Eduard Palmer, ab 1898 als Nachfolger Hahns Generaldirektor der Österreichischen Länderbank, war der Finanzratgeber des Kaisers und regelte auch dessen Finanzangelegenheiten mit Katharina Schratt. Die Fürstin Nora Fugger erzählt: „Bei Frau Schratt lernte ich auch den Generaldirektor der Länderbank Eduard Palmer kennen, einen selten lieben, alten Herrn. Er war der beste Freund und bewährte Ratgeber der Frau Schratt. Auch der Kaiser schätzte ihn sehr und empfing ihn oft in Ischl und in Schönbrunn in Privataudienz … “79 Er war wohl mehr lieb als tüchtig. Sein Standardsatz, Kola zufolge: „Hm, hm, die Situation ist nicht so einfach … “80 1907 musste er wegen großer Verluste in England als Generaldirektor zurücktreten. Sein Abschied wurde ihm mehr als versüßt. Die Ernennung zum zweiten Vizepräsidenten (neben Otto Seybel), die Beibehaltung aller Verwaltungsratsstellen (mit einer Garantie auf jährliche Tantiemen von zumindest einer Viertelmillion Kronen) und eine Palmer vorbehaltene Präsidentenstelle in der Trifailer Kohlenwerks-Gesellschaft erleichterten ihm die Demission. Kola zufolge erhielt Palmer bei seiner Demission als Länderbank-Generaldirektor aus verschiedenen Positionen ein jährliches Mindesteinkommen von einer Viertelmillion Kronen zugesichert.81 Damit lag er nicht falsch: 1910 versteuerte er 169.826 Kronen. Palmer gab öfters kleine, elegante Feste in seiner schönen, am Ring gelegenen Wohnung. Er besaß besonders schöne, sehr wertvolle Bilder und überhaupt viele Kunstschätze.
Als Generaldirektor folgte ihm von 1908 bis 1916 Ludwig Lohnstein. Er galt als ein enger Freund Karl Luegers und war dessen Finanzberater in Gemeindeangelegenheiten. Lohnstein lobte Lueger trotz dessen antisemitischer Ausfälle als „einen immer außerordentlich wohlmeinenden Freund und Beschützer, der, solange er lebe, in warmem, dankbarem Gedächtnis bleiben werde.82 Lohnstein war 1908 in fünfzehn Industrieaktiengesellschaften vertreten, in fünf als Präsident. Er galt als einer der großen big linker der Vorkriegszeit.
Auch Bernhard Popper, der Direktor des Wiener Bankvereines und 1915 als „von Artberg“ geadelt, entsprach dem Typus des Multifunktionärs. In seiner Machtfülle, was leitende Positionen betraf, war Popper mit 21 Verwaltungsratssitzen unerreicht: In neun Industrieaktiengesellschaften stand er an der Spitze des Verwaltungsrats, in fünf Papierindustrieunternehmen, in sechs Berg- und Hüttenwerken.83 Später wechselte er vom Direktor zum Präsidenten des Bankvereins, zuletzt zu dessen Ehrenpräsidenten. Durch viele Jahrzehnte war er auch Präsident der Wiener Börsekammer.
Karl Stögermayer, einer der ganz wenigen Nichtjuden unter den Spitzenbankern, verzeichnete eine spektakuläre Karriere beim Bankverein. Als Sohn eines Gerichtsaktuars in Enns geboren, war er nach der Realschule als 17-Jähriger in die Boden-Credit-Anstalt eingetreten und 1875 als Disponent und Prokurist in den Wiener Bankverein gewechselt. Nach Jahren als Direktorstellvertreter und Direktor des Bankvereins, dann Vizepräsident, beendete er seine Karriere 1924 bis 1929 als Präsident und dann noch ein Jahr bis zu seinem Tod als Ehrenpräsident. Sein Aufstieg war mit dem des Bankvereins eng verbunden, war doch der Bankverein eine der ganz wenigen Wiener Banken, die die Bankenkrise der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts einigermaßen unbehelligt überstehen sollten. Stögermayer gehörte auch dem Verwaltungsrat zahlreicher Konzernunternehmungen dieses Instituts an. Er war Präsident des Wiener Frauenvereins Settlement, der sich um Straßenkinder und alleinstehende Mütter kümmerte, und er war Vorstandsmitglied der Wiener Geographischen Gesellschaft.84
Auch nüchterne Bankdirektoren konnten sich literarisch ambitioniert geben. Adolf Dessauer, der stellvertretende Präsident des Verwaltungsrats der Depositenbank, brachte es mit seinen Romanen „Großstadtjuden“ und „Götzendienst“ nicht nur zu zeitgenössischer Bekanntheit. Sie werden von Germanisten auch noch heute erforscht und wieder aufgelegt, wahrscheinlich aber mehr wegen des zeithistorischen Kolorits als wegen der künstlerischen Qualität. Auch Guido Elbogen, der als Direktor und Generalrat der Anglo-Österreichischen Bank zu großem Vermögen gekommen war, betätigte sich dichterisch, ist aber offensichtlich ganz vergessen.
