Man führt ihn ins Esszimmer. Da steht er, unbeholfen und unruhig, blickt mit angsterfüllten Augen auf sein Spiegelbild. Er hat einen verzweifelten Ausdruck in seinen braunen Augen. Schweißperlen glänzen auf Nase und Stirn. Das gerötete Gesicht ist eine Maske voller Beklommenheit. Er wartet voller Ungeduld und mit krampfhaft verschlungenen Händen.
Schritte nähern sich. Der Bäcker dreht sich um: Der Hausherr betritt den Raum.
„Wie geht es Ihnen, Herr Rembowski?“
„Danke, Herr Oberst, danke …“
Sie geben sich die Hände.
„Nehmen Sie doch Platz.“
Tadeusz setzt sich. Unbeholfen wagt er sich kaum auf den Sessel. Er sitzt gerade, knapp auf der Vorderkante des Polsters. Oliver von Steinberg lehnt sich gemütlich in den gegenüberstehenden Sessel zurück und fragt mit gönnerhaften Stimme: „Und wie geht es Ihrer Frau Gemahlin?“
Anfänglich scheint Tadeusz Rembowski die Frage nicht verstanden zu haben. Danach, plötzlich, als ob er von einem Traum erwacht, gibt er ein „gut“ von sich, das in seinem Weinen erstickt.
Oliver von Steinberg blickt ihn verwundert an: „Aber, um Gottes willen, was haben Sie denn, Herr Rembowski?“
Der Bäcker zieht ein zerknülltes Taschentuch hervor und wischt sich die Tränen aus den Augen.
„Ist jemand gestorben?“
Tadeusz schüttelt den Kopf. Oliver steht auf und legt seine Hand auf die Schulter des Nachbarn. „Verdammt noch mal, Mann, erzählen Sie schon, was Sie derart bedrückt!“
Hüsteln, Hand an den Schnurrbart.
„Was hat man denn Ihnen angetan?“
Das Gesicht im Taschentuch verborgen, schluchzt der Bäcker: „Die Bank, die verwünschte Bank …“
„Potz Teufel! Erzählen Sie mir doch die ganze Geschichte geradeheraus, Herr Rembowski.“ Er gibt seiner Stimme einen beleidigten Unterton, den er gar nicht so meint. „Weinen Sie nicht, ein Mann darf doch nie weinen!“
Tadeusz Rembowski hebt das Gesicht. Die Tränen kullern ihm über die Wangen und tropfen auf den Kragen seines grauen Hemdes. Und dann erzählt er in seinem Kauderwelsch, dass die Bank ihm angedroht habe, einen von ihm unterschriebenen und überfälligen Wechsel zu protestieren, weil er nicht bezahlen könne. Es werde ein Unglück geschehen, seine Kreditwürdigkeit gehe verloren, niemand mehr werde in der Bäckerei Rembowski einkaufen wollen. Seine Frau werde vor Kummer an Herzversagen sterben, eine Katastrophe!
Sein Gesicht versinkt abermals im Taschentuch und er setzt sein Weinen noch lauter fort.
Der alte Oliver hüstelt und streicht sich über den Schnurrbart. Er geht im Esszimmer schweigend auf und ab, bleibt dann vor dem Stuhl Rembowskis stehen und fragt: „Wie viel müssen Sie zurückzahlen, Herr Rembowski?“
„Zwölfhundert Mark, Herr Oberst“, stammelt der Bäcker ganz leise.
Der Alte kratzt sich am Kinn, denkt noch einen Augenblick nach und sagt dann: „Könnten Sie Ihr Leben mit dreitausend Mark wieder in Ordnung bringen?“
Der Pole springt erregt auf. „Dreitausend Mark? Aber … das würde ja bedeuten … ja, das wäre ja die Rettung, ein Versprechen des Wohlhabens, eine … eine …“
Ihm versagte die Stimme. Die Hände des Bäckers sind wie zum Gebet gefaltet, danach fuchtelt er wild in der Luft herum und versucht noch etwas zu sagen, Deutsch mit Polnisch vermischt, er kann es nicht fassen! Dreitausend Mark! Die Rührung überwältigt ihn.
Der alte Oliver lächelt und legt seine Hand auf die Schulter des Nachbarn: „Also, Sie gehen jetzt ganz ruhig nach Hause, lieber Freund. Morgen früh schicke ich Ihnen die dreitausend Mark hinüber. Sie zahlen sie mir zurück, sobald Sie können. Wenn Sie es nicht können, dann eben auch nicht. Darüber werden wir nicht streiten. Danken wir dem guten Gott, dass ich in der erfreulichen Lage bin, meinem Nachbarn helfen zu können …“
Tadeusz Rembowski ist noch immer sprachlos. Oliver wiederholt sein Versprechen und führt den noch verdatterten Bäcker behutsam in Richtung Haustür.
