29. Werke des Autors im selben Verlag
Ich kann mir die Arbeit nicht leisten
1. Vorstellung
Es ist die Geschichte von Frank-Peter Sommer, einem Bürger, den man als normal einschätzen kann. Aber in all den Jahren, die er nun schon im Berufsleben ist bzw. ab und zu auch nicht, sind ihm so viele Dinge passiert, die man eigentlich der Fiktion zuschreiben würde. Oft saß Frank-Peter Sommer mit seiner Frau abends bei einem Bier oder einem Glas Rotwein zusammen und sie erzählten sich gegenseitig, was während des Tags so passiert war. Sie meinte dann, dass er das doch mal aufschreiben solle. Und auch wenn sich seine Nachbarin Waltraud, mit der sie schon seit Jahren befreundet sind, zu ihnen gesellte und sie ihren Geschichten lauschten kam wieder dieses Gefühl auf, dass man über solche spannenden, traurigen und teilweise frustrierenden Alltagsgeschichten viel zu wenig von den Leuten, die es selbst erlebt haben, aus erster Hand liest. Außerdem lernt man auf dem Bau interessante Leute kennen, die gern auch ihre authentischen Erfahrungen weitergeben. In Büchern und Filmen geht es doch meistens nur um Action oder Romanzen, und am besten alle mit einem Happy End. Leider funktioniert das im wahren Leben eher selten. Frank-Peter Sommer fing also an Tagebuch zu führen und solche Geschichten zu sammeln, die ihm so im Alltag passiert sind.
Frank-Peter Sommer hat Elektriker gelernt, damals, in der DDR. Da wurde den Lehrlingen in einem Großbetrieb nicht nur das schmale Fachwissen eingebläut, das nur für einen bestimmten Arbeitsplatz der auszubildenden Firma reichte, sondern es gab eine sehr umfangreiche Ausbildung. Beim Elektriker gab es zum Beispiel praktische Arbeiten bei der Wohnungsinstallation, Schaltschrankbau, Maschinen und Anlagen sowie Freileitungen und Kabel. Man konnte mit dieser Ausbildung in allen Bereichen bestehen. Gleichzeitig konnte er in dieser Ausbildung das Abitur erwerben. Nach dieser Ausbildung hat Frank-Peter Sommer ein Direktstudium zum Hochschulingenieur für Informationselektronik absolviert. Zugegeben, die Computertechnik, wie wir sie heute verstehen, steckte noch in den Kinderschuhen, ist mit der heutigen Technik nicht vergleichbar. Die Ausbildung beinhaltet aber die Grundlagen für eine Einarbeitung in nahezu jedes Fachgebiet. Lange arbeitete er auch in diesem Fach, projektierte Telefonanlagen kümmerte sich um die sichere Gestaltung von Maschinen und Produktionsabläufen. Die Wende beendete abrupt diese Arbeit.
Dann kamen erste Weiterbildungen, die zwar die verlernten Englisch-Kenntnisse auffrischten und den Anschluss an die Computernutzung brachten, aber auch viel warme Luft enthielten. Dermaßen ausgerüstet und nachgebildet konnte er in einer Kleinstadt in der Nähe von Leipzig das örtliche Kabelfernsehen mit aus der Taufe heben. Von der Planung bis zur Realisierung konnte er so Erfahrungen sammeln, die ihm später sehr hilfreich waren. Die neuen Firmenstrukturen waren noch nicht gefestigt und Aufgaben nicht in ausreichendem Maße verfügbar, so dass weitere Betriebswechsel und Lehrgänge folgten.
2. Arbeitslos
Ein Jahr war Frank-Peter Sommer schon arbeitslos, bereits ein ganzes Jahr! In dieser Zeit ist viel passiert. Die turnusmäßigen Besuche beim Arbeitsamt, die Durchforstung der auf einer Internetplattform des Arbeitsamtes für ihn bereitgestellten Arbeitsangebote, das zigfache Kopieren der Bewerbungsunterlagen und deren Versendung mit jeweils einem separaten Anschreiben, alles hielt ihn ordentlich auf Trab. Wenn man diese Bewerbungen gewissenhaft betreibt, bleibt kaum „Freizeit“. Außerdem besuchte er häufig seine Mutter, die unweit von ihm wohnte und half ihr beim Einkauf und anderen täglichen Dingen, über die noch berichten wird.
