Schon als kleines Kind schildert Christina sich in ihren Memoiren als Ehrfurcht einflößend gegenüber Gesandten aus fremden Ländern, wie zum Beispiel einer russischen Delegation. Das herrschaftliche Gebaren des Kindes entzückte natürlich auch ihren Vormund, den Kanzler Axel Oxenstierna, der im Testament des erschlagenen Gustav Adolfs als einer ihrer Erzieher bestimmt war. Christina hatte in ihrem Leben mit den zwei mächtigsten Staatsmännern des 17. Jahrhunderts zu tun, mit dem schwedischen Kanzler Axel Oxenstierna und dem französischen Kardinal Giulio Mazarin. Beide übten sich perfekt in Strategie und Taktik, in Kriegsführung und Vorteilnahme für ihr Land. Ihre eigenen staatspolitischen Kenntnisse und Begabungen lernte sie durch Axel Oxenstierna zu vervollkommnen. Sie ist ihm dankbar wie einem Vater, so schreibt sie in ihren Memoiren, aber wendet sich von ihm ab, wenn es um ihre eigenen Interessen geht. Zwischen beiden spielt sich das Drama eines Generationswechsels ab.
Axel Oxenstierna, ein orthodoxer Lutheraner, mag sogar eine Weile gehofft haben, seinen ältesten Sohn Johan mit Christina zu verheiraten. Er setzte ihn als Leiter der Delegation zu den Friedensverhandlungen in Westfalen durch. Aber dieser erwies sich als unfähig, bemühte sich wenig. Er hatte die väterliche Instruktion, den Frieden hinzuziehen. Oxenstierna glaubte, ein Frieden würde das militärisch starke Schweden schwächen. Christina setzte den ihr ergebenen John Adler Salvius als gleichberechtigten Verhandlungspartner ein, der schon ihrem Vater gedient hatte. Er hatte die heimliche Anweisung, so schnell wie möglich einen Friedensschluss herbei zu führen. Er bekam mehr Gewicht bei den federführenden Partnern als der Sohn Oxenstiernas, so kam es, dass Christina sich als Friedensstifterin feiern lassen konnte.
In der Pubertät geriet Christina wie jeder junge Mensch in Gefühlsverwirrungen, verliebte sich, war unsicher und erlebte auch Zurückweisung. Nicht von ihrer ersten Liebe, ihrem Cousin Karl Gustav, den sie lange heiraten wollte, sondern von Magnus De la Gardie, Sohn Ebba Brahes, der großen Liebe ihres Vaters, die er nicht heiraten durfte, aber von ebenso vornehmer Herkunft. Der überall glänzende Magnus schmeichelte ihr, nutzte sie und ihre Verliebtheit aus, liebte und heiratete aber ihre Freundin und Cousine, eine Tochter des Onkels, Pfalzgraf Johann, und von Katharina, der Halbschwester Gustav Adolfs. Christina ließ es sich nicht nehmen, den beiden bei der Trauung persönlich die Hände ineinander zu legen und den für ihre Umgebung zweideutigen Satz zu sagen, sie gäbe ihrer Freundin das Liebste, was sie habe. Der ausgesprochen gut aussehende Mann war der erste einer Reihe von Favoriten, der es schaffte, dass sie ihm trotz seiner Verschwendungssucht und obwohl er sie hinterging, weiterhin gewogen blieb. Erst als sie ihm ihre Gunst entzog, wurde er einer ihrer erbitterten Feinde nach ihrer Abdankung. Eifersüchtig hatte er beobachtet, wie andere, vor allem ausländische Gesandte wie der Spanier Pimentel oder der französische Arzt Bourdelot, ihm vorgezogen wurden. Inzwischen hatte sich auch eine neue Generation schwedischer Adeliger in ihre Gunst gedient. Er zettelte eine Intrige an, die aber für ihn schlecht ausging – er wurde vom Hof verbannt. Kein Wunder, dass er später, als Christina als Bittstellerin nach Schweden kam, ihr unversöhnlich entgegentrat.
In Schweden versammelte sich zur Zeit Christinas auf ihre Einladung hin ein Teil der besten Wissenschaftler und Künstler Europas. Kaum war der Westfälische Friede geschlossen, wurden Bibliothekare durch ganz Europa geschickt, um kostbare Bücher zu kaufen, wurden Gemälde aus Prag an den Hof gebracht, wurde Schweden Mittelpunkt im musischen Leben. Deutsche, italienische und französische Orchester spielten, Ballette wurden aufgeführt, bei denen Christina selbst mitwirkte, oft in der Rolle der Pallas Athene.
