Mutter Maria hatte ihren Sohn vermisst. Für einen Besuch in Barcelona hatte es nur zwei Mal gereicht. Die Fähre zwischen Palma de Mallorca und Barcelona kostete 1.200 Pesetas. Er bekam dreihundert Pesetas Wehrsold und das hatte nicht einmal für Zigaretten gereicht Maria hatte ihren Sohn so gut es ging unterstützt, wobei ihr das nicht immer leicht gefallen war. Die Zeiten hatten sich geändert, alles war teurer geworden.
Für Pep hatte ein neuer Lebensabschnitt begonnen und zugleich eine Situation, die er bisher noch nicht kannte. Er war seit seiner Kindheit nie ohne Geld gewesen, während seiner Militärzeit musste er ständig bei seiner Mutter um etwas Taschengeld ersuchen. Irgendetwas musste er tun. Arbeit gab es nicht, es sei denn, er wäre an die Costa Brava gegangen und hätte in irgendeinem gastronomischen Betrieb den Beruf des Kellners erlernt. Aber dafür hatte er nicht sein Abitur gemacht.
Es waren einige Wochen vergangen und all seine Bemühungen, eine Arbeit zu finden, waren fehlgeschlagen.
DIE UNGLEICHEN FREUNDE
Der Frühling hatte Einzug gehalten und das Thermometer zeigte bereits 22 Grad Celsius. Pep versuchte zwar, sich nützlich zu machen und half seiner Mutter so gut es ging, aber die Situation wurde für ihn immer unerträglicher.
An einem dieser Tage hatte Maria ihn einmal mehr gebeten, für sie einige Besorgungen im gotischen Viertel zu machen.
Die angrenzenden Ramblas waren voller Leute und man konnte das Gefühl haben, ganz Barcelona sei unterwegs.
Pep hatte sich auf der Terrasse einer Cafeteria niedergelassen, um die Frühlingssonne und die leichte Brise zu genießen, die vom Hafen herüberkam. Er liebte es, hier zu sitzen und die vorbeilaufenden Menschen zu beobachten, die, wie es schien, bereits ihre Sommerkleidung aus ihren Schränken hervorgeholt hatten.
Menschen aus seinem Viertel liefen an der Terrasse vorbei, auf der er saß. Menschen, die er kannte und die mit einem kurzen »Hola, hallo« vorbeihuschten.
Alle Leute genossen die ersten warmen Frühlingstage und es war für ihn lustig zu sehen, wie ein Teil der Leute sich hastig in Richtung Hafen bewegte und der andere in Richtung Plaza Catalunya. Andere, zumeist Touristen, blieben stehen, um sich die schlecht vorgeführte Pantomime anzuschauen.
Es waren junge Menschen aus dem angrenzenden El Raval, die sich auf verschiedene Weise anmalten und den ganzen Tag versuchten, auf einer Stelle zu stehen, oder andere, die irgendwelche Faxen machten, um bei den Touristen einigen Pesetas zu erbetteln. Einige Ausländer ließen sich mit ihnen fotografieren und legten ein paar Pesetas in das Bettelgefäß, welches die Pantomimen vor sich aufgestellt hatten.
Pep war in seine Gedanken versunken und hatte gerade überlegt, ob er auch in der Lage wäre, so etwas zu tun, als er mit einem Lauten »Hola Pep, hallo Pep« angesprochen wurde.
Es war Xavi, dessen voller Name Javier Fernandez lautete. Ein Schulkamerad, der mit ihm Abitur gemacht hatte.
Javier war nicht derjenige, den alle Welt zum Freund haben wollte und Pep hatte während seiner Schulzeit weder von ihm Notiz genommen noch hatte er Kontakt mit ihm gehabt. Dieser Junge war klein, hatte tief liegende Augen und eine viel zu große Nase. Seine nicht so attraktive Erscheinung hatte er immer mit einer gewissen Arroganz zu überspielen versucht.
Eines war Pep natürlich nicht entgangen: Xavi war immer gut gekleidet und verfügte selbst als Jugendlicher über eine Menge Geld, mit dem er sich seine Freunde zu kaufen pflegte.
Javier Fernandez war ein Junge aus gutem Haus. Seine Eltern besaßen mehrere Immobilien in der Innenstadt und in der Nähe des gotischen Viertels.
Mit einem »Freut mich, dich zu sehen« begrüßte Pep seinen ehemaligen Schulkameraden.
»Setz dich zu mir«, sagte er. »Kann ich dich zu etwas einladen?«
»Klar, ich nehme einen Kaffee.« Xavi rief den Kellner herbei, um ihm seine Bestellung zu übermitteln.
