Eine trübsinnige, deprimierende Überlegung, die aber zumindest auf diesen Montag nicht zutraf. Es nieselte immer noch und das Telefon hatte wieder sehr viel mehr geschellt als am Freitag.
Die Zeit war ebenfalls schnell vergangen und ein freundliches Rufen meiner Frau: „Hey, kommst du mit, wir haben Feierabend“, kam mir zur rechten Zeit. Ein Blick auf die über dem Kalender hängende Uhr ließ mit einem Schlag meine Laune steigen. Denn schließlich würde uns der nächste Tag erneut die Gelegenheit bieten, uns Gedanken über Wetter, Uhrzeit und anderer Urgewalten zu machen.
Floristik und allerlei Blühendes
Die Arbeits- und Personalvermittlung ist im Grunde eine Maklertätigkeit. Nur dass anstelle von Immobilien oder Finanzdienstleistungen, Arbeitsstellen und Jobs vermittelt werden. Noch ein Unterschied zum Immobilienmakler besteht darin, dass sich der Arbeitssuchende das Objekt der Begierde nicht vorher anschauen kann, sondern erst durch die tägliche Arbeit erfährt, ob die Arbeitsaufnahme die richtige Entscheidung war. Das Gleiche gilt für den Arbeitgeber, der erst nach einer gewissen Zeit des Vertragsabschlusses aus der praktischen Tätigkeit heraus erkennt, ob der neue Mitarbeiter für seine Firma der Richtige ist.
Aber auch wenn die Personalvermittlung eindeutig eine Maklertätigkeit ist, woran es nichts zu diskutieren gibt, ist sie in der Praxis doch mehr mit dem Gartenbau und der Floristik im weitesten Sinne vergleichbar. Es ergeben sich zumindest gewisse Parallelen.
Pflanzen, die viel Licht und Sonne benötigen, gedeihen nicht an schattigen Plätzen. Ist die Bodenbeschaffenheit für die Pflanze ungeeignet, kümmert diese vor sich hin. Ein Gärtner hat viele solche Faktoren zu berücksichtigen, damit seine Gewächse blühen, gedeihen und sich entwickeln können.
Ähnliches trifft auf die Tätigkeit des Personalvermittlers zu. Es gehört zu seinen Aufgaben, Bewerbungen zu sichten, zu prüfen und zu bewerten und sie mit den Stellenprofilen abzugleichen. Wenn schließlich der Deckel zum Topf passt, dann passt auch der Interessent zum Arbeitgeber. Das heißt im Vergleich zum Gartenbau: Kommt der Bewerber an die falsche Position, so verkümmert er dort mit ziemlicher Sicherheit. Sitzt er jedoch auf dem richtigen Posten, hat er die besten Chancen, diesen zu sichern und sich weiterzuentwickeln!
Heute traf ein ganzer Schwung neuer Stellengesuche ein. Schnell waren die Bewerbungen, die als Alibi gegenüber der Arbeitsagentur oder dem Jobcenter dienen, von den offensichtlich ernst gemeinten Zuschriften getrennt.
Eine übel riechende, schmuddelige Bewerbungsinformation übergab ich sofort der „Kompostierung“. Denn die plötzlich auftretende achtziger Körnung auf meinen Armen ließ mich auf die mühevolle Kenntnisnahme des weiteren Inhalts verzichten.
„Ich habe noch gelernt, dass das Erscheinungsbild einer Bewerbung als Visitenkarte des Interessenten gilt. Ich möchte nicht wissen und mir vorstellen, wie derjenige persönlich auftritt, der diesen Mikrokosmos erschuf!“
Ich schaute zu meiner Frau, sie blickte fragend zurück. Zwischen Zeigefinger und Daumen haltend streckte ich die nämliche Akte mit gekräuselter Nase ihr entgegen. Die tiefen Falten, die prompt auf ihrer Stirn erschienen, dazu ihre plötzlich blassgraue Gesichtsfarbe ließen ihr Gesicht auf einen Schlag um Jahrzehnte altern. Gleich einer virtuellen Animation über Alterungsprozesse. Eine Computersimulation hätte diese 3-D-Präsentation nicht toppen können.
„Eindeutig Kompost! Sofort in den Müll! Ich hoffe nur, wir haben keinen weiteren Sondermüll!“
Da ist sie also wieder, die Parallele zum Gartenbau, bei dem die Kompostierung als ein Prozess definiert wird, bei dem organisches Material unter Einfluss von Luft, Bakterien und anderen Mikroorganismen abgebaut wird. Zugegeben, eine gewöhnliche Bewerbung ist bestimmt nicht als organisch zu bezeichnen. Aber diese spezielle arbeitete bereits an ihrer selbständigen Auferstehung und Lebensform, die vermutlich in Kürze zu erwarten gewesen wären!
