Wie kommt es, dass Völker immer wieder Kriege führen, obwohl sie durch Erfahrungen aus der Vergangenheit gelernt haben müssten, dass Kriege keine Völkerprobleme lösen?
Wie kommt es, dass Millionen von Menschen gesehen, gelesen und erfahren haben, dass Drogen den Menschen ruinieren, und sie trotzdem Suchtmittel konsumieren?
Die Erfahrung allein macht Menschen offensichtlich nicht klüger. Erst dann können wir aus Erfahrungen schöpfen,
wenn wir unsere persönliche Art und Weise zu denken kennen,
wenn wir die uns eigenen Muster durchschauen,
wenn wir unsere subjektive Beobachtungsweise erkannt haben, mit der wir eigene Erfahrungen deuten und bearbeiten.
2.1 Wie gewinnen wir Erfahrungen?
Ein Kind erlebt seine Umgebung, seine Familie, seine Eltern und Geschwister. Es wird mit dem Denken, Fühlen, Handeln und Bewerten der nächsten Angehörigen konfrontiert und registriert alle Eindrücke. Sämtliche Erlebnisse und Geschehnisse werden aber nicht nur gespeichert, sondern auch verarbeitet. Der Mensch ist kein lebloser Gegenstand, der alles passiv über sich ergehen lässt. Das Kind gestaltet seine Eindrücke, es zieht – unbewusst – Schlüsse daraus. Kinder werden also nicht nur in Rollen gedrängt, wie wir früher geglaubt haben. Rollen bestehen nicht aus Erwartungen, die an Kinder herangetragen werden, sondern Kinder bewerten und bearbeiten ihre gemachten Erfahrungen. Sie fügen sich oder sie begehren auf, sie reagieren auf irgendeine Weise auf die Erwartungen der Großen. Sie sind also nicht unbeteiligt.
Wie geschieht nun das »Machen« von Erfahrungen? Ein Kuchen beispielsweise wird mithilfe einer Kuchenform »gemacht«. Plätzchen und Waffeln werden mithilfe bestimmter Formen und Waffeleisen gebacken. Wir benötigen offenbar vorgefertigte Formen und Schablonen, mit denen wir schon öfter gearbeitet haben. Erfahrungen kommen auf die gleiche Weise zu Stande. Das Kind bevorzugt bestimmte Schablonen und Wahrnehmungsmuster, um die Welt, um Menschen und Situationen bewerten und einordnen zu können.
So hat jeder Mensch seine Wahrnehmungsmuster,
so hat jeder Mensch seine persönlichen Deutungsrahmen,
so hat jeder Mensch seine Vorurteile,
so hat jeder Mensch seine private Logik,
so hat jeder Mensch seine tendenziöse Apperzeption, d. h. seine zielgerichtete Wahrnehmung und Identifizierung.
Der Mensch wählt das aus, was seinem Lebensstil entspricht. Er lässt das fallen, übersieht und überhört das, was diesem Deutungsrahmen widerspricht. Mit anderen Worten: Der Deutungsrahmen ist die Brille, mit der er alle Ereignisse, Erlebnisse und Geschehnisse betrachtet. Jeder Mensch trägt eine solche Brille, mit der er die Welt sieht,
mit der er die Menschen wahrnimmt,
mit der er Konflikte und Auseinandersetzungen registriert,
mit der er alle Lebensvorgänge interpretiert.
Ist diese Brille, dieser Deutungsrahmen nicht richtig eingestellt, werden alle Erfahrungen »schief« gedeutet.
So kommen Lebensirrtümer zu Stande,
so entwickeln sich falsche Überzeugungen,
so kommen Fehldeutungen von Beziehungen und Menschen zu Stande,
so entstehen Glaubensfehleinschätzungen,
so werden Fanatiker »gezüchtet«,
so werden Idealisten geboren,
so entwickeln sich Menschenfeinde und Menschenfreunde.
Es handelt sich um Verhaltensmuster, die in den vier Persönlichkeitsstrukturen eine große Rolle spielen.