»Was machst du so, Pep?«
»Ich habe gerade meinen Militärdienst absolviert und weiß noch nicht so recht, was ich jetzt machen soll. Und du, Xavi, wirst sicherlich bei deinen Eltern im Betrieb arbeiten, oder?«
Javier grinste, und Pep fiel zum ersten Mal auf, dass Xavis Grinsen gut zu seinen tiefliegenden Augen passte.
»Nein, mein Freund, ich war die letzten zwei Jahre auf einer Hotel- und Gastronomieschule und habe gemerkt, dass Gastronomie nicht mein Ding ist.«
Javiers Eltern hatten ein sehr gut gehendes Restaurant auf der Gran Via, das von Xavis älterem Bruder geführt wurde.
»Und was ist mit dem Militär, musst du nicht dahin, Xavi?«
»Der Krug ist gottlob an mir vorübergegangen, dafür hat mein Vater gesorgt, und im elterlichen Betrieb und dann noch mit meinem Bruder zusammen? Das wäre für mich eine Katastrophe«, sagte er kopfschüttelnd und verzog grinsend seine Mundwinkel.
»Ich habe mich bei der Polizei beworben. Geh mal auf die Jefatura de la Policia Nacional, die suchen noch junge Leute mit Abitur. Ich habe mich dort auch beworben.«
Pep schaute sein Gegenüber etwas verwundert an.
»Ich komme aus El Raval und du glaubst, die haben auf mich gewartet?«
»Das macht doch nichts, mehr als dich ablehnen können sie nicht.«
Pep musste über Xavis pragmatische Antwort lächeln. Die beiden redeten noch eine Weile und Pep stellte während der Unterredung fest, dass dieser Javier im Grunde ein schlaues Bürschchen war und die Arroganz aus der gemeinsamen Schulzeit etwas abgelegt zu haben schien. Eine Unterhaltung dieser Art hatte es zwischen den beiden nie gegeben. Xavi hatte während seiner Schulzeit einen anderen Freundeskreis gehabt und sich mit einem aus El Raval abzugeben wäre unter seinem Niveau gewesen. Aber vielleicht hatte sich Pep das alles auch nur eingebildet.
Wobei Kinder, die aus dem Barrio Chino kamen, immer unter besonderer Beobachtung standen. Die beiden Stadtteile, das gotische Viertel und El Raval, waren nur durch eine Allee, die Ramblas getrennt. Trotzdem prallten hier zwei Welten aufeinander, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.
Die Zeiten waren längst vergessen, in denen Pep seine Pausen allein auf dem Schulhof verbringen musste, weil andere Schüler mit ihm nichts zu tun haben wollten. Wer hier sein Abitur machte, war entweder Sohn eines Funktionärs oder der Spross einer Familie mit Geld.
Einige Tage waren vergangen seit der Unterhaltung mit seinem Schulkameraden Javier Fernandez. Pep ahnte noch nicht, dass diese Unterhaltung sein Leben verändern sollte.
Er hatte seit einigen Nächten schlecht geschlafen. Die Sache mit der Polizei ging ihm nicht aus dem Kopf. Seine Angst, abgewiesen zu werden, war so groß, dass er seit Tagen nachdenklich durch sein Viertel lief. Ein Zigeunerjunge aus El Raval bei der Polizei, das war für ihn so irreal wie eine Reise zum Mond. Zum einen gab er seinem Schulkameraden recht, was konnte er schon verlieren? Mehr als eine Absage oder eine rassistische Bemerkung würde er nicht bekommen. Anderseits war er neugierig geworden, wie man auf seine Bewerbung reagieren würde.
Das Gebäude der Polizei befand sich in Via Laietana, in der Avenida, in der sein Schulkamerad Xavi wohnte.
Pep betrat das alte ehrwürdige Gebäude, welches wohl im vorigen Jahrhundert erbaut worden war. Er liebte diese alten staatlichen Gebäude, die mit ihren verzierten Fassaden ziemlich protzig daherkamen. In der riesigen Eingangshalle saß auf der rechten Seite des Foyers hinter einem Tisch ein uniformierter Polizist, der gelangweilt in einer Zeitung blätterte. Die beiden großen Flaggen im Rücken des Beamten schienen die Wichtigkeit seiner Anwesenheit zu unterstreichen. Es dauerte eine Weile, bevor der Beamte von seinem Besucher Notiz nahm. Langsam erhob der Beamte seinen Kopf und schaute Pep prüfend an.
»Que quieres,