Es wurde eine enge, spannende und lohnende Zusammenarbeit mit dem gemeinsamen Ziel: Mutters Geschichte – Eine färöische Kindheit.
Mutter erzählte immer von ihrer Kindheit. Wie sollte ich ihre ehrlichen Berichte formulieren, ihre Geschichten und Erlebnisse wiedergeben, an die sie sich im Guten wie im Schlechten erinnerte? Einige Erzählungen habe ich umgeschrieben, einzelne Namen verändert, wo es mir angebracht erschien. Das wichtigste war der Bericht, Mutters Erlebnisse. Gleichzeitig nahm ich mir die künstlerische Freiheit als Verfasserin, meine Fantasie zu benutzen. Ich habe die Jahreszahlen der färöischen Geschichte Büchern und dem Internet entnommen und schaute in die Bücher über die Färöer, die Mutter in ihrem Bücherregal hatte.
Mutter erzählte, ich visualisierte und schrieb. Sie verbesserte und erklärte. Ich lauschte und schrieb um. Schließlich wurde es von ihr akzeptiert. Ihre alten Fotos aus dem Fotoalbum scannte ich und verwendete sie für dieses Buch. Auf den Färöern skizzierte und malte ich Bilder. Ich entschied mich dafür, das Buch mit Zeichnungen und einigen meiner Bilder zu illustrieren.
Als Kind war ich dreimal mit auf den Färöern. Ich erlebte diese wunderlichen Inseln, wo ich fühlte: „Hier habe ich Wurzeln, hier bin ich zu Hause.“ Gleichzeitig habe ich Wurzeln in Dänemark und liebe das Land, wo ich geboren und aufgewachsen bin.
Als Erwachsene lebte und arbeitete ich vierzehn Jahre lang auf den Färöern. Hier sind unsere beiden Söhne geboren, hier wuchsen sie auf. Sie sagen beide: „Die Färöer sind unser Vaterland.“
Erinnerungen: Ich vermisse das zitternde Licht und die fliegenden Schatten über den Bergen, die Farben, Düfte, Stimmungen, Menschen, Motive, Natur der Färöer.
VORFAHREN
Leutnant Hans Bohm, Nordjütland, verheiratet mit Anne Marie Majoner, geboren 1662, Tochter des Stadtrates in Viborg, Hans Jørgen Majoner, 1618–1696.
1701 bekamen sie die Tochter Johanna Marie Bohm.
Johanna Marie heiratete Jens Andreas Dam, Pfarrer auf den Färöern, 1724–1727.
1729 heiratete Johanna Maria, geborene Bohm, Didrik Jensen, Bauer bei Sjógv. Sie ließen sich in Kollafjørður nieder.
Ihr Sohn Sørin heiratete Lítla Anna, Tochter von Jákup við Gjónna und Elsebeth, Bauern in Miðgerði.
Sie bekamen die Tochter Súsanna Kristina, die Heini Joensen, Bauer in Skælingur, geboren ungefähr 1834, heiratete. Heinis Eltern hießen Jógvan Heinesen und Elisabeth Hansdatter.
Sie bekamen den Sohn Jógvan, der Bauer auf Skælingur wurde. Er heiratete Anna Johannesdatter. Sie bekamen sechs Kinder, von denen der Sohn Heini Bauer in Skælingur wurde. Jógvan und Anna sind Sigrids Urgroßeltern.
Heini heiratete Birita (Sigrids Großeltern).
Sie bekamen acht Kinder: Jógvan, Magnus, Petur, Hans Andreas, Rakul, Elspa, Anna und Sára.
Anna wurde Sigrids Mutter.
Sigrid und ihre Geschwister sind also die achte Generation nach Leutnant Hans Bohm aus Nordjütland.
Großer Dank geht an Birgir Johannesen, Jóanis’ und Annas Urgroßenkel, Birthe Viderøs (Schwester genannt) Enkel, der mir die Ahnenforschung geschickt hat. Ich habe sie kurz gefasst.
Wurzeln I
Es war einst im Februar 1879, als an einem eisigen, kalten, windigen Unwettertag ein kleines Mädchen das Licht der Welt erblickte.
Birita nahm ihre kleine Tochter in den Arm und dankte Gott dafür, dass die Geburt in dem kleinen Dorf Skælingur, auf der westlichen Seite von Streymoy, gut überstanden war. Das Dorf Skælingur bestand aus zwei Höfen, die durch ihre freie Lage Unwetter und Orkan schutzlos ausgeliefert waren. Es lag am Fuße des Berghanges, am Sund zwischen Streymoy und Vágar, der im Atlantik endete.
