3. Deutscher Erfolg in der Standortkonkurrenz als Bedingung für eine noch sozialere Republik
So viel ist nämlich klar: Um die ‚Arbeit der Zukunft‘ gestalten zu können, muss sie zunächst einmal in Deutschland stattfinden und nicht anderswo. Und für diese genuin soziale Zwecksetzung sind in Zeiten der Globalisierung passgenaue Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen zwar nötig, aber keineswegs hinreichend. Dass zur Erhaltung und Steigerung der ‚gesamtgesellschaftlichen‘ Beschäftigung ein hinreichendes Wachstum von zusammengezählten Kapitalerträgen auf deutschem Boden unbedingt her muss, entnehmen deutsche Gewerkschaften der unbestreitbaren Tatsache, dass das ohne Wachstum jedenfalls nicht gelingt. Und damit die Sozialpartner ihrer Aufgabe nachkommen und es in gehöriger Rate und Masse erarbeiten bzw. erarbeiten lassen können, müssen die ‚Rahmenbedingungen‘ stimmen. Auch für diese Aufgabe ist selbstverständlich ‚die Politik‘ zuständig, mit der sich der DGB im Prinzip einig weiß. In der Praxis aber versagen irregeleitete Politiker dann doch ein ums andere Mal an den gewerkschaftlichen Maßstäben guten Regierens, wenn sie in ihrem steten Bemühen um einen möglichst großen Anteil am weltweiten Geschäft immer wieder in die „Mottenkiste neoliberaler Rezepte“ greifen, einsinnig sozialstaatliche Leistungen kürzen, Unternehmer und Geldbesitzer der Welt im Gegenzug mit Befreiung von Sozial-, Umwelt-, und sonstigen Auflagen sowie Steuern ködern etc. Zu solchen kurzsichtigen und vor allem kontraproduktiven Ansätzen kennen Gewerkschaften erfolgversprechendere Alternativen arbeitnehmerfreundlicher Politik.
Deshalb bemühen sich die Gemeinwohlexperten von der Gewerkschaft um den Beweis, dass soziale Rücksicht deutsches Wachstum und deutsche Wettbewerbsfähigkeit stärkt: Mehr Geld in den Taschen von Beschäftigten, Arbeitslosen und Rentnern schafft ‚Binnennachfrage‘, die die deutsche Wirtschaft gut gebrauchen kann, um über ihre exportweltmeisterliche Exportabhängigkeit hinauszuwachsen. Und die Zufriedenheit, die das stiftet, ist selbst eine Produktivkraft der nationalen Gesamtbelegschaft: Der vorbildliche soziale Frieden ist ein Standortfaktor, den es unbedingt zu pflegen gilt. Außerdem wären die Kosten einer nachfrageorientierten Politik nach Keynes durchaus finanzierbar: durch das Wachstum, das sie auslöst, und mit Hilfe einer gerechteren Steuerpolitik, die die zur Kasse bittet, bei denen sich dieses Wachstum am ehesten als Bereicherung niederschlägt. Überhaupt müssen soziale Kosten kein Nachteil sein – wenn es nämlich dem deutschen Staat gelänge, den Nachteil, den diese Kosten dann doch darstellen, auch dem Rest der Welt in Gestalt von verbindlichen vorbildlichen Standards aufzudrücken: „Für einen gerechten Welthandel“ lässt der DGB seine Basis gegen das TTIP-Abkommen aufmarschieren, mit dem sich die deutsche Politik ihre Handlungsfreiheit beschneiden, also die Möglichkeit einer besseren Politik verbauen würde. Von dieser Handlungsfreiheit kann der deutsche Staat überhaupt nicht genug haben, muss seine soziale Wirtschaftspolitik doch die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts gegen die Konkurrenten sichern – z.B. die Wirksamkeit der sinnreichen Vorkehrungen, mit denen die deutschen Stahlkocher die von ihnen angewandte Arbeit rentabel machen: Denn das Wohl deutscher Stahlarbeiter gebietet, dass der deutsche Staat dem chinesischen gleichgerichtete Anstrengungen als ‚Lohndumping‘ verbietet und seinerseits wettbewerbsschädliche Klima- und Umweltgesichtspunkte fahren lässt. So viel ‚Herz aus Stahl‘ bringen DGB, Gesamtmetall und Wirtschaftsminister Gabriel glatt gemeinsam auf. Weil deutsche Arbeitsplätze immer dann bedroht sind, wenn deutsche Unternehmen und der Standort als Ganzes im harten internationalen Wettbewerb zu unterliegen drohen, geraten überhaupt alle Momente nationaler Politik in den gewerkschaftlichen Blick: eine zukunftsfähige Infrastruktur, eine Bildungspolitik, die den nötigen Wissensvorsprung deutschen Kapitals genauso sichert wie das Recht – lebenslänglich! – auf Weiterbildung für die fortschrittlichen Arbeitsplätze, die daraus entstehen sollen, usf. Unter dem Strich sorgen die schwierigen Bedingungen einer realistischen, auf Umsetzung zielenden, sozialeren Politik wie von selbst dafür, dass der DGB seinem guten Anliegen den nachgeordneten Stellenwert einräumt, den es braucht, um es voranzubringen.
