Der Samurai hielt ein schriftliches Versprechen für unter seiner Würde.
Im japanischen Bushido wird immer vom Begriff der Aufrichtigkeit gesprochen, es wird interessanterweise niemals der Begriff Ehrlichkeit erwähnt. Ich denke, wir können mit beiden Begriffen gut umgehen und wissen, was gemeint ist. Ein Freund von mir ist Mitglied bei den Rotariern und war kürzlich bei einem Rotarier-Treffen in München. Es ging um die Themen „Werte im Management“ und „Werte im Allgemeinen“. Alle Teilnehmer hatten die Möglichkeit, zu Beginn auf ein Kärtchen einen Begriff aufzuschreiben, dessen Wertigkeit in ihrem eigenen Wertesystem besonders hoch ist. Die Kärtchen wurden in eine Box geworfen und anschließend ausgewertet.
„Ehrlichkeit“ war jener Begriff, der am häufigsten vorkam. Überrascht uns das? Warum geben wir der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit eine so große Bedeutung? Nun, die Medien sind voll von Korruptionsskandalen, Bestechungsaffären und Schmiergeldzahlungen. Sogenannte „Vorbilder der Nation“ entpuppen sich als Lügner und Betrüger. Rühmliche Dissertationen werden als Plagiate entlarvt und Politiker zum Rücktritt gezwungen. Wem kann man da noch Glauben schenken?
„Aufrichtigkeit ist der Knochen, der Festigkeit und Gestalt verleiht. Wie sich der Kopf nicht ohne Knochen auf der Wirbelsäule halten kann, wie die Hände ohne Knochen sich nicht bewegen und die Füße ohne sie nicht stehen können, so können weder Talent noch Gelehrsamkeit aus einer menschlichen Gestalt einen Samurai machen. Durch Aufrichtigkeit wird der Mangel an Fähigkeit bedeutungslos.“ (Inazo Nitobe) 19
Die Samurai bezeichnen die Aufrichtigkeit als den Zwillingsbruder der Tapferkeit. Gi-shi bedeutet im Japanischen so etwas wie „rechtschaffener Mann“. Im Laufe der Zeit wurde im Volksgebrauch aus Gi-shi der Begriff Gi-ri, was „rechte Vernunft“ bedeutet. Daraus entwickelte sich das rechte Pflichtgefühl und später einfach die Pflicht. Die Japaner verstehen heute unter Gi-ri die Pflicht, die wir unseren Eltern, Vorgesetzten, Untergebenen, Freunden und der Gesellschaft schulden. Ist es nicht so, dass uns die Pflicht das auferlegt, was uns die wahre Vernunft lehrt? Sollte sie nicht unser Handeln bestimmen und in einen kategorischen Imperativ münden?
„Gi-ri“ bedeutet die Pflicht, die wir unseren Mitmenschen und der Gesellschaft schulden.
Gi-ri bedeutet ursprünglich nichts weiter als „Pflicht“. Eigentlich sollte Liebe das Gefühl sein, das alle unsere Handlungen gegenüber unseren Eltern und Mitmenschen bestimmt. Wo sie fehlt, muss etwas anderes dafür einstehen, das kindliche Ehrerbietung erzwingt. Dieses Andere bezeichnen die Japaner eben als Gi-ri. Ein von Werten geprägter Japaner denkt, wenn die Liebe nicht zum richtigen Handeln und zu edlen Taten anspornt, muss der Verstand des Menschen zu Hilfe kommen und seine Vernunft geschärft werden, um ihn von der Notwendigkeit rechter Taten zu überzeugen. Dasselbe gilt für jede andere moralische Verpflichtung. In dem Augenblick, in dem die Pflicht als eine Last empfunden wird, muss die Vernunft hinzukommen, um zu verhindern, dass wir uns der Pflicht entziehen. Folglich ist Gi-ri ein strenger Lehrmeister, der mit der Rute in der Hand die Menschen aus der Komfortzone heraustreibt, ihren Teil beizutragen.
Wir leben in einer Zeit mit ständig härter werdenden Wettbewerbsbedingungen bei sinkenden Margen. Ist eine gewisse Schlitzohrigkeit nicht zu einer Selbstverständlichkeit geworden, um überhaupt noch konkurrenzfähig zu bleiben? Welchen Platz können realistischerweise Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in der täglichen Businessroutine einnehmen?
Ich bin davon überzeugt, dass ein Unternehmen heutzutage mehr denn je mit dem Engagement der Mitarbeiter steht oder fällt. Das Produkt ist austauschbar und die Produktzyklen werden immer kürzer. Selbstverständlich muss das Produkt marktgerecht sein. Aber auch die Innovation spielt eine tragende Rolle. Das beste und innovativste Produkt jedoch (ausgenommen Monopolstellungen) nützt uns nichts, wenn die Mannschaft nicht geschlossen hinter dem Unternehmen steht. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein positives Arbeitsklima und stimmige Rahmenbedingungen sich konstruktiv auf die Wertschöpfung der Mitarbeiter auswirken. Doch welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Aufrichtigkeit?
Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Beispiel aus meinem Alltag nennen: Ich habe in einer GmbH, an der ich beteiligt war, zusätzliche Geschäftsanteile übernommen. Dadurch wurde ich Mehrheitseigentümer. Hierfür war ein Notariatsakt erforderlich, gefolgt von einer Firmenbucheintragung und dem üblichen Procedere. Nach einigen Wochen war noch immer keine Rechnung vom Notar für seine Leistung gekommen. Ich beauftragte meine Sekretärin, in der Notariatskanzlei anzurufen, um sich nach der Rechnung zu erkundigen. Sie gab mir zur Antwort, ob ich das wirklich klug fände, denn vielleicht würde die Rechnung vergessen werden und wir könnten uns die nicht unerhebliche Summe sparen. Ich gab meiner Sekretärin zur Antwort, dass der Notar eine Leistung für uns erbracht und damit Anspruch auf sein Honorar hat, andernfalls würden wir in seiner Schuld stehen, und das könne ich auf keinen Fall verantworten. Sie schaute mich mit großen Augen an und war sichtlich überrascht.
Wie können wir von unseren Mitarbeitern Ehrlichkeit und Aufrich- tigkeit erwarten, wenn wir sie selbst nicht leben?
Hier gilt „go first“: Meister Oshima (9. Dan im Traditionellen Karate) hat gelehrt: You have to teach your students with your back!20 Er hat damit gemeint, dass die Schüler das Verhalten des Meisters annehmen, aber nicht nur das Verhalten der ihnen zugewandten Seite, sondern vor allem das der abgewandten Seite. Egal, wie gut man versucht die Dinge zu verbergen, die Mitarbeiter finden heraus, was Sache ist. Die Identifikation meiner Sekretärin mit meinem Unternehmen stieg enorm. Als wir uns für einen Standortwechsel auf die „grüne Wiese“ entschieden, nahm sie sogar einen wesentlich längeren Anfahrtsweg in Kauf. On the long run rechnet sich Aufrichtigkeit immer. Offenheit und Ehrlichkeit stärken das Vertrauen und geben den Mitarbeitern Sicherheit. Wenn sie sich sicher fühlen, können sie ihre Potenziale wesentlich besser entfalten und davon profitiert das Unternehmen nachhaltig.
Was hat es für einen Sinn, einem Handwerker oder einem Lieferanten, der eine ordentliche Leistung erbracht hat, die Rechnung sechs oder acht Wochen nicht zu bezahlen und dann, ohne dass es vereinbart war, zwei Prozent Skonto abzuziehen? Damit erzeugt man nur Krebsgeschwüre im eigenen Unternehmen. Den scheinbaren wirtschaftlichen Vorteil muss das Unternehmen durch Desorientierung und Demoralisierung der Mannschaft teuer bezahlen.
„In meinem Unternehmen haben Lieferanten und externe Dienstleister den gleichen Stellenwert wie Kunden.“
Der Konzern Hewlett Packard hat einmal den Begriff „Kunde“ sehr interessant definiert: Kunde ist derjenige, der von uns etwas braucht. Dies wurde speziell auf die interne Zusammenarbeit bezogen. Konkret heißt das: Wenn die Buchhaltung vom Vertrieb etwas benötigt, sieht der Vertrieb die Buchhaltung als Kunden. HP hat dies im Unternehmensleitbild integriert und dadurch die interne Zusammenarbeit und Qualität in der Kommunikation messbar verbessern können.
Der Dalai Lama hat in seiner Rede im Juni 2012 in der Stadthalle in Wien das Thema Umgang mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sehr schön erörtert. Seine Kernaussage war: Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit machen dich frei von Angst und Stress. Es gibt nichts, das du verbergen musst. Dein Gewissen ist sauber und frei, sodass die vorhandene Energie produktiv eingesetzt werden kann. Dieses Gefühl führt zu starkem Selbstvertrauen, und ein gesundes Selbstvertrauen ist die Basis für Erfolg.
Er erzählte, dass eine Frau ihm im Flugzeug auf dem Flug von Indien nach Österreich ein Bild von ihrem Sohn gezeigt und gesagt hatte, dieser sei geprägt von Hoffnungslosigkeit. Sie hatte die Bitte geäußert, er möge ihn segnen, und die Frage gestellt, was sie tun solle. Der Dalai Lama antwortete, dass dies speziell in der Jugend ein häufiges Symptom sei und sie möge ihm Selbstvertrauen geben. Und die Basis für