Schließlich, an einem Freitag Anfang Februar, war ich mir sicher, bereit dafür zu sein, Bonny zu erlösen. Wir kosteten das anschließende Wochenende mit ihr richtig aus, so gut das eben in solch einer Situation ging. Jeder von uns hatte nah am Wasser gebaut. Tränen standen schon lange auf der Tagesordnung. Und, so makaber es jetzt klingt, wir dachten auch darüber nach, was mit ihrem Körper nach ihrem Tod geschehen sollte. Verbrennen – aber wo? Vergraben – an welchem Ort? Beim Tierarzt lassen und dann vielleicht zu Seife verarbeitet werden – niemals! Wir hatten so viel Zeit gehabt, doch diese Gedanken hatten wir immer verdrängt. Wenn ich sie töten ließ, musste sie doch irgendwohin! Am Montagmorgen stand es endlich für mich fest: Bonny sollte selbstverständlich zu Hause sterben, durch ihren Lieblingsarzt, der sogar nach Feierabend extra für sie noch zu uns kam. Er hatte sie operiert und uns zwei Jahre lang betreut und wollte ihr schweren Herzens diese letzte Hilfe geben. Den Tag verbrachten wir damit, ihr Grab auf unserem Grundstück -auszuheben. Die Situation war makaber, doch wir wussten nicht, wie wir sonst mit dieser endlos langen Zeit bis zum Abend umgehen sollten. Arbeiten gehen konnte niemand von uns in dem Bewusstsein, dass dies der letzte Tag war, die letzten Stunden, die wir alle noch miteinander verbringen durften.
Bonny stapfte zielstrebig um uns herum, ganz neugierig und völlig beschäftigt mit Schnüffeln und Laufen. Sie fiel auch nur einmal um. Wir sahen uns an und fragten uns zum x-ten Mal, was wir da eigentlich geplant hatten. Es ging ihr doch gut! Sie rannte tatsächlich über zwei Stunden herum, sprang kleinen Stöckchen hinterher und war ganz begeistert. Im Nachhinein denke ich, dass sie wusste, was passieren würde, und einfach fröhlich Abschied genommen hat. Frank Sinatra, der ewig gut gelaunte Hund, stand mit uns im Loch und half sogar stolz beim Buddeln. Das war seine Leidenschaft. Wenn er gewusst hätte, was er da tat … Eine Million Gedanken in ein paar Stunden! Herzleid wird so oft beschrieben, doch man versteht es erst, wenn es einem selbst passiert. Bonny sollte Fröhlichkeit um sich haben, wenn sie ihre letzten Stunden schon so aktiv erleben konnte. Ich sah sie an, immer wieder, fasziniert von ihrer Schönheit und ihrem Blick, hin- und her gerissen zwischen Lachen und Weinen. Der Tag war schlimm und doch so unendlich wertvoll.
Dann fuhren wir alle vier wieder nach Haus und mussten auf das Unvermeidliche warten. Wir zündeten Kerzen an und machten den Raum angenehm dunkel. Warum, war uns selbst nicht klar, es schien uns zum Tod dazuzugehören. Bonny und Frank waren müde nach dem Laufen und legten sich zusammen ins Körbchen. Das geschah nur selten, denn der Kleine hatte viel Respekt vor der Hündin. Später lag Bonny alleine dort, wie immer im komatösen Tiefschlaf, den sie schon seit langer Zeit hatte. Nichts konnte sie in solchen Situationen wecken. Wir saßen auf der Couch, schauten zu ihr und sprachen kaum. Jeder hing seinen Gedanken nach; immer wieder gingen wir zu ihr, um sie zu streicheln – mit dem Wissen, gleich sollte es vorbei sein. Sie würde nachher genauso daliegen, nur dann würde sie nie wieder aufwachen. Die Stunden wurden zu einer Ewigkeit. Als es an der Tür klingelte, war es um meine Fassung geschehen. Der Tierarzt kam und Bonny, die Wächterin im Haus, hörte nicht einmal die Klingel. Frank, der Clown, fand es toll, diesen netten Mann auch mal zu Hause begrüßen zu dürfen, und freute sich riesig. Das lenkte mich ein wenig ab. Bonny reagierte nicht auf die Stimme ihres Arztes, sie war erschöpft von dem schönen Tag.
