Morgoth Uncursed. Christian Krumm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Krumm
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783944180625
Скачать книгу
dabei herauskommenwürde. Wenn man alle noch einmal einzeln befragen und bitten würde, ihre Erinnerungen Revue passieren zu lassen. Wenn man sie sogar noch einmal zusammenbrächte, für einen Grillabend zum Beispiel, und wenn man all das Gesagte zusammenfügen würde zu einer Geschichte, einer Erzählung über fünf Leute aus einem kleinen Städtchen im Sauerland, die eine Band gründen, um damit mal eben Death-Metal-Geschichte zu schreiben. Ja, wenn man das tun würde …

       Kapitel 1

      „Golden Age“

      Irgendwo in einem ruhigen Dortmunder Vorort steht die Tür eines Hauses weit offen, als ich ankomme. Einen Rucksack mit Würstchen und Steaks auf dem Buckel, der rechte Arm schmerzt von dem Gewicht des Bierkastens. Es ist Mitte August 2014 und die Temperaturen haben bereits ein bedenklich herbstliches Niveau erreicht, aber das sollte nicht abschrecken.

      Als ich hereinkomme, sitzen bereits vier maßgebliche Personen an einem Tisch und plaudern. Harry, Rüdiger, Marc und Carsten tauschen geflissentlich Alltägliches aus oder philosophieren über Gott und die Welt. Es hat in der Tat etwas von einem Klassentreffen, nur dass keiner mit den Erfolgen seiner letzten Jahre prahlt. Ich begrüße alle und setze mich dazu, schließlich ist hier bereits die Gründungsbesetzung von Morgoth versammelt. Da sich die Herren zunächst in ihren Gesprächen nicht stören lassen, schaue ich in die Runde und versuche mir vorzustellen, wie sie vor dreißig Jahren genauso zusammen gesessen und über die Musik und ihre großen Pläne philosophiert haben. Obwohl mir einige Minuten lang jegliche Idee fehlt, wie ich mich nun in diese Gespräche einmischen und das Thema der Bandgeschichte zur Sprache bringen kann, genieße ich den Anblick. Diese Jungs sind alles andere als besessen von ihrer Vergangenheit. Segen und Fluch ihrer Laufbahn ist, dass sie als verschworene Clique sich nie großartig in etwas haben hineinreden lassen und der Genuss des miteinander Abhängens immer die entscheidende Triebkraft war.

      Aber dennoch, so langsam müssen wir anfangen. Schließlich gilt es, in der Summe fünfzehn bewegte Jahre zu resümieren. Bringen wir also ein wenig Licht ins Dunkel der Anfänge von Morgoth.

      Rüdiger: „Carsten und ich haben uns Anfang der 80er durch unsere Eltern kennen gelernt. Beim ersten Treffen gab es erst einmal ordentlich auf‘s Maul, aber danach sind wir lange durch dick und dünn gegangen. Dann bin ich sitzen geblieben und kam in die Klasse von Harry. Wenig später ist er sitzen geblieben und kam in die Klasse von Marc – eine Geschichte des Versagens.“

      Er lacht. Das macht er ohnehin sehr häufig. In einem Interview sollte man eigentlich immer die Fragen offen stellen, damit dem Gegenüber möglichst schnell etwas einfällt. Bei Rüdiger ist das nicht nötig. Ihm kann man sagen: „Erzähl mal!“, und er legt los:

      Rüdiger: „Carsten und ich haben mit Musik angefangen, weil wir unbedingt eine Band haben wollten, aber das war dann doch eher ‚Zwölftonmusik‘. Ohne Harry hätten wir das nicht geschafft. Er hat die Musikalität reingebracht. In einer ganz frühen Phase haben Carsten und ich ja einmal bei Kreator im Proberaum vorgespielt – das war ein frühes Trauma. Als wir fertig waren, herrschte Schweigen unter den Anwesenden. Aber dann wurde Bier gereicht und alles war vergessen. Später bei Despair hatten wir dann eine Art Deja-Vu.“

      Carsten: „Am Anfang habe ich noch einige Riffs geschrieben. Es stellte sich schnell heraus, dass Harry das sehr viel besser kann. Rüdiger hat dann als Schlagzeuger, was selten genug ist, die Riffs sortiert und die guten zu Songs weiterentwickelt.“

      So viel ist jetzt schon klar. Nach einhelliger Meinung der drei übrigen Beteiligten war es Harry, der die Band auf ein kompositorisch ansprechendes Niveau gehoben hat. Er selbst relativiert das ein wenig:

      Harry: „In der ersten Zeit waren Carsten und Rüdiger sicher die treibende Kraft der Band. Der Name und erste handgezeichnete Logos stammten von ihnen, außerdem hatten sie bereits erste Riffs und Songfragmente herausgearbeitet. Meine musikalische Vorbildung ist sicher durch meinen zehn Jahre währenden Klavierunterricht geprägt worden. Und da mir dann der Umstieg auf ein Saiteninstrument relativ leicht fiel, bin ich immer mehr in die Rolle des Songwriters und ‚Rifflieferanten‘ hineingerutscht.“