Ich bin froh, dass sich solche biologischen Anschläge weitestgehend in Grenzen halten. Es wäre unschön und zeitvergeudend, die Büroräume ständig dekontaminieren zu müssen.
Mein Griff zum Brieföffner war das untrügliche Zeichen, dass ich bereits zum nächsten Arbeitsschritt wechselte. Das Erlebte gehörte zu diesem Zeitpunkt der Vergangenheit an und war damit quasi vergessen.
„Oh, wie schön ist das denn! Ist das Klasse“, schallte es mir entgegen. Kein erschreckter Blick oder wenigstens ein Erstaunen war im Gesicht meiner Kollegin erkennbar, sondern ein herzhaftes Lachen begleitete ihren Ausbruch. Jetzt war ich an der Reihe, erstaunt aus der Wäsche zu schauen.
„Oh, du scheinst freundlichere Post erhalten zu haben“, wobei sich mir zugleich alle möglichen Fragen auf einen Schlag stellten.
„Häh?“
Weiter kam ich nicht. Meine Frau stand bereits von ihrem Arbeitsplatz auf und reichte mir ein offensichtlich als Erklärung dienendes Schreiben über den Tisch.
Ähnlich wie Orchideen, deren Vielfalt Wissenschaftler mit etwa dreißigtausend bekannten Arten angeben, ist die Stilblüte in einem Bewerbungsschreiben ebenso verbreitet wie in jedem anderen Text. Weniger bekannt ist sie unter dem lateinischen Begriff: tuae litterae, quae mihi quiddam animulae stillarunt∗ – dein Brief, der meine Lebensgeister etwas aufgefrischt hat. Bei ihr hat sich ein lateinischer Begriff, wie in der Botanik üblich, nicht durchgesetzt, und diese Bezeichnung habe ich ja auch nur per Zufall im Internet gefunden, sie passte halt so schön an dieser Stelle.
Im Gegensatz zu den Orchideen, die sowohl als erdgebundene Pflanzen als auch als Aufsitzerpflanzen, sogenannten Epiphyten, bekannt sind, ist die Stilblüte mehr zufällig und in der Regel vereinzelt in Textpassagen verankert, aber gleich der Orchidee hier als ganzer Satz aufgesetzt zu finden.
Floristen sind Menschen, die in unserer Gesellschaft offensichtlich eine besondere Stellung einnehmen, so ist es jedenfalls dem Schreiben zu entnehmen, das mir meine Frau überreichte.
Die Besonderheit von Floristen erklärte die Verfasserin der Bewerbung gleich zu Beginn selbst.
Ich habe zwar Floristin gelernt, jedoch bin ich ein aufgeschlossener, lernfähiger Mensch.
„Schöne Sache, trotz Floristikabschluss versuchte sie, sich aus den Klauen des Floristen-Verhaltenskodex zu lösen.“ Lachend reichte ich das Schreiben wieder zurück. „Immerhin hat sie eins erreicht. Sie hat unsere Aufmerksamkeit gewonnen! Das allein ist doch schon Grund genug, sie zu einem persönlichen Gespräch einzuladen. Meinst du nicht?“
„Habe ich bereits erledigt“, antwortete leicht grinsend meine mir gegenübersitzende Kollegin.
Ob sie noch was sagen wollte, entging mir, denn nun hatte ich mich von einem anderen Brief ablenken lassen. „Es steht eins zu eins, ich habe auch was“, warf ich ein und wedelte vor ihrer Nase mit einem Stück Papier.
„Lies vor!“
„Gut, hör zu!“
Ich nahm den Bogen und zitierte die Stelle, die mich eben in ihren Bann gezogen und erheitert hatte.
Zuletzt arbeitete ich als Bauklempner, danach war ich als Maschinenschlosser beschäftigt.
Demzufolge gibt es nach dem Ende noch ein Danach. Zumindest beim beruflichen Werdegang. Setze ich diese Überlegung fort, komme ich zum Schluss, dass es womöglich auch ein Davor vor dem Anfang gibt. Eine Reinkarnation innerhalb eines Curriculum Vitae∗, ohne unnötige Zeit durch die Wiedergeburt zu vergeuden!