An Bewerbungen hat es Frank-Peter Sommer wahrlich nicht mangeln lassen. Seine Hoffnung, die Spezialisierung in einem CAD-Computerprogramm in die Waagschale zu werfen, ging leider nicht auf. Vermutlich hatte er ein Kainsmal in Form seines Geburtsjahres auf der Stirn. Vom Arbeitsamt, oder wie es neu heißt, von der Agentur für Arbeit oder Arbeitsagentur, der Begriff Jobcenter wird ab 2011 folgen, die wechselnden Namen sind für ihn irrelevant, kam bezüglich seiner Ingenieurqualifikation und seiner nachgewiesenen Erfahrungen nichts, gar nichts. Man beschränkte sich ausschließlich darauf, seine Berufsqualifizierung als Elektriker als einziges Kriterium zu verwenden. Aber in der Regel gab es bei den von der Arbeitsagentur vermittelten Stellen überhaupt keine Reaktion, nicht einmal telefonisch waren einige dieser Firmen erreichbar. Oder es waren Zeitarbeitsfirmen und private Arbeitagenturen. Wieso können die privaten Arbeitsagenturen die Aufgaben, die eigentlich die behördliche Arbeitsagentur selbst machen müsste, von dieser vermittelt bekommen? Gibt es hier Absprachen auf höherer Ebene, auf diese Art und Weise die Zeitarbeitsfirmen zu füttern und damit das Lohnniveau um einen deutlichen Betrag zu senken? Mehr als zwei Drittel der Vermittlungsvorschläge dieser privaten Arbeitsagenturen waren dann auch Beschäftigungsverhältnisse bei Zeitarbeitsfirmen und fast ausschließlich bundesweite Montage. In einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Arbeitsagentur erfuhr Frank-Peter Sommer sehr viel später, dass viele dieser Mitarbeiter nur befristet angestellt sind und nach kurzer Zeit selbst wieder entlassen werden. Damit fehlt denen die Motivation für mehr Engagement im Job. Es sind halt auch nur arme Schlucker.
Weit mehr Aktivitäten als von der Agentur kamen deshalb von Frank-Peter Sommer selbst. Er durchforschte die Tageszeitungen ständig nach infrage kommenden Arbeitsplätzen, notierte sich die Telefonnummern und Emailadressen von Firmenfahrzeugen, die er in der Stadt sah und versuchte diese Firmen zu kontaktieren. Auch die Gelben Seiten wurden von ihm intensiv unter die Lupe genommen. Nach Drohungen der Agentur für Arbeit, flexibler werden zu müssen und auch einer Montagetätigkeit aufgeschlossen gegenüber zu stehen, schloss Frank-Peter Sommer, inzwischen 58 Jahre alt, einen Vertrag mit einer Zeitarbeitsfirma, die ihm vollmundig versprach, einen Einsatz im Tagespendelbereich zu gewährleisten. Das war ihm wichtig, denn er hatte die Betreuung seiner Mutter übernommen und die unzähligen Behördengänge ließen sich nicht mit einer Montagetätigkeit unter einen Hut bringen.
3. Frank-Peters Mutter
Das Schicksal hatte es mit der Mutter von Frank-Peter Sommer nicht immer gut gemeint. Ihr egozentrischer Charakter mit hypochondrischen Elementen war nicht förderlich, mit Männern auf Dauer gut zusammen leben zu können. Viele Episoden aus ihrer Jugend, die symptomatisch für die Erklärung ihres Charakters waren, erfuhr er sehr viel später von seinem Vater und der Schwester seiner Mutter. Nach der Scheidung von ihrem ersten Mann, seinem Vater, kurz vor der Silberhochzeit lernte sie mit knapp 50 Jahren einen 14 Jahre jüngeren Arbeitskollegen kennen. Dass dieser bis dahin Junggeselle geblieben war, erregte keinen Argwohn in ihr. Nach der unausweichlichen Scheidung, der zweiten, versicherte sie sich nach einiger Zeit doch wieder der Arbeitskraft ihres zweiten „Ex“, derer sie vor allem im Garten bedurfte. Nur hatte dieser jetzt wieder eine eigene Wohnung und damit ein Rückzugsgebiet. Trotzdem war er immer öfter in der Wohnung seiner Mutter, die nach kurzer Zeit wieder anfing, Kleinlichkeiten zum Streit zu suchen. Wenn sie in der Stube war, saß er in der Küche am zweiten Fernsehgerät. Den zusätzlichen Stromverbrauch des Fernsehers, die fehlende Hilfe im Haushalt, die sie erwartete, weil sie ihn bekochte und auch seine Wäsche wusch, kurz, es kam immer häufiger zum Streit, bei dem sicher auch ihr Ex nicht immer schuldlos war. Es gab keine größeren Reisen mehr, die sie anfangs mit ihrem zweiten Ehemann gern unternommen hatte. Frank-Peter Sommer hatte ihr ein Auto sehr günstig überlassen, weil er sich in seiner Familie zu dieser Zeit kein zweites Auto mehr leisten konnte. Diesen Skoda Favorit kaufte er nach der Wende als Neuwagen für weniger als 12.000 DM (!). Das Auto wurde nur von seiner Frau für ihre Fahrten zur Arbeit gebraucht. Mit diesem, „ihrem“ Auto fuhr ihr Ex sie nun gelegentlich zu gewünschten Zielen, mehr nutzte dieser das Auto aber für sich, was auch wieder Streit provozierte.
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