Der berühmte Indianerheiler und Traditionsbewahrer der chirokesischen Kultur, Rolling Thunder, brachte das auf einem Kongress vor mehr als 3000 Wissenschaftlern auf den Punkt, als er forderte, beide Kulturkreise sollten zusammenarbeiten statt gegeneinander.
In ihren sehr unterschiedlichen Wegen der Erkenntnis könnten beide Kulturkreise einander hervorragend ergänzen. Man solle in Zukunft füreinander offen sein und voneinander lernen.
Rein materielles Denken macht krank
Nun greift die Diskrepanz zwischen beiden Kulturkreisen, dem der Europäer und europäisch ausgerichteten Amerikaner und dem der Indianer und anderer Stammesvölker allerdings weit tiefer, als es beim bloßen Vergleich naturwissenschaftlicher Erkenntnis und schamanischer Gnostik scheinen mag. Die gesamten Lebensphilosophien unterscheiden sich gründlich voneinander. Die Daseinsziele des europäischen Kulturkreises heißen Streben nach Macht, Einfluss, materiellem Besitz und Ansehen sowie die ständige Vermehrung dieser so genannten Werte. Die Indianer und anderen Stammesvölker streben nach Harmonie mit der gesamten Schöpfung.
Beides ist grundsätzlich unvereinbar miteinander; denn wer Macht und materiellen Reichtum sucht, muss in einer Gesellschaft Gleichdenkender ständig darum kämpfen, während dem Harmoniestreben der Aggressionskampf fremd ist. Hier gibt es nur die - allerdings mitunter sehr entschiedene - Verteidigung tradierter Werte vor dem Versuch anderer, diese aus ihrem harmonischen Gleichgewicht zu bringen.
Das Heil des Einzelnen und das Heil der Erde bedingen sich wechselseitig. Krankt der Einzelne, so ist zwangsläufig auch sein Verhältnis zur Natur gestört. Die Disharmonie mit der Natur kann aber auch Ursache der Krankheit sein.
Parallelen zur Lehre Christi
Eine der meistzitierten Bibelpassagen ist die Bergpredigt Christi. In ihr fordert jener Prophet, den das Abendland als Gottes Sohn verehrt: »Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen. - Sorgt nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn die Speise und der Leib mehr denn die Kleidung? Sehet die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nähret sie doch.« Und in derselben Predigt sagt Jesus: »Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; betet für die, die euch beleidigen und verfolgen.«
Wie weit hat sich doch der christliche Kulturkreis von diesen Grundweisheiten allen Lebens entfernt. Es ist beschämend für das christliche Abendland, dass die Indianer ausgerechnet nach diesen christlichen Grundgesetzen leben, nachdem Missionare sich anmaßten, ihnen die Lehre von Gott bringen zu wollen, und zugleich eifrig bemüht waren, die indianische Kultur beider amerikanischer Subkontinente zu vernichten.
Die Botschaft der universellen Nächstenliebe
Dazu der große Medizinmann Mad Bear in einer Rede an die Weißen: »Wenn du in dir ein Gefühl von Gegnerschaft entdeckst, das heißt, wenn du anderen gegenüber negative Gefühle hast, bist du genau in der Situation, wo du empfänglich wirst für deren negative Gefühle. Das Grundprinzip ist, dafür nicht empfänglich zu sein. Ihr begegnet euren so genannten Kriminellen mit so viel Angst und Hass und Verachtung, dass eure Verbrechensrate immer mehr steigt. Eure Gesellschaft hat eine so hohe Verbrechensquote, weil sie mehr als empfänglich dafür ist. Ihr solltet mit diesen Leuten arbeiten und nicht gegen sie. Ihr solltet Verachtung für die Kriminalität als solche, aber nicht für die Menschen empfinden. Es ist ein großer Fehler, irgendeine Gruppe oder irgendwelche Menschen als Gegner zu betrachten. Wenn du dies nämlich tust, drängst du sie genau in diese Rolle. Es ist nützlicher, jeden anderen Menschen als ein anderes Ich, jedes einzelne Individuum als einen Vertreter dieses Universums zu betrachten.« - Liebet eure Feinde.
Wo die Harmonie der Seele fehlt, kann es weder einen gesunden Geist noch einen gesunden Körper geben. Das ganze Leben ist zutiefst aus dem Gleichgewicht geraten und krank.
