Weiberröcke und Leichen. Hans-Hermann Diestel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Hermann Diestel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783960080121
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Schiffe langsam, aber sicher „vergammelten“, tat es besonders weh, wenn man dies bei Schiffen beobachtete, auf denen man in ihren guten Zeiten gefahren war. Die ROSTOCK habe ich einmal von Stettin nach Rostock geführt, weil der sich an Bord befindende Springerkapitän Hannes Fünning dies nicht durfte. Nach ihrem Verkauf durch die DSR sah ich die ROSTOCK als PAULINE METZ auf der Reede von Larnaca wieder. Ich fotografierte sie, als wir im Frühjahr 1993 mit der THÜRINGEN auf dem Weg nach Fernost den zyprischen Hafen verließen. Die Aufbauten und die Außenhaut bestanden fast nur noch aus Rost. Die Reederei Metz war für den schlechten Zustand ihrer Schiffe, nicht nur äußerlich, im Mittelmeer bekannt. 1998, als ich schon bei Alpha Ship in Bremen war, lief ich mit der KOTA PERABU (ex TAURUS) in Hodeidah ein. Dort trafen wir auf die SHADWAN ISLAND (ex CHEMNITZ/​KARL-MARX-STADT). Ich ging an Bord, um sie mir anzusehen. Lange hielt ich es bei den Ägyptern nicht aus. Auf der Brücke funktionierten die Radargeräte und andere für die sichere Führung des Schiffes nötigen Anlagen nicht mehr. Alle Räume waren dreckig. Der Salon des Kapitäns war davon nicht ausgenommen. Den mir von den Offizieren angebotenen Kaffee lehnte ich dankend ab.

       Die SHADWAN ISLAND (ex CHEMNITZ, ex KARL-MARX-STADT) 1999 in Hodeidah, Jemen

      Für die beiden ehemaligen Rostocker Frachter traf der Spruch Schön ist die Jugendzeit in vollem Umfang zu. Sie hatten bei der DSR eine Zeit erlebt, in der sich Reederei und Besatzung intensiv um sie kümmerten. Die Farben waren leider nicht immer die besten, aber die Besatzungen versuchten dies durch hohen Einsatz wettzumachen. Auch bei anderen Reedereien hatten die Neubauten in den ersten Jahren ihrer Existenz meistens ihre beste Zeit.

      Die Geschwindigkeit eines Schiffes war für den ökonomischen Erfolg des Unternehmens und das Prestige des Kapitäns und des Reeders von enormer Bedeutung. Es ging aber auch anders. Fred Schmidt berichtete in seinem Buch „Schiffe und Schicksale“ über die folgende sehr amüsante Geschichte eines „Rennens“ zweier Schiffe, bei dem die Kapitäne Eile mit Weile walten ließen. Recht gemütlich entwickelte sich das „Wettsegeln“ zwischen den beiden Liverpooler Schiffen LORTON und COCKERTON, die die Mündung des Mersey zu einer Reise nach Portland in Oregon gemeinsam verließen. Sie lagen im Atlantik 40 Tage Seite an Seite. An einem Sonntag speiste der Kapitän der COCKERTON mit seiner Gattin auf freundliche Einladung des Kapitäns der LORTON an Bord des „Rivalen“. Und am folgenden Sonntag revanchierte er sich gebührend und bewirtete das „feindliche“ Kapitänspaar in seinem Salon. Innerhalb von 24 Stunden trafen sie am Bestimmungshafen ein. Einträglich verließen sie auch wieder Astoria Reede, und mit nur drei Tagen Vorsprung warf die LORTON in Le Havre Anker, ehe die COCKERTON in Dünkirchen ankam. Am gleichen Tag gingen sie aus ihren Löschhäfen ab, um Seite an Seite in den Mersey einzulaufen. 342 Tage waren sie über eine Strecke von mehr als 30 000 Seemeilen fast ohne Unterbrechung zusammen gesegelt.

      Die Seefahrt hat bis in unsere Gegenwart viel mit Einsamkeit zu tun. Die beiden britischen Kapitäne und ihre Damen gingen sehr einfallsreich mit diesem Problem um. Wenn ihre Schiffe damals schon eine Maschine gehabt hätten, hätten sie das von den Briten so geliebte „socialize“, mit jemandem gesellschaftlich zu verkehren, nicht wahrnehmen können.

      Etwas zu den Schiffen zu schreiben und die Maschine nicht zu erwähnen, geht gar nicht. Die Dampfmaschine und der Dieselmotor haben die Schifffahrt grundlegend verändert. Nicht immer gewährleistete das Vorhandensein einer Maschine, dass das Schiff den sicheren Hafen erreichte. Der 1893 gebaute Dampfschoner ROSINA von 182 BRT erlitt, ungeachtet seiner Dampfmaschine von 35 PS, Schiffbruch. Die HANSA berichtete 1903 in ihrer Nummer 3 über den Spruch des Seeamtes. Es kam zu der Auffassung, dass das Schiff 1902 auf der Reise von Frederiksstad nach Sunderland gesunken sei, weil es sehr rank war und dadurch kaum Segel führen konnte, weil die Ladung nicht gut verteilt war, weil die durch das Maschinenschott geführten Leitungen nicht wasserdicht gemacht worden waren, sodass Wasser aus dem Laderaum in den Maschinenraum strömte und die Pumpe aufhörte zu arbeiten, und weil die Antriebsmaschine für die Größe des Schiffes zu schwach war.

