In der Staatsjugendorganisation wurde das Lied als Mittel der Beeinflussung bei fast jeder Gelegenheit eingesetzt, so bei Festen und Feierlichkeiten, beim Sport und zu den wöchentlichen Heimabenden.
Abb. 13: Feste und Feierlichkeiten
Abb. 14: HJ-Zug in Wintersdorf 1938
Die gesungenen Lieder können in drei unterschiedliche Genres eingeteilt werden: das politische Lied, das Kampflied sowie das alte und neue Volkslied. Besonders den glorifizierenden Kampf- und Marschliedern als „Erbe der Kampfzeit“206 wurde eine hohe Bedeutung beigemessen, sollten sie doch den Hitlerjungen auf den Krieg einstimmen. Besonders stimulierend wirkten hierbei Rhythmus und Melodie dieser Lieder, die zum Mitsingen und Marschieren anregten und damit die Gemeinschaft der Singenden stärkte. Der Inhalt der Lieder war geprägt von Themen wie Tod, Sieg und Untergang.207 Als Beispiele können das von Baldur von Schirach verfasste und in der Staatsjugendorganisation häufig gesungene Lied 'Vorwärts, vorwärts' angeführt werden, wie auch das Lied 'Es zittern die morschen Knochen'208 des wohl bekanntesten Lieddichters der HJ Hans Baumann. Letzteres enthielt die berüchtigten Liedzeile: „Heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt“. Obgleich Baumann um 1936 das 'gehört' in 'hört' umänderte, gilt das Stück bis heute als Paradebeispiel chauvinistisch-hegemonistischen Liedguts der NS-Zeit.
Abb. 15: Lied: Vorwärts, Vorwärts
Abb. 16: Lied: Es zittern die morschen Knochen
Eng verwandt mit dem Kampflied war das politische Lied, durch welches den jungen Menschen eine einheitlich politische Haltung vermittelt wurde. Besonders häufig beinhalteten diese Lieder Wörter, welche die ideologische Weltanschauung und den Krieg heroisierten, so unter anderem Volk, Vaterland, Führer, Glaube, Fahne. Das Wort Fahne spielte eine gewichtige Rolle und wurde, fast wie ein Religionsersatz, über das eigene Leben gestellt, ablesbar etwa im Refrain des Liedes 'Vorwärts, vorwärts' in dem es heißt: „Ja die Fahne ist mehr als der Tod!“. Wichtige Beispiele dieses Liedgenres sind weiterhin die Lieder von Horst Wessel 'Die Fahne hoch', oder 'Ein junges Volk steht auf, zum Sturm bereit'.209
Auch alte und neue Volkslieder, darunter Gemeinschafts- und Hausmusik sowie deutsche Meisterwerke wurden an die Jugend herangetragen, in denen sich erneut häufig die Begriffe „Vaterland, Volk, Führer“ wiederfanden. Sie hatten die Aufgabe, die Jugend „zur Ehrfurcht vor dem schöpferischen Genius unseres Volkes zu erziehen.“210, so unter anderem in dem Lied 'Die Morgenfrüh ist unsere Zeit'. Hinzu kamen neue Volkslieder, welche während des Nationalsozialismus geschrieben wurden. Sie thematisierten meist das propagierte Jugendleben dieser Zeit.
Auch Liedgut aus der Zeit der Jugendbewegung wurde übernommen, jedoch nur Lieder, die sich im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie nutzen ließen. Ansonsten wurden bündische Lieder verboten, beispielsweise im 'Verordnungsblatt der Reichsjugendführung II/25 – HJ. Stabschef' vom 01. 12. 1934, dass neben sowjetrussischen Stücken wie 'Eisbrechermannschaft' auch solche wie 'Heijo, der Fahrtwind weht' vom Nerother Wandervogel aufführte. Gleichzeitig wurde den HJ-Dienststellen der Bezug von Liederbüchern aus dem noch bestehenden bündischen Verlag Günther Wolff in Plauen untersagt. Nach einer Durchsuchung des Verlags im Jahr 1938 durch die Gestapo wurde der Verlag zwangsgeschlossen, da weiterhin im Geheimen aus dessen Lagerbeständen bezogen wurde.211
Jazzmusik spielte, obwohl offiziell als entartet verboten, auch in der Zeit des Nationalsozialismus für viele Jugendliche eine wesentliche Rolle. Ihre swingende Rhythmik, die sich leicht in die allgemeinen Hörgewohnheiten der Menschen einlagerte, fand vor allem durch US-amerikanische Filme Verbreitung, deren amerikanische Titel in unverfängliche deutsche übersetzt wurden.
