Rom - eine Biografie. Stephan Elbern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stephan Elbern
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783943904314
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nach Italien gelangt und habe dort die Stadt Lavinium und eine Herrscherreihe begründet, an deren Ende Romulus stand – der legendäre Gründer der Ewigen Stadt.

      Den Römern ermöglichte der fiktive Ahnherr, gleichberechtigt in den Kulturkreis der Hellenen (denen alle fremden Völker als „Barbaren“ galten) einzutreten. Denn die Abstammung von den Trojanern und der Welt Homers adelte in den Augen der Griechen die Ursprünge der Tiberstadt. Bereichert wurde die Sage um nationalrömische Züge; so diente die unglückliche Liebe zwischen dem Helden und Dido, der königlichen Gründerin von Karthago, zur Erklärung der späteren Erbfeindschaft zwischen Römern und Puniern.

      Besondere Bedeutung besaß diese Tradition für Augustus, der sein Geschlecht auf den homerischen Ahnherrn zurückführte; unter seiner Regierung schuf Vergil die „Aeneis“, das römische Nationalepos, in dem die Taten und Tugenden des „pius Aeneas“ verherrlicht werden, des Stammvaters der Römer und ihres Herrscherhauses.

      „Sieben – fünf – drei: Rom schlüpft aus dem Ei“ – mit diesem Merkvers eigneten sich Generationen von Schülern das (unhistorische) Gründungsdatum der Ewigen Stadt an (21. 4. 753 v. Chr.), verbunden mit der Sage von Romulus und Remus.

      Der antiken Überlieferung nach stammten die Zwillingsbrüder von Aeneas ab, dem trojanischen Urahnen der Römer. Einer seiner Nachfahren, Numitor, wurde von seinem machtgierigen Bruder Amulius als Herrscher der Stadt Alba Longa verdrängt. Um künftige Rivalen auszuschließen, zwang der neue König Numitors Tochter Rhea Silvia (nach anderer Version: Ilia), Priesterin der Göttin Vesta zu werden (und damit auf ewig jungfräulich zu bleiben). Dennoch gebar sie dem Kriegsgott Mars die beiden Zwillinge Romulus und Remus. Deshalb zum Tode durch Ertrinken bestimmt, wurde sie vom Flussgott Tiber als Gemahlin aufgenommen.

      Auch die Kinder sollten sterben und wurden am Flussufer ausgesetzt; doch eine Wölfin – das ihrem göttlichen Vater geheiligte Tier – rettete sie. Von Hirten aufgezogen, wuchsen sie heran, bis sie ihre Herkunft erfuhren und ihrem Großvater wieder zur rechtmäßigen Stellung verhalfen. Selbst aber beschlossen sie, an der Stelle ihrer Errettung eine Siedlung zu gründen. Der Herrscher der neuen Stadt sollte durch den Vogelflug als göttliches Zeichen bestimmt werden; zwölf Geier erschienen dem Romulus, der nun seiner Stadt den Namen gab. Als er den künftigen Verlauf ihrer Mauer mit dem Pflug kennzeichnete, übersprang Remus die Furche zum Hohn und wurde von seinem Bruder erschlagen.

      Die neue Siedlung nahm alle auf, die kommen wollten – Rom wurde zum Asyl für entflohene Sklaven und Verbrecher. Da die benachbarten Völker sich weigerten, ihre Töchter diesen Neuankömmlingen zu verheiraten, griff Romulus zu einer List: Er lud die Sabiner zu Zirkusspielen nach Rom ein; während des Schauspiels raubten seine Mannen die Töchter der Gäste. Diese unternahmen unverzüglich einen Rachefeldzug gegen die Frevler und drangen durch Verrat in die Stadt ein; doch bevor es auf dem Forum zur Schlacht kam, warfen sich die entführten Frauen – die ihre neuen Männer inzwischen lieb gewonnen hatten – zwischen die Heere und erzwangen die Versöhnung der Gegner.

      Während eines Gewitters wurde der Gründer Roms nach 37-jähriger Herrschaft zu den Göttern entrückt und fortan unter dem Kultnamen Quirinus verehrt. Viele Institutionen wurden auf ihn zurückgeführt und man schrieb ihm zahlreiche militärische Erfolge zu. Mit der fiktiven Gestalt des Romulus gewann die Stadt nicht nur einen namengebenden Helden (tatsächlich geht ihr Name auf die etruskische Familie der Ruma zurück), sondern auch göttliche Abstammung – und wer konnte wohl eher der Ahnherr des unbesiegbaren Volkes sein, dessen Weltreich von Spanien bis Syrien, von Schottland bis Ägypten reichte, als der Gott des Krieges?