      Auch Rüdiger formuliert seine eigene Rolle etwas anders:

      Rüdiger: „Ich habe mich nie als Musiker gesehen, eher als jemanden innerhalb eines Stammes von vier Gleichgesinnten, die in der Musik ein Ventil gefunden haben. Nach Morgoth wollte ich auch keine andere Band haben. Für mich war es das Beste, im Proberaum mit den anderen zu jammen und Dinge zu entwickeln. Ideen zu haben hat mich immer mehr interessiert, als technisch besser zu werden. Das kam mit den Konzerten.“

      Eines funktioniert bei ihnen auch nach dreißig Jahren noch perfekt. Niemand stellt seinen eigenen Beitrag in den Vordergrund, lobt vielmehr den jeweils anderen. Auch Marcs Einstieg als Sänger wird von allen gelobt, während er es selbst mehr als Notwendigkeit darstellt:

      Marc: „Als Harry und ich dazukamen, war ich noch gar nicht eingeplant. Sie haben einfach jemanden gesucht, der schreien konnte und ohne Gesangsanlage gegen Gitarre und Schlagzeug ankam.“

      Harry: „Eigentlich war es eine logische Konsequenz, dass Marc und ich Rüdiger und Carsten kennengelernt haben. Mitte der 80er Jahre gab es im Sauerland kaum Kids, die unsere musikalischen Vorlieben teilten. Als wir Rüdiger und Carsten über den Weg liefen, waren wir schwer beeindruckt von ihren Lederkutten, kamen sofort mit den beiden ins Gespräch und freundeten uns sehr schnell an. Sowas nennt man wohl ‚Liebe auf den ersten Blick‘, haha.“

      Das alles geschah Mitte der 1980er Jahre in der sauerländischen Stadt Meschede. Sie ist umzingelt von kleinen Ortschaften, die meistens auf -burg, -heim, -feld oder -hausen enden. Zwischendurch ein -tal, -berg oder ein -see. Ein einsames Teilstück der A 46 befindet sich hier, darüber hinaus gibt es nur Landschaft und Landstraßen, Wälder und Serpentinen. Auf den Gleisen verkehren kleine Regionalbahnen in die östlichen Ausläufer des Ruhrgebiets. Als nächste Großstadt ist Dortmund eine mehrstündige Zugreise entfernt. Die Dörfer umgibt die Romantik alter Fachwerkhäuser und kleiner, rustikaler Ortskerne inmitten der Hügellandschaft. Viele der Einwohner leben dort und fahren nur zum Arbeiten oder Einkaufen nach Meschede. Die Stadt selbst hat ihre Fachwerkhäuser fast gänzlich bei Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg eingebüßt und befindet sich seit Jahren im baulichen Umbruch: Straßen, Brücken, ein Karstadt-Einkaufszentrum, eine Fußgängerzone, ein neues Industriegebiet, das das Großgewerbe aus der Innenstadt aussiedeln soll. Denn durch die Haupteinkaufsstraße quält sich der Industrieverkehr, LKWs mit Schlachtabfällen zum Beispiel, die liebevoll ‚Knochenlaster‘ genannt werden und die nahe gelegene städtische Knochenmühle zum Ziel haben. Dort werden die Abfälle zu Seife verarbeitet und regelmäßig hängt der Geruch verrottenden Fleisches noch lange in der Luft.

      Harry Busse und Marc Grewe sind zwei ganz normale Teenager, die in dieser ländlichen Umgebung aufwachsen. Sie lernen sich kennen, als Harry nach seinem Wechsel auf die Realschule zu Marc in die 7. Klasse kommt. Ihnen gemeinsam ist die Vorliebe für harte Musik, oder das, was man zu dieser Zeit als harte Musik bezeichnet. Harry stöbert regelmäßig in der Plattensammlung seines älteren Bruders und findet Bands wie Iron Maiden, Scorpions, AC/​DC, Rainbow, Deep Purple. Neben dieser Gemeinsamkeit verbinden sie weiteregleiche Interessen, wie Mofa fahren ohne Führerschein und Angeln gehen, was bedeutet, kleine Bomben aus mit Unkraut Ex und Schwarzpulver gefüllten Kupferröhren zu bauen, sie in die Ruhr zu werfen und zu schauen, was so an die Oberfläche treibt. Harry spielt seit seinem dritten Lebensjahr Klavier und besitzt eine Akustikgitarre. Da er und Marc, wie viele ihrer Altersgenossen in dieser Zeit, ihren Idolen nacheifern wollen, treffen sie sich nachmittags zu gemeinsamen Sessions mit einem weiteren Kumpel. Die E-Gitarre wird simuliert, indem Harry ein an einen Kassettenrecorder angeschlossenes Mikrofon in den Korpus der Gitarre legt und auf Aufnahme drückt,