In Bezug auf die Veröffentlichung des Briefwechsels fragten wir uns, ob rein persönliche Dinge (Familie, Reisen, Krankheiten, Tod) verborgen bleiben sollten. Wir sind der Meinung, das hier gewählte Maß ist angemessen. Es erhöht die Authentizität einerseits und verbessert die Lesbarkeit des Textes andererseits.
Zwei Anmerkungen am Schluss dieser Einführung erscheinen uns wichtig:
- Wir betonen ausdrücklich, dass es sich hier um einen Meinungsaustausch handelt. Die Briefpartner äußern ihre persönlichen Meinungen zu Ereignissen, Prozessen und Personen! Es sind Meinungen, die die Briefpartner zum Zeitpunkt des Schreibens vertraten. Da sich der Briefwechsel über mehr als 20 Jahre erstreckt, sind Meinungsänderungen nicht ausgeschlossen.
- Namensnennung erfolgt bei Personen des öffentlichen Lebens, die über ihre öffentliche Arbeit oder ihren Status allgemein bekannt sind (Bürgermeister, Stadt- und Kreisräte, Schulleiter, Pfarrer u. a.). In allen anderen Fällen werden Kürzel statt der Personennamen angegeben.
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern Entspannung und Gewinn bei der Lektüre.
Georgetown und Geithain, im März 2014
John U. Sommer/ Gottfried Senf
Georgetown, 26. Juni 1990
Sehr geehrter Herr Dr. Senf,
am 15. und 16. Mai besuchte ich meine Heimatstadt Geithain. Auf der Fahrt dorthin sahen wir viele halb zerstörte und vernachlässigte Dörfer und Städte in Thüringen und Sachsen. So war ich freudig überrascht, Geithain so schmuck und gepflegt wiederzufinden.
Ich ging zur Paul-Guenther-Schule, in der ich von 1933 bis 1937 als Schüler gewesen bin. Ich liebte dieses herrliche Gebäude, das zu meiner Zeit glänzend neu war (es wurde 1925 eröffnet). Sofort vermisste ich den geschnitzten Tierzaun, der noch bis 1945 den Schulhof am Haupteingang umgab. Was wurde aus dem? Er bestand aus gemauerten Pfosten, zwischen denen hölzerne Paneele mit Schnitzereien, Tiere darstellend, angebracht waren.
Dieser Schulhof hat die bedeutendsten Bildhauerwerke der Schule. Die Tür mit den Bienen ist unvergleichlich. Die Eule mit dem Buch-Symbol der Weisheit – braucht Restaurierung sehr nötig. Die großartigen Figurengruppen am Haupteingang – Vater und Sohn, Mutter und Tochter – haben die Zeit, da durch ein Dach geschützt, recht gut überstanden.
Die Türe war offen. Ich ging hinein. Hier hat man der Schule Übles angetan. Da war früher eine wohlproportionierte Halle mit Säulen, die Elemente darstellend. Diese Säulen hat man halb vermauert, um einen Raum für Turngeräte zu schaffen. Es wird noch schlimmer. Die große Turn- und Festhalle war früher eine einmalige Schöpfung. Die Wände waren in starken Farben, ganz im Stil des Art Deco, bemalt. Bunte Glasfenster waren großen Persönlichkeiten der protestantischen Aufklärung, wie Luther, Melanchthon und Pestalozzi, gewidmet. Wo sind diese Fenster? Es scheint kaum glaubhaft, dass Kunstwerke solchen Ausmaßes einfach, ohne eine Spur zu hinterlassen, verschwinden können. An der Innenwand der Turnhalle war eine Loggia im ersten Stock. Von der hatte man einen schönen Blick auf die Bühne. Ich erinnere mich an Theatervorstellungen auf einer Bühne an der Westwand der Halle. Diese Loggia sollte wieder hergestellt werden.