Der Pole ist derart von seinem Glück erfüllt, dass er keine Worte findet, um seinen Dank auszusprechen. Und als er auf die Straße tritt und dann eiligen Schrittes in sein Haus gelangt, schließt Oliver langsam die Haustür, kehrt in das Esszimmer zurück und bleibt vor dem Bild seiner Henriette stehen. Er erinnert sich an die stürmische Novembernacht, in der sie verstarb.
* * *
Nun spiegeln sich im großen Spiegel des Esszimmers drei schwarz gekleidete Herren wider, die mit ernsten Gesichtern in den Sesseln sitzen. Der alte Oliver schreitet vor ihnen nachdenklich auf und ab, hüstelt gelegentlich und streicht sich wie gewöhnlich über seinen Schnurrbart.
Alle Kerzen des Lüsters brennen. Draußen weht ein eisiger Dezemberwind und wirbelt die Schneeflocken durcheinander. Nur das Brummen des Motors eines sich auf der eisigen Straße quälenden Fahrzeuges bricht gelegentlich die Stille.
Der älteste der drei ergreift das Wort: „Überlegen Sie wohl, Herr Oberst. Sie sind ein hochgeschätzter Mann und einer der beliebtesten Bürger unserer Gemeinde. Wenn Sie dieses Amt nicht annehmen, wer wird es dann tun? Unsere Partei verlangt von Ihnen dieses Opfer. Stimmen Sie doch bitte Ihrer Kandidatur zu. Die Opposition wird es gar nicht einmal wagen, gegen Sie anzutreten. Niemand wird gegen einen Herrn von Steinberg stimmen, nicht wahr, meine Herren? Jeder mag und respektiert Sie.“
Er unterbricht seine Rede, als ob er durch die Überzeugungskraft seiner schwerwiegenden Argumente selbst ermattet wäre. Er drückt verstohlen die weißen Manschetten zurück, die aus den Ärmeln seines Gehrockes auszubrechen scheinen, und blickt verlegen auf die Spitzen seiner blank geputzten schwarzen Gamaschenschuhe, an denen der Schnee feuchte Ränder hinterlassen hat. Die beiden anderen Herren sehen sich gegenseitig mit ernsten Mienen an und nicken zustimmend mit ihren ergrauten Häuptern.
Oliver sieht die drei Besucher nacheinander an, streicht sich über den Schnurrbart und antwortet mit einem verstohlenen Lächeln: „Ich habe es bereits abgelehnt, Udo Dammann.“
„Aber, Herr von Steinberg“, beharrt dieser, „unsere Stadt benötigt Ihre Dienste, Sie können und dürfen sich dieser Verantwortung doch nicht so einfach entziehen. Sie sind der geeignete Mann, um den drohenden Vormarsch der Linken in den Stadtrat zurückzudrängen.“
Oliver hüstelt trocken und bleibt bei seiner Ablehnung, die er durch ein Kopfschütteln ausdrückt.
Ein anderer Besucher beginnt langsam und mit sehr wichtigem Gehabe zu reden: „In meiner Eigenschaft als Vertret…“
Udo Dammann fällt ihm nervös ins Wort: „Gedenken Sie doch Ihres werten Herrn Vaters, dem hochwohlgeboren Herrn General Peter von Steinberg, der seinem Vaterland bis zuletzt gedient hat und sein Leben ehrenvoll bei der Schlacht von Sedan ließ.“
Der vorher unterbrochene Redner macht einen erneuten Versuch: „Wie ich bereits vorhin sagte …“
Und Udo Dammann bekräftigt: „Also, Herr von Steinberg, überdenken Sie es noch einmal.“
Es vergehen einige Minuten. Oliver von Steinberg stellt sich vor die drei Herren und spricht, während er seinen Schnurrbart zwirbelt: „Ich bedaure sehr, meine Freunde, es kann nicht sein.“ Hüsteln. „Ich habe leider keinerlei Beziehung zur Politik. Es wäre ein furchtbarer Reinfall. Für uns alle! Die von Steinbergs sind für so etwas nicht geschaffen …“
„Aber, aber!“
„… wenn wir etwas sagen möchten, dann nennen wir es auch beim Namen. Ohne den Herren zu nahe treten zu wollen, wir haben nur ein Wort. Nun denn, Sie wissen genau, dass ein so offenherziger Bürger wie ich einen miserablen Politiker abgeben würde, der am Ende dadurch auch noch seiner eigenen Partei einen nicht wiedergutzumachenden