Es gab wieder Schampus, Schlagzeilen und leichte Mädchen, während sich die Klagen wegen Diffamierung und verleumderischer Nachrede auf seinem Schreibtisch nur so stapelten. Aber ebenso wuchs auch sein Renommee, so dass er zeitweise sogar kleinere Artikel für den SPIEGEL schrieb. Und das war ja bekanntlich das Sturmgeschütz der Demokratie. Echtheitsgarantie mit Gütesiegel und Eichenlaub. Aus dem Journalistenverband in Bremen musste er zwar irgendwann austreten, da man dort Wert auf die sogenannten journalistischen Tugenden der Recherche und Lauterkeit legte, aber das juckte Rick Pfeffer verhältnismäßig wenig. Für ihn war jede einzelne öffentliche Beleidigung durch einen Kollegen wie ein Orden. „... die zwielichtigste Figur, die in Politik und Medien der deutschen Nachkriegsgeschichte ihr Unwesen treibt!“, hatte zum Beispiel Gerhard Mumme, der große Chef der Bild-Zeitung über ihn gesagt. Herrlich! Mehr davon! Der Bremer Oberbürgermeister, ein Sozi natürlich, nannte ihn sogar „Ein subjektives Ferkel“. Großartig! Die rote Tapferkeitsmedaille à la Stephen Crane! 1
„Viel Feind, viel Ehr’!“, sagte sich Pfeffer immer nur, und schließlich gab der Erfolg ihm ja auch Recht. Oder etwa nicht? Abstimmung mit dem Geldbeutel. Seine Artikel und Enthüllungsgeschichten lockten die Leser an, und die Zahl der Leser wiederum lockte Werbepartner an. Und da das Blatt im Handel kostenfrei erhältlich war, gelang es Pfeffer als Chefredakteur auf diesem Wege tatsächlich die Auflage von mickrigen 20.000 Exemplaren auf über 280.000 zu steigern. Donnerwetter! Aber verbrieft. Er schrieb sich also nicht ganz zu Unrecht auf die Fahnen, das partei- und privatfinanzierte Weser-Land-Blatt von einer nahezu ungelesenen Beilage zur Macht an der Weser gemacht zu haben. Allerdings war er der einzige, der die Zeitung so zu nennen pflegte. Und wenn der Preis hierfür war, hin und wieder eine Gegendarstellung bringen zu müssen oder ein Schmerzensgeld zu bezahlen, dann nahm er dies als doch recht billig in Kauf.
Nun sind Glückssträhnen aber bekanntlich stets ein Grund, misstrauisch zu werden, und am Ende hatte es Richard genannt Rick Pfeffer dann doch übertrieben. Alles begann bei einem Gerichtstermin, auf welchem sich Pfeffer zum wiederholten Male wegen Beleidigung verantworten musste. Das Verfahren war für ihn im Grunde nur Routine und das Urteil zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von eintausend Mark nahm er mit verschmitzter Beliebigkeit in Kauf. Ein paar Meineide, ein paar Verpflichtungserklärungen, Unterlassung von diesem und jenem. Herr Vorsitzender können wir dann bitte? Wir werden hier schließlich nicht jünger. Was Richard genannt Rick Pfeffer allerdings sehr interessierte, war die als Zeugin Nummer Drei aufgerufene junge Dame, die in all ihrer Eleganz und Weiblichkeit den Saal betrat und derart überzeugend für den beleidigten Genossen aussagte, den Rick Pfeffer als Hure Moskaus bloßgestellt hatte, dass unser lieber Herr Pfeffer letztlich zu jener mittleren Geldstrafe verdonnert wurde. Das Urteil war ihm jedoch schlichtweg egal, er hatte ab diesem Zeitpunkt nur noch Augen für die junge Genossin und konnte das Ende der Verhandlung kaum abwarten.
Als der Richter dann endlich den Hammer schwang und jener Lächerlichkeit ein Ende setzte – Pfeffer bezahlte die Strafe noch an der Gerichtskasse in bar – sprang er auf und eilte der davonschreitenden, nein, dahinschwebenden Schönheit hinterher. Er hielt die verwunderte Aphrodite flugs an, ließ all seinen Charme spielen, raspelte Süßholz und kassierte dafür eine derartige Abfuhr, wie er sie sein Leben lang noch nicht bekommen hatte. Was, aber ... das ist ja wohl, englitten ihm die Züge. Und sie sagte wörtlich: „Sie ekelhaftes Schwein, sie sollten sich was schämen. Was Sie da machen, ist wie der Stürmer mit Ihnen als Julius Streicher! Sie haben keinen Anstand, Herr Pfeffer, keine Moral und überhaupt kein Gewissen. Sie sind einer von diesen Perversen, die sich daran aufgeilen, wenn sie andere fertig machen.“
Dann spuckte sie ihm ins Gesicht.
„Außerdem sind sie hässlich! Jawohl, hässlich sind Sie! Glatze, Brille, fetter Bauch. Wahrscheinlich haben Sie auch noch einen kleinen Schwanz!“
Man sah ihr an, dass sie ihn schlagen wollte. Vielleicht auch zwischen die Beine treten. Ihre Lippen zitterten und sie hatte beide Hände zu Fäusten geballt. So starrte sie ihn eine endlose Sekunde an und dann ... Dann drehte sie sich um und ließ Rick Pfeffer stehen. Einfach so.