Sie gründete eine Akademie unter dem Namen Amaranthenorden, überwiegend zur Selbstverherrlichung. Das Symbol des Ordens war die der Immortelle verwandte Blüte des Amaranth. 15 Herren und 15 Damen sollten dem Orden angehören, sie mussten unvermählt sein und der Herrin, also ihr, ewige Treue geloben. Wie später bei ihrer Accademia reale in Rom war eine der wichtigsten Aufgaben die Reinigung der Dichtkunst von schwülstigen Ausdrücken. Das verwundert, wenn man heute ein von Christina entworfenes und mitverfasstes Drama liest, den Endymion von Alexander Guidi, im Pathos barocker Sprache. Diese sprachliche Komponente zu beachten ist aufschlussreich, wenn man den Abstand erkennen möchte, der zur heutigen Zeit besteht.
Eine Reihe großer Gelehrter wurde von Christina nach Stockholm eingeladen, der berühmteste war der Philosoph René Descartes, ein katholischer Franzose, der inzwischen im Exil in Holland lebte, da seine Ansichten in Frankreich für Misstrauen sorgten. Descartes’ Auffassung, dass die Welt unendlich sei, widerspräche der Lehre des Christentums, wurde behauptet. Wie sich Glaube mit »modernen« Wissenschaften vereinbaren lässt, war Christinas Frage. Nun, Gott sei unendlich, der Mensch und die Welt dagegen unbestimmbar. Das höchste Gut sei die richtige Anwendung des freien Willens. Das hörte sie natürlich gern, vor allem, weil die lutherische Orthodoxie solchen Gedanken kritisch gegenüberstand, für sie der Beweis der größeren Offenheit des Katholizismus.
Ein kurzer und insgesamt misslungener Besuch. Selbst wenn Christina vor seinem Ruhm und seiner Bedeutung große Hochachtung verspürte, scheint sie ihn als Mensch und Mann nicht sonderlich interessant gefunden zu haben, denn sie traf sich nur wenige Male mit ihm, vor allem zu einer Zeit, die für ihn eine Tortur war, nämlich um fünf Uhr früh. Kaum aus dem Bett in die winterliche Starre Stockholms geworfen, sollte er mit ihr über seine Philosophie diskutieren, die sie doch nicht verstehen konnte, wie er in Briefen an Elisabeth von der Pfalz offenbarte. Nichts hatte er an sich von der geschmeidigen Eleganz der Männer, die sie begünstigte, er war klein und dick und in ihren Augen wohl eher eine komische Figur. Sie beauftragte ihn, das Libretto für ein Ballett Geburt des Friedens zu schreiben, was er notgedrungen tat, nach dem Urteil von Zeitgenossen und Nachwelt gar nicht einmal schlecht. Dennoch blieb ihm Schweden genauso fremd wie die Königin. Die Missachtung und schlechte Stimmung trug sicher dazu bei, dass die Lungenentzündung, die er sich zuzog, ihn so schnell zu Tode brachte. Dem Freund Pierre Chanut, französischer Botschafter und Nachrichtenübermittler an Mazarin, der die beiden zusammengebracht hatte, war damit trotz der überragenden philosophischen Bedeutung Descartes’ kein Erfolg beschieden. Dabei hatten Christina und er vor dem Besuch viele Briefe gewechselt über Descartes, seine Ansichten, seine herausragenden Fähigkeiten diskutiert. Seit der Antike trieben jeden Philosophen die Beziehungen zwischen Geist und Körper, Verstand und Gefühl um. Den Leidenschaften, den Gefühlen, die Menschen quälen konnten wie die Liebe, hatte Descartes dabei eine Erkenntnis eingeräumt, die Christina entsprach. Erkenntnisse, die auf der Vernunft basieren und nachzuvollziehen sind. Also eine wissenschaftliche, keine spekulative Methode, wie die anderer Philosophen. Diese wissenschaftliche Methode wandte er auch auf Probleme an, die Seele und Gefühl betrafen.
Inzwischen aber hatte ihr neuer Arzt Pierre Bourdelot, früher einmal Leibarzt des französischen Königs Louis III. und der Familie des von Christina verehrten Prinzen Condé, der ihr ebenfalls von Botschafter Chanut vermittelt worden war, ihre Lebensweise verändert. Mehr Schlaf, mehr Vergnügen, mehr frische Luft und weniger Studien. Er brachte eine französische Leichtlebigkeit