Hinter dem Dorf, nach Osten hin, erhob sich eine mächtige, pyramidenförmige, 768 Meter hohe Felsformation. Das war der Skælingur. Der Gipfel konnte nur von einer bestimmten Stelle aus mit guter Beinmuskulatur erreicht werden, nämlich von südlicher Seite. Vom flachen Plateau der Bergkuppe hatte man bei klarem Wetter eine wunderschöne Aussicht auf die meisten der achtzehn Inseln.
Biritas Tochter wurde Anna Katrina Sofie Frederikka Joensen getauft. Insgesamt brachte Birita acht lebensfähige Kinder zur Welt, vier Jungen und vier Mädchen. Die Familie ernährte sich von Schafzucht und den Ernteerträgen des Bodens, Kartoffeln. Es gab keinen Laden, keine Schule oder Kirche. Das nächste Dorf und die Kirche waren in Kvívík, das viele beschwerliche Kilometer entfernt lag. Es gab keinen Weg zum oder vom Dorf, nur einen kleinen Trampelpfad, der auch von den Schafen benutzt wurde. In die vielen Gebirgsbäche und Flussläufe hatten die Männer Steine zum Überqueren gelegt, damit man sie trockenen Fußes passieren konnte.
Im Winterhalbjahr und an regnerischen Tagen strömte das Wasser von den Bergen und bildete Wasserläufe, die in Jahrtausenden tiefe Furchen in die Abhänge gegraben hatten. Durch die schrägen Hänge verlief das Wasser eher horizontal und endete schließlich als rauschender Wasserfall in einer Schlucht und dem Meer. Regen und Quellwasser verliehen den Bergen ihre besonderen Formen.
Im Sommer konnten die Wasserläufe zu kleinen rieselnden Bächen schrumpfen, und einige trockneten völlig aus. Obwohl das Meer am Fuße des Skælingurs lag, gab es keinen Hafen. Kein Boot konnte an den senkrechten Klippen unter dem Dorf anlegen. Man kann sich nur darüber wundern, dass sich die Wikinger an diesem sturmumtosten Ort niederließen.
Die Kinder durften nicht allein über den Berg gehen, da sie in dem unwegsamen Terrain verunglücken konnten. Wenn Nebel aufzog, konnte man sich leicht verirren und in Lebensgefahr geraten. Stürmte es, durften die Kinder nicht draußen spielen, denn Windstöße und Orkane konnten leicht ein kleines Kind hochheben und mit sich über den Abgrund führen. Sie lebten und wuchsen in dem kleinen Dorf auf und spielten mit den Kindern des Nachbarhofes. Ihre Vorfahren gingen nicht in die Schule, doch nun sollten die Kinder lesen, schreiben und rechnen lernen.
Anna wuchs also auf einem der beiden Höfe auf. Sie spielte mit ihrer Schwester Sára, wenn es ihr die Mutter erlaubte, das heißt, wenn die häusliche Arbeit getan war. Alle Kinder arbeiteten von klein auf. Die Tiere mussten gehütet werden, die Hühner brauchten Körner, Eier mussten eingesammelt, Schafe geschoren, Wolle zu Kleidung, Strümpfen und Fäustlingen verarbeitet werden. Das Brot musste gebacken werden. Die ganze Familie arbeitete im Torf und Heu und baute Kartoffeln und Rhabarber an. Es musste geschlachtet, gesalzen und getrocknet werden. Es musste gewaschen, gemolken und Essen gekocht werden und so weiter.
Anna und Sára hatten längst das Schulalter erreicht, als der Vater Heini eines Tages sagte: „Jetzt, Mädels, kommt ihr in die Schule.“ Die Mädchen hüpften vor Freude, dachten daran, dass sie von zu Hause fort sollten, hinaus in die große, weite Welt.
„Wie ist es auf der anderen Seite des Berges?“, fragten sie, und der Vater erzählte.
Birita sorgte für anständigen Proviant, bestehend aus skerpikjøt, Trockenfisch, selbst gemachtem Sauerteigschwarzbrot und rullupylsur aus Schafsfleisch.
Der Tag war hell und trocken, die Sonne schien, und der Wind hatte sich gelegt. Der Vater ging voran. Es gab keinen Weg, keinen Pfad, doch oben auf dem Höhenzug standen in regelmäßigen Abständen Steinpyramiden, denen sie folgten. Steinpyramiden wurden in alten Zeiten von Männern errichtet. Es waren große Steine, die übereinander gelegt wurden, damit man auch im Nebel den Weg fand. Es war schwierig, steil, steinig und sumpfig nach dem Regenwetter der letzten Zeit. So weit wie möglich folgten sie den Pfaden, die die Schafe gelegt hatten. Solche Pfade