Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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sie sah sich nicht um, wahrscheinlich nahm sie an, daß Marion Grevenhagen ihr schon gefolgt sei. Wichmann machte die Tür hinter ihr leise zu, ohne daß die im Zimmer befindlichen Gäste und Gastgeber es beachteten. Er war mit Marion allein.

      »Herr Wichmann! Werden Sie mir helfen? – Es ist mein Diadem – Platin – mein Gatte soll nichts ahnen – Wir sind mit Schomburg in großen Schwierigkeiten –«

      Der junge Mann fühlte, wie ihm heiß wurde. Die Kostbarkeit brannte in seiner Hand.

      »Gnädige Frau – was an mir liegt, werde ich tun. Leider habe ich selbst kein Vermögen mehr zur Verfügung … 1500 Mark sind alles, was ich noch mein eigen nenne …«

      Marion hatte den Kopf etwas gehoben. Wichmann sah die verzerrten Lippen der jungen Frau und den verzweifelten Ausdruck ihrer Augen. Er erinnerte sich an das grauenhafte Bild einer zwischen Schrank und Wand eingeklemmten und verhungerten Katze, das er einmal gesehen hatte.

      »Marion …«

      Sie griff in die Luft. Er legte den Arm um sie und fühlte ihren schmiegsamen Körper.

      Er erinnerte sich, daß es ihre Schultern waren, die er zuerst an ihr empfunden hatte. Er hätte sie küssen können, sie hätte sich nicht gewehrt. Aber die Hilflosigkeit, mit der sie in seinem Arm lag, verwehrte es ihm. Wenn er ihre Lage ausnützte, war das eine Schändung.

      »Verlassen Sie mich nicht, Herr Wichmann … Verkaufen Sie – oder versetzen Sie – aber nicht hier, nicht in dieser Stadt …«

      Der Türgriff bewegte sich.

      Marion hatte sich aufgerichtet. Als Fräulein Ramlo zurückkam, um sie zu suchen, trat sie ihr mit einem amüsierten Lächeln entgegen.

      »Warum wollten Sie uns ausschließen?«

      »Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Frau Grevenhagen – eine solche Ungezogenheit von mir – zuerst eintreten – nur die Freude über Frau Cholms Hiersein kann mich entschuldigen – ich laufe durch die Tür ohne Gedanken – irgend jemand macht sie vor Ihnen zu – nein, wie soll ich mich entschuldigen – bitte mir zu verzeihen.«

      Die beiden Damen waren sofort von anderen Gästen umringt. Frau Grevenhagen schien in diesen Räumen nicht unbekannt zu sein, aber sich doch nur selten zu zeigen.

      »Mein Gatte bedauert sehr, Herr Musa, er ist heute verhindert zu kommen. Fräulein Ramlo, bei der ich das Abendbrot genommen habe, war so freundlich, mich in ihrem Wagen mit hierher zu bringen.«

      Herr Musa schien mit bourgeoisen Manieren vertraut zu sein. Er brachte den einen der eben frei gewordenen Stühle mit Armlehne herbei, bat Frau Grevenhagen, darin Platz zu nehmen, und bemühte sich für sie um Tee, Zitrone und Zucker.

      Anuschka, die heißes Wasser nachgießen mußte, erhielt einen ungeduldig-bösen Blick, und Wichmann beobachtete, daß der jungen flachsblonden Frau die Tränen in die Augen traten.

      Marion Grevenhagen war schon der Mittelpunkt der Gesellschaft. Sie saß in lässiger und doch beherrschter Haltung zwischen den Intellektuellen, Künstlern und Emigranten. Die schwarzseidene Russenbluse, die sich mit einer sehr zart und kunstvoll gestickten Borte um Hals und Handgelenke schloß, war reizvoll und unterstrich die Besonderheit ihres Wesens. Sie hatte eine Art, die Teetasse zu halten, die immer betrachtet werden konnte.

      Musa ließ sich nicht von ihrer Seite abbringen. Wichmann aber hatte sich ein Stück zurückgezogen und blickte unverwandt auf das lebende Bild.

      War es möglich, daß eine Frau ihre Seele so verbergen konnte? Oder war Marions Wirklichkeit in diesem Augenblick schon wieder eine ganz andere? Sie lächelte nur und hörte. Sie hörte die Komplimente Musas, sie hörte die Ansichten des Jünglings, die dieser mit wachsender Leidenschaft vor ihrem Schweigen entwickelte, sie hörte die Bemerkungen des Pagenkopfs und Katjas astrologische Voraussagen. Sie hörte zu und sagte nichts, aber alle schienen in ihren Augen das tiefere Ahnen um die Dinge zu suchen und meinten, aus diesem Rätsel eine Lösung ziehen zu können.

