Der dunklere, darkige Mensch war in unseren Cliquen der Übergang zwischen dem totalen Popper und den Punks. Die Punks wiederum hatten Verbindung zu den Metallern, die mit uns nicht viel am Hut hatten. Für die waren wir Popper und Weicheier. Später driftete alles sowieso auseinander und es gab auch Problem mit Break-Dancern, quasi den Vorläufern der HipHop-Generation, und Skatern. Mit den aufkommenden Glatzen sowieso. Zunächst und generell war aber unser gemeinsamer Feind der „Stino“. Diese Leute waren mindestens genauso gefährlich wie die Glatzköpfe. Allein die Blicke in den Straßenbahnen.18
Die Unabhängigkeit der in Deutschland großen, aber vom Markt kaum wahrgenommenen Gothic-Szene leitet sich aber nicht nur vom totalen Unverständnis der schwarzen Lebens-Art ab. Die von außen erzwungene Abgrenzung schlägt rasch in eine gewollte Distanz zu den Normalos um:
Wir waren fester Bestandteil am Rande der Gesellschaft. Wir waren unpolitisch und somit politisch auch nicht antastbar, für die Modewelt waren wir uninteressant, weil wir zu vielfältig in der Bekleidung waren, innere Schwierigkeiten wussten wir durch unsere Erfahrung zu meistern.
Bullo von Elfenbein von der Band Angst19
Viele Schwarze wundern sich trotzdem, dass sie selbst ohne Schmuck und Erkennungs-Zeichen „in der Bahn“ als Gothics erkannt werden. Der Grund ist ihre Ausstrahlung. Sie macht die Gothics unverwechselbar. Tina (Knochenfee) aus dem Ruhrgebiet beschreibt das treffend:
Ich bin, trotz der Schwärze, ein reichlich bodenständiger Mensch, der weder Gedichte verfasst noch sich tiefgründige Gedanken über höhere Mächte macht. Ich bin eher auf die kindliche Art feinfühlig ... könnte mich z.B. krümelig lachen über Cartoons, und weine über die tote Taube am Straßenrand. Alles andere ist für mich zu weit weg. Deswegen bin ich wohl auch Vegetarierin, weil ich den Tod des Huhns sehe, was da grillt, aber mir egal ist, ob sich irgendwo in irgendwelchen Kriegen die Menschen gegenseitig abschlachten. Meine Welt ist klein, wäre sie größer, wäre sie mir unerträglich. [...]
Mir ist das manchmal auch völlig schleierhaft, wie Leute dazu kommen, z. B. einen Rundgang durch ein Krematorium zu machen. Ich war dieses Jahr auf dem „Tag des Friedhofs“ in Wiesbaden, u. a. mit Gruftbesichtigungen (echt wahr). Da waren – wie man vielleicht vermuten könnte – nicht nur alte Leute da, sondern wirklich auch junge Familien mit Kindern, einzelne junge normale Leute, Jugendliche ... also all solche Leute, von denen man denkt, dass sie das Thema Tod weit von sich wegschieben. Erstaunlich finde ich das. Da wüsste ich gerne, was in solchen Köpfen manchmal vorgeht.
Übrigens: Vor Spinnen hab ich richtig Angst. Diese Weberknechte, also diese super-dünnen Spinnies mit den langen Beinen, die kann ich gar nicht ab. Die sehen aus wie laufende Haarknäuel. Brrrr ... grusel ... ich krieg da jedes Mal hysterische Anfälle, wenn ich eine in meiner Wohnung hab. Aber eher schlafe ich eingesperrt im Bad als sie platt zu machen oder wegzusaugen. Ich finde, die hat’s einfach nicht verdient, wegen meiner (völlig unberechtigten) Angst, ihr Leben zu lassen. Mit kleinen dicken Spinnen hab ich komischerweise kein Problem.
(...) Meine Schwester kann mich überhaupt nicht verstehen, ist allerdings auch 14 Jahre älter als ich. Mein Bruder hat sich aus versehen mal eine CD mitgenommen, als er sich meinen CD-Player „ausgeliehen“ hat (Das Ich: „Die Propheten“), und mir die CD danach voller Entrüstung fast an den Kopf geworfen hat mit den Worten „was ist das denn für ne Scheiße“. Na ja, in meiner Familie finde ich nicht unbedingt das Verständnis. Macht aber auch nichts. (...)
