Die Höhle in den schwarzen Bergen. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические приключения
Год издания: 0
isbn: 9783957840042
Скачать книгу
war es still geworden. Es ertönten keine Kriegsrufe mehr. Vielleicht waren die Kämpfenden auseinandergekommen, und die Krieger der Siksikau blieben nur noch draußen, um einem weiteren Angriffsversuch sofort entgegentreten zu können. Der Gefangene bewegte auf einmal den Kopf – das war die einzige Bewegung, die er noch machen konnte – er sah Harka an und begann zu sprechen. »Harka Steinhart Nachtauge Wolfstöter Büffelpfeilversender Bärenjäger!«, sagte er in seiner Sprache, die nur Harka verstand. Dass er alle Namen Harkas kannte, zeigte, wie gut er von Tatanka-yotanka unterrichtet worden war. »Du bist tapfer. Schämst du dich nicht, als Verräter mit den schwarzfüßigen Kojoten zusammen gegen die Krieger deines Stammes zu kämpfen?«

      Harka erschrak und konnte nicht verhindern, dass er blass wurde. Die anwesenden Siksikau verstanden nicht, was der Gefesselte sagte, aber gerade, dass er in einer ihnen unbekannten Sprache zu Harka sprach, musste sie misstrauisch machen, ganz besonders, nachdem das Dakotamädchen Verrat geübt hatte. Harka konnte nicht übersetzen, was Tashunka-witko gesagt hatte, hätte es auch nicht übersetzen mögen. Er wollte dem Gefangenen auch nicht antworten, denn auch diese Antwort hätten die Siksikau nicht verstanden und sich nur unnütze Gedanken gemacht.

      Daher stand Harka auf, warf dem Gefesselten einen abweisenden Blick zu und setzte sich mit seiner geladenen Büchse an den Zelteingang zu dem alten Mann. Schweigend warteten dann alle weiter. Die stille und ermüdende Wache dauerte bis zum Morgengrauen.

      Als die Sonne endlich aufgegangen war, kamen die ersten Krieger zurück, bald folgten weitere. Harka hörte das Laufen und Sprechen draußen.

      Der Häuptling trat mit Mattotaupa in sein Zelt ein. Jeder der beiden Männer hatte zwei erbeutete Skalpe bei sich, langes schwarzes Haar mit dem kleinen Hautstück vom Wirbel. Sie übergaben dieses Siegeszeichen beide der Frau. Die Skalpe mussten präpariert und die Geister der Gefallenen durch den Skalptanz der Frauen beschworen und versöhnt werden. Der Häuptling und Mattotaupa selbst waren mit ihrer von Staub, Schweiß und Blut verklebten Haut, der beschmutzten und zum Teil zerrissenen Kleidung, dem wirren Haar, den eingefallenen Wangen und tief in den Höhlen liegenden Augen noch ein Bild des harten Kampfes, der sich abgespielt hatte. Wahrscheinlich weilten ihre Gedanken nicht bei dem Ruhm, den ihnen die Abwehr der Angreifer und die erbeuteten Skalpe bringen mussten, sondern es war ihnen zuerst nach einem Bad im Bach und nach Schlaf zumute. Sie fragten auch beide weiter nichts, und der Häuptling gab keine neuen Anordnungen, nachdem er mit einem Blick das Zeltinnere überschaut hatte. Er verlangte nur ein Töpfchen Fett, und als er es von seiner Tochter erhalten hatte, ging er mit Mattotaupa zusammen wieder hinaus.

      Der Gefangene ließ sich nicht anmerken, was er etwa dachte. Harka auch nicht. Aber es freute ihn, dass sein Vater im Kampf nicht hinter dem Schwarzfußhäuptling zurückgestanden hatte.

      Als Mattotaupa gebadet hatte, rief er Harka aus dem Häuptlingszelt und ging mit ihm in das leere Zelt am Südende des Lagers. Der Häuptling schickte eine Schwarzfußfrau, die die beiden im Zelt versorgen und bedienen sollte. Da diese kein Wort der Dakotasprache verstehen konnte, sprachen Mattotaupa und sein Junge ungestört miteinander. Sie setzten sich zusammen an das Feuer, und Harka berichtete, wie seine gewaltsame Entführung vor sich gegangen war. Der Vater beschrieb ihm anschließend den Verlauf des gesamten Kampfes sehr genau, damit der Knabe daraus lernen konnte. Er schloss: »Es sind also vier Dakota gefallen, aber nur ein Schwarzfußkrieger; drei Schwarzfüße allerdings sind in die Hände der Dakota geraten. Vielleicht können wir diese gegen Tashunka-witko zurücktauschen. Die Dakota werden versuchen, ihren jungen Häuptling zu befreien, und wenn er ohne Kampf seiner Fesseln ledig wird, sind sie zufrieden, denke ich.«

      »Wer soll ihnen das sagen, Vater?«

      »Niemand. Sie schicken von selbst Unterhändler.«

      »Bis dahin soll Tashunka-witko am Leben bleiben?«

      »Häuptling Brennendes Wasser und der Geheimnismann sind sich darüber einig.«

      »Aber die Dakota wissen gar nicht, dass Tashunka-witko noch lebt und sich in Fesseln bei uns befindet.«

      »Sie wissen es. Ich habe es ihnen im Kampf zugerufen.«

      Mattotaupa und Harka aßen getrocknetes Büffelfleisch, das die Schwarzfußfrau mitgebracht hatte.

