten, eine neue Existenz aufgebaut. Giovanni Angelo vermisste seine Brüder so sehr, dass er beschloss, die Heimat der norditalienischen Region Piemont zu verlassen, um gemeinsam mit der Familie an einem Tisch in Argentinien zu sitzen. Die Bürokratie wollte es jedoch, dass er und seine Familie nicht an Bord der Principessa Mafalda gehen konnten – einige Ausreisepapiere waren verspätet ausgestellt worden. So verließ das Passagierschiff am 11. Oktober 1927 den Hafen von Genua ohne sie. Zum Glück, denn am 25. Oktober 1927 sank der italienische Luxusdampfer auf dem Weg von Genua nach Buenos Aires vor der brasilianischen Küste. Über tausend Menschen befanden sich an Bord, 312 kamen ums Leben.
Im Januar 1929 war es dann endlich soweit, an Bord der Giulio Cesare begann für Giovanni Angelo Bergoglio und seine Familie die langersehnte Überfahrt nach Südamerika. Die Großmutter des heutigen Papstes, Rosa Margarita Vasallo, hatte ihre gesamten Ersparnisse in einen Pelzmantel eingenäht und weigerte sich – trotz der hochsommerlichen Temperaturen –, diesen bei der Ankunft im Hafen von Buenos Aires auszuziehen. Eine Anekdote, die Papst Franziskus bei einem der wenigen Interviews erzählte, die er als Erzbischof von Buenos Aires gab.
1931 litt Argentinien unter einer schweren Wirtschaftskrise. Die neue Existenz, die sich die Brüder Bergoglio in der Stadt Paraná, nördlich von Buenos Aires, aufgebaut hatten, zerfiel. Von dem palastähnlichen Gebäude, in dem die drei Brüder mit ihren Familien gewohnt und das sie Palacio Bergoglio getauft hatten, bis hin zur Familiengruft mussten sie alles verkaufen, um überleben zu können. Als der älteste Bruder von Giovanni Angelo Bergoglio nach einem Krebsleiden verstarb und der jüngste von ihnen nach Brasilien umsiedelte, beschloss Giovanni, in die Hauptstadt Buenos Aires zu ziehen. Mithilfe eines Kredits konnte er einen kleinen Lebensmittelladen erwerben. Sein Sohn Mario Giuseppe Bergoglio, Vater des heutigen Papstes, war damals 23 Jahre alt und suchte als gelernter Buchhalter eine Anstellung.
Während eines Gottesdienstes in einer Kirche im Viertel Almagro von Buenos Aires begegneten sich 1934 zum ersten Mal die Eltern von Papst Franziskus. Ein Jahr später heirateten sie. Am 17. Dezember 1936 brachte Regina María Sívori ihren ersten Sohn zur Welt. Jorge Mario Bergoglio war das älteste von fünf Kindern. Von den vier Geschwistern Oscar, Marta, Alberto und María Elena lebt heute nur noch seine jüngste Schwester.
María Elena Bergoglio lebt in Ituzaingó, einer kleinen, malerischen Stadt rund sechzig Kilometer außerhalb von Buenos Aires. In den ersten Tagen und Wochen nach der Papstwahl am 13. März 2013 hatte sich die kleine Straße Darragueyra in eine Art Treffpunkt für zahlreiche nationale und internationale Journalisten verwandelt. Seither steht ein Polizeiauto an der Straßenkreuzung – ein mögliches Indiz, dass hier die Schwester des Papstes leben könnte. Hausnummer 785, kein Namensschild an der Haustür, zugezogene Gardinen an den Fenstern. Die Türklingel wird von energischem Hundegebell übertönt. Ein junger Mann öffnet die Tür – es ist der Neffe von Jorge Mario Bergoglio.
Es ist kühl und nebelig an diesem Tag, die hohe Luftfeuchtigkeit hat bereits im Wohnzimmer von María Elena Bergoglio Einzug gehalten. In einen warmen Poncho gehüllt bemerkt diese: „Heute ist es ungewöhnlich kalt, nicht wahr?“ Der große Holztisch bildet das Zentrum des Raumes, der als Ess- und Wohnzimmer dient. Ein paar einfache Sitzgelegenheiten, eine kleine Kommode, auf der einige eingerahmte Familienfotos stehen, und ein kleiner Ecktisch mit einem alten Fernseher füllen den Raum. An der kalt und klamm wirkenden Wand hängt ein auffallend großes Bild, auf dem Papst Franziskus mit einem strahlenden Lächeln vor einem hellblauen Hintergrund abgebildet ist. „Das haben mir Freunde aus Rom mitgebracht“, erklärt María Elena stolz, jedoch mit einem beinahe rechtfertigenden Unterton.
Als sie ihrem Bruder mitteilte, dass sie zu seiner Amtseinführung nach Rom fliegen wollte, habe er ihr gesagt: „Du wirst mehr von mir sehen und von mir haben, wenn du die Zeremonie am Fernsehbildschirm verfolgst. Wir werden in diesen Tagen keine Zeit miteinander verbringen können.“ María Elena Bergoglio flog nicht nach Rom. Jeden Samstag telefoniert sie mit ihrem ältesten Bruder. Momente, in denen sie über alles Mögliche miteinander sprechen können. Momente, in denen zwei Geschwister sich über ihr Leben austauschen.
Das letzte Mal sahen die beiden sich am Heiligen Abend 2012.