Wir tranken Kaffee und sprachen über die Gegensätze hinsichtlich Bonnys Zustandes. Aber der Arzt kannte uns lange und gut und wusste, dass unsere Entscheidung richtig war. Als er zu Bonny ging, schnürte es meinem Freund und mir die Kehle zu. Wir knieten an ihrem Körbchen und streichelten sie sanft. Frank setzte sich leise zwischen uns. Ich hielt Bonnys Pfote, schaute in ihre Augen und versuchte, sie nicht mit Tränen zu verabschieden, sondern mit einem Lächeln zu begleiten. Bonny sollte fühlen, dass sie nicht alleine war, aber auf keinen Fall wach werden. Dieser starke und stolze Hund hätte sich bestimmt gewehrt!
Als der Tierarzt Bonnys Bein streichelte, sah sie kurz auf, ließ dann ihren Kopf aber wieder ruhig zur Seite sinken. Die Kanüle war gelegt, das Beruhigungsmittel floss in ihren Körper. Sie schlief ein, nun gab es kein Zurück mehr. Dann kam das zweite Mittel, es sollte ihr endgültig das Leben nehmen. Wie in Trance schaute ich zu und konnte gar nichts sagen oder tun. Bonnys Mundwinkel zuckten, als ihr Herz aufhörte zu schlagen. Sie sah so schön aus wie vorher, nur würde sie mich nie wieder ansehen. Es war vorbei und der Verlust tat unbeschreiblich weh. Wir weinten und streichelten Bonny immer wieder. Dabei versuchten wir, uns zu trösten: Wir erzählten uns kleine Anekdoten, die wir mit Bonny erlebt hatten, während unsere Tränen nahezu unaufhörlich flossen. Nur für Frank schien sich nichts verändert zu haben, Bonny war noch warm und lag ja häufig so in ihrem Körbchen.
Am nächsten Tag mussten wir Frank mit Bonnys kaltem Körper konfrontieren. Er sollte sie nicht ewig suchen müssen. Seinen Schrei und sein Gejammer möchte ich nicht noch einmal erleben. Er war genauso verzweifelt wie wir, aber auf seine Art. Die nächsten Wochen war er nicht mehr unser kleiner, fröhlicher Hund. Erst drei Monate später war ich in der Lage, uns einen neuen Hausgenossen zu suchen. Eine wunderschöne, aber total verängstigte Galgo-Seele namens Batida kam zu uns und damit eine neue Aufgabe, die uns alle wieder aufleben ließ. Batida wird Bonny niemals ersetzen, aber ich bin sicher, es ist auch in Bonnys Sinne, wenn wir den freien Platz in der Familie mit einem gequälten Hund neu besetzen, dem es nicht gut ging und der dringend ein sicheres Plätzchen braucht.
General – veni, vedi, vici
von Angelika Lanz
»Was soll man über einen gut erzogenen, klugen, alten Schäferhund sagen? Seine graue Schnauze und seine ein wenig trüben Augen haben wohl alles erschnüffelt und gesehen, was in einem langen Hundeleben so passieren kann. Er ist freundlich und hat die Weisheit und Liebenswürdigkeit eines Opas. Wir würden ihm sehr wünschen, dass sich noch ein Platz für ihn finden lässt, an dem er Treue und Liebe zu seinem Menschen einbringen kann.«
Die Beschreibung des Tierheims und das dazugehörende Bild eines alten, traurigen Schäferhundes mit hängenden Ohren gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Nach einigen Tagen war mir klar, dass ich diesem Hund ein Zuhause geben wollte. Ich rief im Tierheim an und erfuhr, dass man schon zweimal versucht hatte, General – so hieß der Rüde – in eine Pflegestelle zu geben. Er hätte sich aber jedes Mal geweigert, das Tierheim zu verlassen. Seine Gassi-Geherin meinte jedoch, sie könne sich gut vorstellen, dass General zu uns passen würde. Um ihm unnötigen Stress zu ersparen, war sie sogar bereit, ihn an ihrem freien Wochenende die gut 60 Kilometer zu uns zu bringen und für den Fall, dass er nicht bei uns bleiben wollte, auch wieder mitzunehmen. Über seine Vorgeschichte wusste sie nur, dass General ursprünglich ein italienischer Militärhund gewesen war. Ob desertiert oder abgeschoben – war er irgendwann in einem italienischen Tierheim gelandet, von wo aus er zwei Jahre später nach Deutschland kam. Insgesamt hatte General nun schon acht Jahre Tierheimaufenthalt hinter sich. Er war eine Seele von Hund, aber niemand hatte ihn gewollt!
Am 2. Februar 2003 war es endlich so weit; General wurde zu mir gebracht. Als ich den Hund sah, hätte ich losheulen können. Er hatte schiefe Hüften, schiefe Schultern, einen Riesenbrustkorb, aber sonst nur Knochen