2.2 Welche Erfahrungen haben wir gemacht?
Drei Verhaltensmuster oder Grundhaltungen haben im menschlichen Leben eine große Bedeutung: Angst, Vertrauen und Hoffnung. Auch unsere Erfahrung wird von diesen drei Faktoren bestimmt. Jeder von uns hat Angst, Vertrauen und Hoffnung erlebt, sie verarbeitet und in sein Lebenskonzept eingebaut. Betrachten wir sie im Einzelnen einmal näher: Angst »hat« man nicht nur, Angst kann auch benutzt werden. Angst ist ein Gefühl, das in Dienst gestellt wird. Ebenso ist es mit Vertrauen und Hoffnung.
Alle drei Muster sind sozusagen Werkzeuge, die von uns zur Lebensbewältigung eingesetzt werden. Diese Werkzeuge können positiv genutzt oder missbraucht werden.
Von der Mutterbrust an lernt ein Säugling, was Angst, Vertrauen, Urvertrauen und Hoffnung beinhalten. Er zieht Schlüsse und geht entsprechend damit um. Jeder Mensch hat mit diesen Grundhaltungen Erfahrungen gemacht. Verdeutlichen wir uns das an Beispielen:
Da ist ein kleines Kind, das gelernt hat, sich mit Angst durchzusetzen. Angst ist ein Mittel, auf das seine Mutter am stärksten reagiert. Die Folge davon ist:
Die Mutter schützt das Kind,
die Mutter entschuldigt das Kind,
die Mutter verteidigt das Kind.
Die Konsequenz für das Kind ist: Jetzt darf es im Schlafzimmer der Eltern schlafen. Es verhindert, dass Vater und Mutter abends ausgehen können. Geschickt versteht es, sich vor bestimmten Aufgaben zu drücken. Unbewusst, nicht boshaft, hat das Kind seine Eltern trainiert: Mit Angst regiere ich meine Familie. Auch im späteren Leben wird dieser Mensch Angst erfolgreich einsetzen.
In der Schule wird Angst in Form von Hilflosigkeit eingesetzt. Die Mutter muss einige Stunden mit dem Kind oder für das Kind Aufgaben lösen. In der Ehe wird Angst in Form von Platzangst eingesetzt. Der Partner darf den anderen nicht allein lassen. Überallhin muss er ihn begleiten. Die Angst erlaubt ihm keine selbstständigen Schritte mehr.
Im Alter kommt oft Verlassenheitsangst vor. Die Angehörigen dürfen nicht verreisen, dürfen sich nicht weit und nicht lange Zeit entfernen.
Vertrauen ist ebenso ein Verhaltensmuster, das im zwischenmenschlichen Umgang verschieden eingesetzt wird. Das eine Kind geht vertrauensvoll auf Menschen zu, es packt zuversichtlich Lebensaufgaben an, es beteiligt sich ohne Angst und voller Vertrauen im Unterricht. Später, als Erwachsener, vertraut es seinen Freunden, seinen Mitmenschen, seinen Mitchristen und lässt sich trotz Enttäuschung nicht beirren. Es heiratet und setzt Kinder in die Welt. Auch im Glauben lässt sich dieser Mensch nicht irre machen, er glaubt an Gottes Güte und Liebe.
Mit der Hoffnung ist es ähnlich. Hoffnung ist ebenfalls ein Verhaltensmuster, das man lernen muss. Hoffnung ist nicht in erster Linie eine Eigenschaft, die angeboren ist.
Hoffnung muss erfahren,
Hoffnung muss gelernt,
Hoffnung muss trainiert werden.
Hoffnung ist in erster Linie eine Haltung, eine Gesinnung und kein Gefühl. Hoffnung ist ein Wagnis, das Menschen im Vertrauen auf Gott riskieren oder sein lassen.
2.3 Lebensentwürfe und private Logik
Mithilfe seiner spezifischen Erfahrungen entwirft also jeder Mensch seine eigene Lebensgeschichte. Die Grundzüge unseres Lebensstils bilden wir schon, bevor wir richtig sprechen können. Wir