Kein Gefühl für das Leben
Die Tatsache, dass sich der europäisch orientierte Mensch in seinem gesamten Denken und Handeln, von der Naturwissenschaft bis hin zu Machtpolitik und Wirtschaftswachstum, ausschließlich an materiellen Komponenten wie Profitstreben, Kosten-Nutzen-Analysen, mechanischer Funktionsanalytik u.Ä. orientiert, halten indianische Lehrer für eine schwere Krankheit des Geistes.
Sie betonen, dass dieses Vorgehen zwangsläufig zu Disharmonien und Katastrophen jeglicher Art und schließlich globalen Umfangs führen muss: zu Machtkriegen, Raub und anderen Verbrechen, zu hemmungslosem Ausbeuten und Zerstören der Natur und selbstverständlich auch zu jeglicher Art von Zivilisationskrankheiten. »Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden«, sagte Christus und begründete das auch damit, dass sie Diebe auf den Plan rufen. Damit ist die Saat der Gewalt gesät. Auch das indianische Verständnis vom Wesen der Krankheiten und deren Heilungsmöglichkeiten basiert auf dieser Grundphilosophie. Sie wird bei den Indianern dadurch untermauert, dass sie zutiefst davon überzeugt sind, alles stünde ständig mit allem in Verbindung. Oberstes Ziel indianischen Heilens ist es, gestörte Harmonien wiederherzustellen.
Indianer über Mensch, Natur und das Heilen
»Jeder Mensch ist ein Teil des Ganzen, keiner kann sich dem entziehen, keiner steht außerhalb oder hat weniger damit zu tun als ein anderer. Jeder Mensch ist eine Lebensform. Und deshalb ist das wahre Wesen des Menschen auch das Wesen des Lebens. Egal, wie tief du fällst oder wie hoch du hinaufsteigst - ob wirtschaftlich oder akademisch oder sonst wie -, du bist und bleibst ein Teil des Ganzen; selbst der schlimmste Verbrecher, der lebenslang in einer Zelle sitzt - sein Zentrum, sein Wesenskern ist derselbe Same, der Same der ganzen Schöpfung.«
Mad Bear
»Nichts ist umsonst, alles hat seinen Preis. Mich interessiert es, wie man mit solchen Dingen umgehen kann. Jede Krankheit und jeder Schmerz hat seinen Ursprung, und das ist meistens der Preis, den man entweder für etwas in der Vergangenheit oder aber in der Zukunft bezahlen muss. Das Wichtigste ist es, die Zusammenhänge zu erkennen. Moderne Ärzte scheinen das nicht zu begreifen. Es ist die Aufgabe des Medizinmannes, sich in diese Zusammenhänge Einblick zu verschaffen. Wir wissen, dass alles Folge des Einen und Ursache von etwas Neuem ist, also eine sich fortsetzende Kette von Ereignissen. Man kann sich nicht einfach dieser ganzen Kette entziehen. Manchmal muss eine Krankheit oder ein Schmerz entstehen, um den bestmöglichen Preis für etwas bezahlen zu können. Wenn man sich nun einfach der Krankheit entledigt, wird der Preis steigen. Die betroffene Person wird das vielleicht selbst nicht erkennen, aber ihr geistiges Ich weiß darum. Das ist auch der Grund, warum wir uns drei Tage lang mit einem Fall beschäftigen, bevor wir ihn übernehmen, und warum wir uns auch manchmal weigern, ihn zu übernehmen ...
Physische Beschwerden können alle möglichen Ursachen haben, gute und schlechte, wie wir sagen würden, aber sie setzen alle auf der spirituellen Ebene an. Eine Infektion kann man auch als eine spirituelle Verunreinigung bezeichnen. Was sich im Körper abspielt, ist nicht das Wesentliche, deshalb verlangt die Fähigkeit zu heilen mehr als nur das bloße Wissen um den Körper. Wenn der moderne Arzt einen Kranken behandelt, sieht er nur die Krankheit und nicht den Menschen. Wenn also der Arzt nicht wirklich erkennt, was in seinem Patienten abläuft, wo das wirkliche Problem liegt, wenn er dem Patienten dann irgendwelche schmerzlindernden Medikamente verschreibt oder ein krankes Organ oder Glied einfach wegschneidet und in den Müll wirft, dann ist das nur vertane Mühe und hat ganz gewiss nichts mit Heilen zu tun ...
Jede Materie innerhalb der Natur ist gleichzeitig ein spirituelles Wesen in einer spirituellen Natur. Deshalb können diese Dinge auch als spirituelle Helfer eingesetzt werden. Es gibt Wege, diese Helfer herauszufinden und zu begreifen, wie sie zusammengesetzt sind - und zwar nicht nur in ihrer chemischen Zusammensetzung.