Nachdem er die Verhandlung so lässig überstanden hatte, war er nun doch noch Mittelpunkt des Spottes geworden, hatten doch alle um ihn herum die ganze Szene mitbekommen und lachten ihn jetzt aus. Hahaha und alle Finger auf ihn. In Gedanken, ja. Aber auch von dort stechen sie wie Degenspitzen und durchbohren seinen Stolz, seine Würde, seine Ehre. Und so war es nur folgerichtig, als er dachte: „Na warte, Du Schlampe. Dir werd’ ich’s besorgen!“ Hätte, könnte, wäre, wenn. Ach ja. Aber neben viel bemühten Konjunktiven geschah nun, was geschehen musste. Und zwar mit der Vorhersagbarkeit von Steuererhöhungen. Hätte unser guter Pfeffer sich nur seine Avancen gespart ... Wer weiß? Aber es kam, wie es gekommen ist. Ein kleiner Schubs, ein kurzer Tritt, eine einzige Wendung und alles ändert sich. Unumkehrbar und für immer. So ist es halt. Und so wird es immer sein. Solange sich Mutter Erde dreht und windet. Wir wollen also nicht klagen.
Rick Pfeffer hatte es sich zum Ziel gesetzt, dieses Subjekt, wie er sie nur noch nannte, fertig zu machen. Er wollte sie am Boden sehen. Sie zerstören. Und weil er nichts, aber auch gar nichts über diese nicht nur unbescholtene, sondern auch sozial engagierte Sozialdemokratin ausgraben konnte und weil außerdem Pfeffer so tief gekränkt war, musste er sich etwas einfallen lassen. Mal wieder. Ein Zweifler siegt nicht und ein Sieger zweifelt nicht! Niemals! Und so kam es, dass er in seinem nächsten Artikel aus der Sozialdemokratin eine DKP-Vorsitzende machte, die Ihre Funktion als Jugendclubleiterin dazu benutzte, den Kindern kommunistische Doktrinen einzubläuen. Und weil das bei den aufgeweckten Bremer Kindern natürlich nicht den rechten Eindruck schinden konnte, hatte er noch einen oben draufgepackt. „Sie verabreichte den Kindern Alkohol in rauen Mengen, dann wurde das Lied angestimmt: Wir pfeifen auf den Stress der Kapitalisten!“
Und das war dann selbst für einen Rick Pfeffer ein bisschen zu dick aufgetragen. Zugegeben, er war nicht mehr so ganz nüchtern, als er den Artikel verfasste und in die Schriftsetzung gab, aber dass diese Sache einen solchen Wendepunkt in seinem Leben markieren sollte, damit hatte er nicht gerechnet.
Der Artikel erschien und kurze Zeit später traf wie üblich die dazugehörige Klage mit Verfügung zur sofortigen Gegendarstellung in seinem Büro ein. Rick Pfeffer hatte damit gerechnet. Routine. Gähn. Mehr hatten die nicht drauf? Womit er aber nicht gerechnet hatte, geschah wenige Tage später. Als er an einem Dienstagmorgen sein Büro betrat, warteten dort zwei Herren auf ihn. Er kannte sie beide und ihre Anwesenheit verhieß nichts Gutes.
Der eine war Bernd Plaumann. Kurz, stämmig, mit einer etwas zu großen Brille und einem etwas zu kleinen Schnauzbart stand er am Konferenztisch und schenkte sich gerade Kaffee ein. Plaumann war der Verlagschef, der große Big Boss und damit im Grunde Pfeffers einzig echter Vorgesetzter.
Der andere, ein stilvoll gekleideter Mann mit ausgezeichnet geschneidertem Anzug und einem gutmütigen Gesicht, das jenen Ausdruck vornehmer Intelligenz hatte, den Pfeffer sich schon sein ganzes Leben lang wünschte, war Bernd Neustädter. Er war der CDU-Chef der Hansestadt und außerdem Mitinhaber des Weser-Land-Blattes. Pfeffer hatte beide schon oft getroffen, aber wenn sie in einem solchen Rahmen gemeinsam auftraten – wie gesagt: das verhieß nichts Gutes. In der Redaktion hatten sie sogar einen Ausdruck für ein derartiges Ereignis: Der Doppelte Bernd. Und gerade an diesem Morgen sollte Richard genannt Rick Pfeffer ein solcher Doppelter Bernd ereilen.
„Guten Morgen!“, sagte Neustädter, als er Pfeffer eintreten sah, ging mit bedachtem Schritt auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand.
„Guten Morgen!“, sagte nun auch Plaumann, allerdings ohne Pfeffer die Hand zu reichen.
„Meine Herren!“, sagte Pfeffer ganz staatsmännisch, so wie er sich bei Helmut Schmidt abgeguckt hatte und nickte. Er ging um seinen Schreibtisch herum, wie jeden Morgen, er legte seine Tasche auf den Schreibtisch und öffnete sie, wie jeden Morgen, atmete tief ein, atmete lange aus und sagte dann:
„Schön, Sie zu sehen. Haben sie den Artikel gelesen?“
Der doppelte