Mit solchen wohlmeinenden Alternativen löst der DGB seine Eintrittskarte in den Wettstreit um die richtige Wachstumspolitik. Die politische Stimme der Gewerkschaft hat ihren festen Platz, wann und wo immer die Frage gewälzt wird, wie die Nation ihre Drangsale am besten bewältigt. Neben ihrem geballten Sachverstand in allen gewichtigen Fragen werfen die Gewerkschaften noch ihre gesellschaftliche Bedeutung in den Ring und lassen sie bei geeigneten Anlässen, vorzugsweise am 1. Mai, von möglichst viel Fußvolk bezeugen. Diesen allesamt ungemein konstruktiven Anstrengungen trägt die deutsche Politik Rechnung und weist dem DGB die Rolle zu, als „manchmal auch unbequemer“ Dialogpartner überall den Gesichtspunkt der Arbeitnehmerfreundlichkeit einzubringen – so geht die endgültige Lösung der ‚sozialen Frage‘ vom Standpunkt des sozialen Staates. Das Angebot nehmen deutsche Gewerkschafter gerne an und führen den praktischen Beweis, dass die sozial Schwachen, die „den Staat am dringendsten brauchen“, an Deutschland genau das haben, was sie brauchen: ein Erfolgsmodell von Staat, der mit Wachstum für Beschäftigung, mit internationaler Durchsetzung für deren Sicherung und als soziale Gewalt für deren Aushaltbarkeit sorgt. Grund genug für die deutsche Gewerkschaft, auf ihren Beitrag dazu stolz zu sein:
„Ohne Sozialstaat wäre das politische und ökonomische ‚Erfolgsmodell‘ Bundesrepublik nicht möglich gewesen! Und dieser Sozialstaat wiederum wäre ohne das Engagement von Millionen von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern nicht möglich gewesen!“
*
Ein Kollateralschaden ihres eigenen Erfolgs bleibt der deutschen Gewerkschaft 2017 allerdings nicht erspart: Als Gewerkschaft macht sie sich tendenziell überflüssig. Mit ihrem unermüdlichen Einsatz für die wohlverdienten Rechte, die der demokratische Staat den ‚Bürgern am Arbeitsplatz‘ angedeihen lassen soll, hat sie die Lohnabhängigen erfolgreich zu Bürgern erzogen. So erfolgreich, dass die meinen, mit eben diesen Rechten alles Nötige für ihren alltäglichen Überlebenskampf beisammen zu haben. Sie schließen folglich von allen erfahrenen Härten der Konkurrenz umstandslos darauf, dass die Politik die zuständige Instanz ist, Gerechtigkeit herzustellen. So landet jede Unzufriedenheit bei einem Auftrag an den Staat, entsprechend für Ordnung zu sorgen. Nur eine Minderheit lässt sich überhaupt noch mobilisieren und für den Standpunkt gewinnen, als Mitgliederbasis ihrer gewerkschaftlichen Vertretung zu fungieren, also ihre Konkurrenz um eine von oben angeleitete Praxis der Solidarität zu ergänzen. Die große Mehrheit setzt von vornherein darauf, dass sie mit ihren Interessen bei denen, die die Verhältnisse machen, bei Politik und Unternehmen also, an der richtigen Adresse ist. Die Gewerkschaften im Lande ergänzen, benützen und befördern diese Politisierung der Unzufriedenheit, indem sie jeden Ruf nach dem Staat als Auftrag an sich aufgreifen, als Lobby für die Belange der deutschen Lohnarbeiterschaft beim Staat und als für die soziale Ordnung im Lande mitverantwortliche politische Kraft tätig zu werden. Der DGB ist schließlich das „mit mehr als sechs Millionen Mitgliedern ... größte politische Netzwerk dieser Republik“, als das er sich – zumal im Wahljahr 2017 – berechtigt sieht und sich darum bemüht, Einfluss auf die Politik zu nehmen und seine Basis als Wähler zu mobilisieren. Mit ihrem Einsatz für eine Politik im Namen der deutschen Arbeitnehmerschaft leistet die Arbeitervertretung in Merkels Land damit ihren nicht geringen Beitrag dazu, die Arbeitnehmerschaft