      »Wir müssen bald selbst auf die Jagd gehen, Vater, und nicht nur als Bettler hier leben«, meinte Harka.

      »Hau. Es gibt viel Wild. Wir werden bald Pfeil und Bogen gebrauchen.«

      An diesem Morgen schämten sich weder Mattotaupa noch Harka, sich hinzulegen und Schlaf nachzuholen. Als Harka unter die Decken schlüpfte, dachte er daran, was alles geschehen war, seit er sein Lager in der Nacht verlassen hatte. Jetzt war es Tag, es war Ruhe, und er konnte schlafen, ohne zu träumen.

      Als er nach vielen Stunden wieder wach wurde, war eine Zeltplane aufgeschlagen, so dass die Nachmittagssonne hereinschien. Der Vater saß beim Zelt und schnitzte neue Pfeilschäfte. Harka konnte ihn sehen. Der Junge blieb noch auf seinem Lager und schaute der Arbeit zu. Er beobachtete auch, wie der Schwarzfußhäuptling zu Mattotaupa kam und ihn zu sich ins Zelt bat. Gab es schon wieder irgendeine Neuigkeit? Mattotaupa blieb nicht lange fort. Als er wiederkam, merkte Harka ihm an, dass er etwas Ärgerliches erlebt hatte, wenn er dies auch zu verbergen suchte. Er nahm seine Arbeit wieder auf, und Harka, der inzwischen aufgestanden war, half ihm stillschweigend.

      Endlich berichtete Mattotaupa von selbst: »Tashunka-witko weigert sich nicht nur zu essen, er will auch nicht trinken. Wir können ihn nicht dazu zwingen. Wenn er sterben will, wird er sterben.«

      »Du hast mit ihm gesprochen?«

      »Hau. Der Geheimnismann bat mich darum. Ich habe Tashunka gesagt, dass es möglich ist, ihn einzutauschen. Aber darauf antwortete er mir nur mit Hohn und Spott. Er will sterben. Nun gut, er stirbt.«

      »Wann?«

      »Wenn er hartnäckig bleibt, beginnt sein Sterben heute am Abend. Häuptling Brennendes Wasser will nicht warten, bis der Gefangene verdurstet ist. Die Siksikau werden ihn an den Pfahl bringen.«

      Harka arbeitete an einem Jagdpfeil weiter und fragte: »Wie aber befreien wir dann die gefangenen Schwarzfüße?«

      »Das wissen wir noch nicht. Tashunka will es uns mit seinem Trotz unmöglich machen, sie zu befreien. Tashunka und seine Krieger sind dieses Mädchens wegen gekommen, das eine Tochter ihrer Zelte ist und die Frau eines Unterhäuptlings werden soll. Sie war schon einen Sommer und einen Winter hier, hat aber alle Schwarzfußkrieger, die um sie warben, verschmäht. Tashunka hatte Geschenke angeboten, um sie zurückzuholen, aber die Schwarzfüße waren stolz und lehnten die Geschenke ab. Da ist Tashunka mit seinen Kriegern gekommen, um uns zu überfallen. Das sagte mir der Geheimnismann jetzt.«

      Es war später Nachmittag. Die Sonne sank; es wurde gleich sehr kühl. Mattotaupa und Harka gingen wieder in das Zelt hinein an die Feuerstelle. Die Frau schlug die Zeltplane herunter. Mattotaupa rauchte eine Pfeife. Harka brütete stumm vor sich hin.

      Draußen begannen die Vorbereitungen für den Tod des Gefangenen. Es wurden große Feuer angezündet. Das Holz dafür herbeizuschaffen machte vielen Frauen viel Arbeit, und es brannte schlecht, weil es frisch war, und entwickelte viel Qualm. Ein Pfahl wurde eingerammt. Das Töten eines Gefangenen hing bei den Indianern noch mit den uralten grausamen Kultsitten des Menschenopfers zusammen.

      Harka folgte dem Vater, der vor das Zelt hinausging. Alles war schon auf den Beinen, und es wäre aufgefallen, wenn Mattotaupa und Harka sich nicht gezeigt hätten. Am Ende des Platzes, in dessen Mitte der Pfahl aufgestellt war, tanzten einige Frauen den Skalptanz.

      »Wem wird der Skalp Tashunka-witkos gehören?«, fragte Harka den Vater, während sich die beiden unter die anderen Dorfbewohner mischten.

      »Mir oder keinem«, antwortete der Vater missmutig. »Ich aber will ihn nicht haben, da diese fünf Schwarzfüße sich zu früh einmischten und mir nicht erlaubten, Tashunka allein zu besiegen.«

      Die Sonne sank zum Horizont. Das schimmernde Licht des scheidenden Tages wurde vom Flammenschein verdrängt, so dass die Dämmerung schon düsterer erschien, als sie war. Die Äste waren