      An den legendären Gründer erinnerten auch einige Monumente in der Stadt: Jahrhundertelang wurde die „Casa Romuli“ auf dem Palatin verehrt; auf dem Forum zeigte man sein angebliches Grab. Vor allem aber gemahnt die Kapitolinische Wölfin (im Konservatorenpalast) an den Sohn des Mars – ein Meisterwerk der etruskischen Bronzekunst – der die Renaissance nach einem römischen Münzbild die Knaben hinzufügte. Auch wenn umstritten bleibt, ob sie mit der historisch überlieferten Skulptur der „Lupa Martia“ identisch ist (gelegentlich wurde sie sogar in das Mittelalter datiert): Das majestätische Tier mit dem stilisierten Fell, den wachsam aufgestellten Ohren und der heulend geöffneten Schnauze ist das großartigste Zeugnis für die Gründungssage der Ewigen Stadt.

      Als blasse Schatten, als Idealtypen herrscherlicher Eigenschaften – so erscheinen uns die sieben legendären Könige Roms. Nur die drei letzten – Tarquinius Priscus, Servius Tullius und Tarquinius Superbus – können eine gewisse Historizität beanspruchen (immerhin ist der Name ihres Geschlechts inschriftlich belegt), wenngleich auch bei ihnen die geschichtliche Wahrheit kaum noch von späteren Verfälschungen zu scheiden ist.

      Aus der etruskischen Stadt Tarquinii zugewandert soll L. Tarquinius Priscus („der Ältere“) in Rom die Königswürde erlangt haben. Seiner Regierung (angeblich 616 – 578 v. Chr.) werden einige militärische Erfolge sowie erste Maßnahmen zum repräsentativen Ausbau der Stadt zugeschrieben. Ihm folgte der von den antiken Historikern als weise und friedfertig geschilderte Servius Tullius (578 – 534 v. Chr.), bei dem es sich wahrscheinlich um einen etruskischen Condottiere handelte, der die Macht in Rom an sich riss, von der legitimen Dynastie jedoch schließlich beseitigt werden konnte.

      Sein Nachfolger L. Tarquinius Superbus (534 – 509 v. Chr.), der als Sohn oder Enkel des ersten Tarquiniers bezeichnet wird, beschließt die Reihe der sagenhaften Könige Roms. Die Überlieferung schildert ihn in deutlicher Parallele zum griechischen Tyrannenbild: Er regiert tatkräftig und erfolgreich gegen äußere Feinde, herrliche Bauten künden von seiner Macht – aber alle Widersacher werden erbarmungslos beseitigt, eine Leibwache schützt ihn vor den Bürgern, der Beiname „Superbus“ (der Hochmütige) charakterisiert ihn als Gewaltherrscher. Ein Frevel seines Sohnes wird ihm zum Verhängnis: Die Vergewaltigung der edlen Lucretia (s. Brutus, S. 21 f.) führt zum Sturz des entarteten Herrscherhauses (von den römischen Historikern in zeitlicher Parallele zum Tyrannensturz in Athen auf das Jahr 510/​509 v. Chr. datiert, tatsächlich wohl einige Jahre später). Der Versuch des Gestürzten, mit Hilfe des Königs Porsenna von Clusium die Macht zurückzugewinnen, scheitert – der Tyrann stirbt im Exil.

      Welchen historischen Kern umschließt die romanhafte Darstellung der antiken Historiker? Tatsächlich ist Rom eine Gründung der Etrusker, die auf dem Weg von ihrem Kernland – der Toskana – zu den Städten im Süden einen Stützpunkt am wichtigen Tiberübergang benötigten. Auch wenn das Gebiet des späteren Rom bereits seit dem 10. Jh. v. Chr. bewohnt gewesen war, entstand erst mit der Entwässerung der Senke zwischen Kapitol und Palatin – als Forum Romanum in späteren Jahrhunderten der Mittelpunkt der Welt – durch die Cloaca Maxima der etruskischen Ingenieure eine städtische Siedlung (um 575 v. Chr.). Rom verdankte ihnen auch den Namen (nach dem Geschlecht der Ruma; erst in der römischen Republik entstand die Sage von Romulus als eponymem Stadtgründer) und die ersten monumentalen Bauten: Als größtes Heiligtum des Etruskerlandes kündete der Tempel des Jupiter Capitolinus vom hegemonialen Machtanspruch der Tarquinier; der Circus Maximus und seine Spiele waren ebenso etruskischen Ursprungs wie das technische Meisterwerk der Cloaca Maxima.

      Auch die Zeichen der fremden Königsherrschaft lebten in der Stadt fort: der Elfenbeinthron (sella curulis) ebenso wie die Liktoren, die mit ihren Rutenbündeln (fasces) die richtende Gewalt der Beamten symbolisierten. Der Triumph der siegreichen Feldherren Roms, die höchste Ehrung für einen Sterblichen, wurzelt gleichfalls in etruskischer Sitte – und damit in der glanzvollen Epoche der Tarquinier.

      Unter den sieben Hügeln Roms war er der bedeutendste – das Kapitol, heute geprägt durch die grandiose Platzanlage Michelangelos. In der Antike trug die steilste Erhebung der Stadt die Burg, die in den Zeiten des Galliersturms als letzte Bastion verteidigt