Ich war erstaunt, die Schule so farblos zu finden. Wenn ich mich recht erinnere, waren die großen Hallen vor den Klassenzimmern alle in den kräftigsten Farben bemalt. Rot im Erdgeschoss, grün im ersten Stock und blau im zweiten Stock. An der Turmwand war ein Steinrelief, den Spender der Schule Paul Guenther darstellend, darunter ein Spruch, ebenfalls in Stein gehauen. Der Turm hatte ein Turmhaus, das in den Proportionen besser zum Turm passte als die heutige Metallkonstruktion (eine Sternwarte?).
Diese Schule war einmal ein erstaunliches Gesamtkunstwerk, aus Architektur, Bildhauerei, Malerei und farbigem Glas bestehend. Sie hat die Jahre fast unverändert überstanden. Sie sollte gesäubert und restauriert werden. Mit Hilfe von sicherlich vorhandenen Photographien sollte man ihr innen und außen ihre ursprüngliche Gestalt wiedergeben.
Spenden zu diesem Zweck könnten auch aus Nordamerika kommen, wo viele ehemalige Sachsen leben, die gern helfen würden, ihr Heimatland wieder aufzubauen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Ulrich Joachim Sommer
Geithain, 31. 8. 1990
Sehr geehrter Herr Sommer,
über Herrn Martin aus Holzhausen erfuhr ich Ihre Anschrift und Ihr großes Interesse an heimatgeschichtlichen Themen, insbesondere über unsere Geithainer Gegend. Ich möchte Ihnen gleich zu Anfang meine Freude über das Zu-standekommen der Verbindung mitteilen.
Seit vielen Jahren beschäftige ich mich nebenberuflich und aus Hobby mit der Geschichte unserer Gegend. Die Geschichte der Paul-Guenther-Schule liegt mir gegenwärtig ganz besonders am Herzen. Herr Martin sagte mir, dass Sie unser erstes Heft „Vom Turm geschaut“ hier in Geithain gekauft hätten. Inzwischen ist das Heft Nr. 2 erschienen, das ich Ihnen sehr gern diesem Brief beilege.
Sehr geehrter Herr Sommer!
Die Heimatfreunde in der Stadt Geithain bemühen sich seit Jahren um eine Kontaktadresse in den USA oder in Kanada, um die Forschungen zum Komplex „Paul Guenther“ erweitern zu können. Leider bisher ohne Erfolg. Auch die USA-Botschaft in Berlin hüllte sich bisher in Schweigen. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir über Sie die Adresse des Stadtarchivs von Dover/New Jersey erhalten könnten. Ideal wäre es, irgendwelche Dokumente (Zeitungsausschnitte, Bilder u. a.) zu Guenther und seinen Fabriken zu bekommen. Sie sind bisher der einzige ehemalige Geithainer, der uns in dieser Richtung helfen könnte.
Die feierliche Neubenennung der Paul-Guenther-Schule findet am kommenden Sonntag, 2. 9. 1990, statt und viele alte Geithainer freuen sich, dass sie das noch erleben können. Leider ist meine Zeit jetzt sehr begrenzt. Ich werde Ihnen sicher noch einmal schreiben, auch über mich persönlich. Nur soviel: 1936 in Tautenhain geboren, seit 1960 in Geithain als Lehrer für Mathematik/Physik/Astronomie tätig. Seit Juli dieses Jahres Dezernent beim Landratsamt.
Im Voraus vielen Dank für Ihre Bemühungen!
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Gottfried Senf
Anlage
- ,,Vom Turm geschaut“
- Fortsetzungsfolge zu Paul Guenther, Kreisseite der LVZ
Georgetown, 23. Oktober 1990
Lieber Dr. Senf,
vor einer Woche erhielt ich Ihren Brief mit all den erstaunlichen Beilagen, über die ich mich natürlich sehr gefreut habe. Ich danke Ihnen von Herzen. Ich habe sofort versucht, mit Dover in Verbindung zu kommen. Ich telefonierte mit