Abb. 17: Lied: Es dröhnen Trommeln durch das Land
So fanden sie ihren Weg auch ins Radio oder wurden auf Tanzveranstaltungen gespielt, wie bei der Swing-Jugend212 erkennbar wird.
Zu den wichtigsten und einflussreichsten Liedkomponenten gehörte, unter anderem der bereits erwähnte Hans Baumann. Erst 1933 trat er, vom katholischen Schülerbund kommend, der HJ bei und wurde schnell zum berühmtesten HJ-Lieddichter. Er fertigte für alle Bereiche Gebrauchsmusik an, darunter Tageszeitenlieder, Marschlieder, Weihnachtslieder, Vaterlands-, Ostlands- und Soldatenlieder.
An dieser Stelle können noch Werner Altdorf als Verfasser kämpferischer Lieder, Heinrich Spitta für feierliche Gesänge und Georg Blumensatt, verantwortlich für Marschstücke, aufgeführt werden.
5.7 Fahrten und Lager
Eine weitere freizeitpolitische Aktivität von HJ und BDM waren die Fahrten und Sommerlager für die Jungen und Mädchen. Sie existierten als ein zentrales Element der NS-Erziehung, denn „nirgendwo sonst ließen sich die Lebensbedingungen so konsequent arrangieren und kontrollieren, wie es dem Ideal der HJ-Erziehung entsprach.“213 Fernab von Elternhaus und Schule war es den Nationalsozialisten möglich, für ein bis zwei Wochen den gesamten Tagesablauf der Jungen und Mädchen zu gestalten, um durch Spiele und Übungen zu festigen und zu verinnerlichen, was in der weltanschaulichen Schulung der wöchentlichen Heimabende gelernt wurde. Neben der weltanschaulichen Schulung und der kulturellen Arbeit spielte die Naturerfahrung in den Lagern eine große Rolle, denn „erst der naturverbundene Mensch besitzt eine sichere, unserer Weltanschauung entsprechende Haltung, erst er kann als Soldat in der Wehrmacht alle Vorteile, die das Gelände ihm bietet, sich zu eigen machen […].“214
Das Lagerleben mit seinen Ritualen, der Musik und den Gesängen, den Feier- und Weihestunden war prädestiniert, die Jugend weltanschaulich zu schulen. Es wurde beispielsweise bewusst die Lagerfeuerromantik genutzt, um ideologisch auf die Kinder einzuwirken. Diese Inszenierungen ließen ein Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl entstehen, welches im Nationalsozialismus von großer Bedeutung war.215
Obergebietsführer Karl Cerff hat im Vorwort des Buches 'Zucht Freude Glaube – Handbuch für die kulturelle Arbeit im Lager' geschrieben: „Immer mehr hat sich das Lager zu einer Erziehungsstätte unserer Gemeinschaft entwickelt, die wie selten sonst in unserem alltäglichen Leben uns von allen Seiten her anpackt und formt.“216
Der Tagesablauf in den Lagern war vollständig strukturiert und durchgeplant und ließ den Kindern selten Raum zu Entfaltung ihrer individuellen Ideen, Bedürfnisse und Fähigkeiten. So begann jeder Tag mit dem Frühsport, gefolgt von einem Fahnenappell und weiterer Aktivitäten wie beispielsweise Liederstunden, Spielrunden und Sportübungen. Beendet wurde der Tag mit dem Flaggeneinzug.
Abb. 18: Sommerlager der HJ
Abb. 19: Sommerlager der Jugend
5.8 Körperliche Ertüchtigung/Sport
Die Wichtigkeit der körperlichen Ertüchtigung im Nationalsozialismus wurde bereits dargestellt. Hitlers Äußerung über das „Heranzüchten kerngesunder Körper“217 kann in diesem Zusammenhang gesehen werden.