       Die Viermastbark SEDOV (ex KOMMODORE JOHNSEN; ex MAGDALENE VINNEN) in der Warnowmündung

      Ohne Schiffe würde es unsere heutige Welt nicht geben. Der kümmerliche Handel würde mit Kamelen über die Seidenstraße abgewickelt werden und die Welt deshalb um ein Vielfaches ärmer sein. Das letzte Wort zum Schiff soll Joseph Conrad haben. In seinen Werken werden immer wieder die tiefen Widersprüche, die Achtung, aber auch die Liebe zwischen dem Seemann und dem Schiff sowie dem Wetter deutlich. In „Spiegel der See“ schrieb er: Mit Menschen umzugehen ist eine ebenso große Kunst wie die, Schiffe zu führen. Beide, Menschen wie Schiffe, werden gleichermaßen von listenreichen und mächtigen Kräften bedrängt und wollen eher ihre Vorzüge verstanden als ihre Fehler erkannt wissen.

      Um ein Schiff sicher und effizient zu führen, müssen Kapitän und Besatzung die für die Erfüllung dieser Aufgaben erforderlichen Regeln guter Seemannschaft beherrschen. Um das Wort „Seemannschaft“ zu erklären, greife ich immer wieder auf die Definition aus dem „Oxford Companion to Ships and the Sea“, Oxford von 1976 zurück. Sie lautet: Seemannschaft, im weitesten Sinne, ist die Kunst, ein Schiff von einem Platz nach einem anderen über See zu bringen, ist eine Mischung aller Künste, ein Schiff zu entwerfen … es auf See und im Hafen zu führen und zu manövrieren und ist die Wissenschaft der Navigation, durch die es seinen Weg vom Abgangsort zum Bestimmungsort findet. Die Seemannschaft vieler Seeleute wird leider nicht sehr hoch eingeschätzt. So fragte 2001 die britische Fachzeitschrift „Safety at Sea“: Verließen uns mit der Arche die guten Traditionen der Seemannschaft? Dabei sei noch auf einen besonderen Punkt hingewiesen.

       „Seemannschaft“, die Unfälle beim Betreten eines Feederschiffes geradezu herausfordert

      Im Zusammenhang mit dem Untergang des ehemaligen DSR-Lehr- und Ausbildungsschiffes GEORG BÜCHNER in der Danziger Bucht sprach ein Rostocker Schifffahrtsexperte davon, dass einer der Gründe für den Untergang des Schiffes mangelnde Seemannschaft gewesen wäre. Nun müssen sich auf einem zu verschleppenden toten Schiff durchaus keine Seeleute befinden, und dort, wo keine Seeleute sind, kann es beim besten Willen auch keine Seemannschaft geben. Welch grausame Auswirkungen das Fehlen des unbedingt erforderlichen seemännischen Könnens hat, bewies die Kollision des Hamburger Vollschiffes MARGRETHA mit dem norwegischen Dampfer MASCOT am 13. März 1909. Das Seeamt Hamburg schrieb in seinem Spruch: „Nach der Kollision haben die neun Seeleute der ‚Margretha‘, welche sich in das Steuerbordrettungsboot begeben hatten, einen hohen Grad von Kopflosigkeit und Mangel an seemännischen Eigenschaften gezeigt, indem sie es versäumt haben, den an Bord Zurückgebliebenen und später mit dem Schiff Untergegangenen, insbesondere der Frau und dem Kind des Kapitäns, nach Möglichkeit Hilfe zu bringen … Inzwischen eilte der Kapitän mit seinem Kinde wieder an die Reling und bat nochmals die Leute in dem nahen Boot, doch wenigstens sein Kind zu retten. Die in dem Boot befindlichen neun Leute haben dann auch nach ihrer nicht widerlegten eidlichen Aussage den ernstlichen Willen gehabt, an die Schiffsseite heran zu manövrieren, um das Kind aufzunehmen, haben auch gerufen: ‚Wir kommen!‘ Es gelang ihnen aber nicht, das Boot an das Schiff heranzubringen, da sie in ihrer Kopflosigkeit auf der einen Seite mit drei, auf der anderen mit einem Riemen ruderten und niemand mit einem der noch vorhandenen Riemen steuerte. Das Boot drehte sich daher im Kreise und es verging kostbare Zeit, während welcher die ‚Margretha‘ sich so mit Wasser füllte, dass ihr Sinken und Kentern jeden Augenblick bevorstand. Schließlich gaben die Bootsleute ihre Versuche, an das Schiff zurückzurudern, auf und flüchteten, um nicht in den Sog des sinkenden Schiffes hineingezogen zu werden … Vollends unbegreiflich erscheint aber das Verhalten dieser neun Leute, nachdem die ‚Margretha‘ untergesunken war. Trotzdem sie wussten, dass acht Menschen an Deck gewesen waren, welche jetzt im Wasser um ihr Leben rangen, haben sie ihr Boot, wie sie zugeben, einen Augenblick treiben lassen