Du hast keinen Führerschein? Warum nicht? Ich hab nie einen gemacht, der war damals ethisch und finanziell nicht drin. Heute, mit fast 30, will ich keinen mehr anfangen, weil ich’s mir nicht zutraue. Wofür hat man Freunde mit Führerschein? Nee, ehrlich, bis auf mal abends wegfahren bräuchte ich auch gar kein Auto. Und da finden sich immer Leute, die einen mitnehmen. Kein Alkohol, keine Drogen, spendabel beim Spritgeld – ich bin ein angenehmer Mitfahrer, glaube ich.20
Zurück vom Gothic zu den Vampiren. Die Energie- und Blut-Sauger sind eine Gruppe am Rand des Randes – zwar balanciert in ihren Wünschen, doch letztlich gesellschaftlich so weit verdriftet, dass sie meist nicht verstanden werden. Kein Wunder, dass sie ihre Neigung meist für sich behalten. Denn nicht nur Normalos, sondern auch hartgesottenen Fachleuten erscheint es unerklärlich, warum mensch die wichtigste Körpergrenze, die Haut, aufgeben oder verletzen sollte.21 Dabei ist das Symbol der durchtrennten Haut so schlicht wie sinnlich: Völlige, grenzenlose Vereinigung der Partner. Wegen der scheinbar dahinter stehenden Psycho-Macke leuchtet das aber vielen Menschen nicht ein – es sei denn, das Ganze spielt im Film. Blut trinken ist eben eine sehr direkte und handwerkliche Hinwendung zum Anderen...und das, wo es doch feinere und höhere Spielarten der Zuneigung gibt.
Wer das Symbol – Blut trägt Kraft – nicht erkennt, bleibt ein armer Vampir. Er liebt dann nicht andere, sondern ist bloß ein getriebener Fetischist. Kein Wunder, dass Psychic Vampires die Blut-TrinkerInnen als unentwickelt und roh, sich selbst aber als Krone der Erwachten sehen. Ähnlich verhält es sich mit den Daywalkern, die tagsüber auf die Straße können, ohne zu verpuffen. Daywalker sind mächtig, weil sie den Schritt aus der Dunkelheit, das heißt der Depression, gemacht haben.
Für alle erwachten Vampyre gilt, was Christian von Aster einem literarischen Vampir in den Mund legt:
Wir sind, was Ihr nicht zu sein wagt.22
Wo der Normalo sublimiert, in unerklärlicher Anwandlung auf sein Auto-Lenkrad eindrischt oder seinen Bleistift zernagt, schleicht der Vampyr eben entlang seiner privaten, samtenen und nächtlichen Wege.
1 Brook I (2003) Microbiology and management of human and animal bite wound infections. Primary Care 30: 25 - 39; Stiermann KL, Lloyd KM, de Luca-Pytell DM, Phillips LG (2003) Treatment and outcome of human bites in the head and neck. Otolaryngology - Head Neck Surgery 128: 795 - 801; Vogt M (2003) Diagnostik und Therapie von Bissverletzungen durch Hunde, Katzen und Menschen. Deutsche Medizinische Wochenschrift 128: 1059 - 1063.
2 Gatewood C, Clark DA (1997) True Blood. Last Gasp Books, San Francisco.
3 Father Sebastian, Ramsland K (1998) Vampyre Almanac: 1998 - 1999 Edition. Endless Night, New York; Ebd. (2000) Vampyre Almanac 2000. The Sanguinarium, New York; Benecke M (1999) First report of non-psychotic self-cannibalism (autophagy), tongue splicing and scar patterns (scarification) as an extreme form of cultural body modification in a Western civilization. American Journal of Forensic Medicine and Pathology 20: 281 - 285.
4 Page C (1991) Conversations with real vampires. Harper Collins, New York.
5 Father Sebastian (2000) Vampyre Almanac 2000. The Sanguinarium, New York; Novi X (2000) The positive aspect of psychic vampirism. Journal of Dracula/Second World Dracula Congress, Poiana Brasov, May 24 - 28, 2000, p. 22 - 24.