Ob man jene Angehörigen des Hochadels, die an der Spitze des Verwaltungsrats einer Großbank standen, den Bankiers zurechnen kann, sei dahingestellt: Kasimir Freiherr von Pfaffenhofen, verheiratet mit Elisabeth, geborene Kinsky von Wchinitz und Tettau, war Präsident, hernach Generalrat der Anglobank. Reichsgraf Maximilian Montecuccoli-Laderchi, der langjährige Gouverneur der Österreichischen Länderbank und Präsident der Alpine Montangesellschaft, stand politisch der christlichsozialen Partei nahe. Er war kaiserlicher Kämmerer, wirklicher geheimer Rat des Kaisers und eine „in Kreisen der Diplomatie, des Adels und der Finanz hochangesehene Persönlichkeit“, obwohl er von Finanzangelegenheiten recht wenig verstanden habe.85 Diese und andere hohe Adelige, die in den Verwaltungsräten der Banken vertreten waren, waren in Wahrheit nur dazu da, das Prestige der Banken nach außen abzusichern.
Die leitenden Bankiers und Manager standen in erbitterter Konkurrenz. Man begegnete sich in unterkühlter Freundschaft, sprich Feindschaft. Der Berliner Bankier Carl Fürstenberg, dem Eugen Minkus, der Direktor der Unionbank, den Wechsel der Geschäftsbeziehungen zur Niederösterreichischen Escompte Gesellschaft verübelte, wollte sich mit diesem bei einem Besuch versöhnen. Der Portier begrüßte ihn freundlich. Fürstenberg fuhr nach oben und erzählte Minkus, wie herzlich ihn der Portier in Empfang genommen habe. Minkus erwiderte trocken: „Da sehen Sie wieder, was man heutzutage für ein unzuverlässiges Personal hat. Der Mann ist nicht à jour.“86
Zeichnet ein kritisches Bild der Wiener Gesellschaft: das Umschlagbild des Romans des Bankiers Adolf Dessauer „Götzendienst“, Wien 1899.
Sie sind Urgesteine des Kapitalismus. Sie arbeiten sprichwörtlich bis zum Umfallen. Sie sterben in der Arbeit. Das unterschied sie zwar nicht von ihren vielen kleinen Bediensteten, Arbeitern und Gehilfen, für die eine Altersruhe ebenso undenkbar war. Eugen Minkus war 1923 nach 63-jähriger Tätigkeit in der Unionbank, wenige Tage nach seinem mit großen Ehrungen vollzogenen Rücktritt, verstorben. Die Zeitungen kritisierten die „hartnäckige Herrschsucht eines an Verdiensten sicherlich reichen, aber der dahinrasenden Zeit fremd gewordenen Mannes“.87 Feilchenfeld stürzte als Siebzigjähriger auf dem Heimweg von der Bank in einen ungesicherten Schacht zu Tode. Stögermayer trat 1929 im Alter von 81 Jahren nach mehr als 35 Jahren an der Spitze des Bankvereins zurück. Ein Jahr darauf starb er. Der Direktor der Deutschen Bank Hugo Mankiewitz, vielleicht besser bekannt als Großvater von Marcel Prawy, starb an nervlicher Erschöpfung. Sein Bankierskollege Fürstenberg kommentierte das trocken: „Der arme Mankiewitz, Direktor der Deutschen Bank, hat sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode gearbeitet … er arbeitete bis tief in die Nacht … Die Folge war ein völliger Nervenzusammenbruch … so dass der einige Zeit darauf eintretende Tod eher als eine Erlösung empfunden werden musste.“88
Der völlige Verzicht auf Freizeit wird in den Biographien gerne betont, weil das diese Kapitalisten von der Leisure-Class so sehr unterschied: Bernhard Popper hat nie Urlaub gemacht, besaß auch keinen Landsitz. Im Sommer logierte er im Wiener 17. Bezirk, im Winter im 1. Bezirk. Auch Julius Herz, Vizegouverneur der Boden-Credit-Anstalt, habe in den letzten Jahren seiner Tätigkeit nicht mehr als zwei Wochen Urlaub genommen. Für Morawitz existierte nichts neben der Bank: Von Jugend auf gewöhnt, mit wenigen Stunden Schlaf auszulangen, sei er schon bei Morgengrauen am Schreibtisch zu finden gewesen, schon vor acht Uhr morgens, gewöhnlich als Erster, vor allen übrigen Beamten und Direktoren. Bis in die späten Abendstunden habe er gearbeitet und an allen Werktagen als Mittagessen wenn halbwegs möglich das nämliche Menu genommen.89 Ein Rhythmus wie ein Uhrwerk. Für den Austausch von Floskeln und Höflichkeiten war keine Zeit. In verschiedenen Wiener Bankdirektionen sei die Tafel angebracht gewesen: „Zeit ist Geld!“ „Die Besuche wollen kurz sein.“90 Selbst die Aufforderung, noch zu bleiben, darf nicht ernst