      »Das einzige, was durch die Trivialitäten dieser elenden Welt gehen kann, ohne davon berührt zu werden, ist eine vollkommene … Frau«, sagte Musa. »Sie ist das mit dem Urgrund des Seins noch unmittelbar Verbundene, nur aus eigenem Wesen Seiende und Handelnde. Sie geht durch unsere Schranken hindurch als das nicht Faßbare; niemand verdient, in ihrer Nähe zu weilen, als der, der dieses ihr Wesen begriffen hat. Sie ist nicht an die Kette der Konvention zu legen und nicht im Stall der bürgerlichen Verhältnisse zu halten. Die Türen tun sich auf vor ihr, und ihre Freiheit gehört dem, der weiß, daß sie frei ist.«

      Ach, Herr Musa, wollen nicht Sie die 20ooo oder 30ooo Mark beschaffen für ein Platindiadem? Vielleicht vermag Ihre Zunge auch vor einem bedenklichen Juwelier so pausenlos zu reden?

      »Die Stellung des bürgerlichen Zeitalters richtet sich schon durch seine unwahre Einstellung zur Frau. Die ganze Verlogenheit kommt in der brutalen Herrschsucht mancher Männer …«

      Wichmann konnte nicht weiter zuhören.

      Er sah Marion in der neuen Umgebung. Wie eine erwachte und sich aufbäumende Schlange erschien ihr schöner Leib zwischen der Zier des roten Stuhles, der sie mit Rücken- und Armlehne umrahmte. Sie war eine seltsame Ergänzung zu dem schmalen und schwarzen Musa, und Wichmann vergaß allmählich alles um sich außer diesen beiden.

      Marion hatte sich verwandelt. Eine Schranke um sie war wirklich gefallen. Sie schien nur noch aus ihrem eigenen Wesen zu leben. Ihr Lächeln war spöttisch und wissend geworden, zwischen ihren Lippen schimmerten weiße Zähne. Der Schleier ihrer dunklen Augen lüftete sich nicht, aber das Spiel, das dahinter gespielt wurde, war kühner.

      »Die Frau ist Himmel und Hölle«, drang Herrn Musas Stimme wieder in Wichmanns Bewußtsein. »Kein Mann vermag ihre dämonische Verbissenheit in das Materielle, keiner die Gleichgültigkeit zu erreichen, mit der sie wieder über alles hinweggeht. Es hat keine Revolution gegeben, in der die Frau nicht die Hingebendste gewesen wäre, deren Gefühl das Verderbte tief an der Wurzel faßte und inbrünstig vertilgte. Eine große Frau vermag alles zu sein – Dirne, Bettlerin, Königin – nur eins ist ihr fremd – das Banale. Die Träger des Kommenden können sich nur verneigen vor Ihnen, Frau Marion, mit der die Leidenschaft in einer entgötterten Welt wieder erschienen ist. Wir wollen nicht ergreifen und besitzen, wir wollen nur darum wissen, daß Sie aus der gleichen Idee geboren sind wie wir.«

      »Alphonse …«, sagte Fräulein Ramlo, »Sie schwärmen wieder einmal.«

      Diese Worte waren das einzige, was Wichmann außer Musas Worten und Marions Augen in sich aufnahm.

      Alphonse …

      Frau Marion … Haben Sie Ihren Gatten Justus Grevenhagen und Ihren Diener Oskar Wichmann einmal so angelächelt, wie Sie jetzt dem Bohemien Musa entgegengelächelt haben, während Ihr Kinn sich hob?

      Frau Grevenhagen hatte noch einen Schluck Tee genommen, sie hatte das dünne Porzellan der chinesischen Tasse wieder auf den niedrigen runden Tisch gestellt und war aufgestanden. Sie ging, von ihrem Trabanten geleitet, durch das Zimmer. Ihre Finger führten die Zigarette zum Mund. Sie kam nahe an Oskar Wichmann vorbei und suchte seinen Blick. Wichmann antwortete, mit einer Stichflamme des Hasses, ohne sich zu rühren. Er erkannte das Erschrecken in ihren Zügen.

      Ausgespielt, Marion. Aus …

      Sie machte eine ungeschickte Bewegung mit der Zigarette, Asche fiel zu Boden.

      Asche brennt nicht mehr, Marion.

      »Herr Wichmann, warum sehen Sie mich so feindselig an?«

      »Nicht Sie, gnädige Frau – ich sah nur einem Traumbild nach, das mir entfloh. Kennen Sie den Teich in unserem Park, schilfumwuchert, mondbeschienen, wenn des Nachts die Nixen tanzen? Sie singen Alphonse …«

      Marion war sehr blaß geworden. Musa schoß hoch. »Ihre Träume sind wunderbar, Herr Dr. Wichmann, und schwer zu verstehen.«

      »Nur für die zu verstehen, die das Mysterium kennen, und das sind wenige, Herr Dr. Musa.«

      Marion legte die Hand