Der Zthronmische Krieg. Matthias Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Falke
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783957770417
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einer weiteren Kommission, die Laertes über die Köpfe der auseinandergehenden Delegierten hinweg verkündet hatte, war der Schein eines regulären Ablaufs gewahrt. Im Protokoll des StabsLogs würde sich die Sache wie eine zwar temperamentvolle und widersprüchliche Debatte lesen, aber eben doch eine Debatte, der prinzipiell noch endlos viele weitere würden folgen können.

      Nur uns, die wir Zeugen der Vorgänge geworden waren, kamen Zweifel, ob man auf dieser Grundlage weiterarbeiten konnte.

      Wir kamen in einen der streng abgeschirmten Bereiche, die den Abgeordneten und Referenten der Union, der alten Union, zur Verfügung standen. Die Politiker und Juristen wirkten ernüchtert. Man sah betretene Gesichter. Laertes, Rankveil oder die anderen Gestalten blieben unsichtbar. Sie saßen in den Hinterzimmern der Hinterzimmer und beratschlagten mit ihren Ratgebern.

      Rogers steuerte zielstrebig die kleine Bar an, die es in diesem Bereich gab, und bestellte etwas zu trinken. Ich folgte seinem Beispiel und zündete mir, während die Ordonnanz die Gläser füllte, eine Qat-Zigarette an. Nachdem ich den ersten Zug tief inhaliert hatte, musterte ich Dr. Rogers und wartete darauf, dass er das Wort ergreife.

      Es dauerte eine Weile. So lange musste ich versuchen, in seinen verwitterten Zügen zu lesen. Er wirkte erleichtert, beinahe aufgeräumt. Insgesamt machte er den Eindruck eines Mannes, der lange auf etwas gewartet hat und nun froh ist, dass es eingetreten ist. Dieses Gefühl konnte unabhängig davon sein, worum es sich handelte. Auf der Akademie hatte er uns erzählt, dass im Krieg selbst das Signal zur Schlacht eine solche Erleichterung auslöste, und zwar nicht nur bei der Generalität, die sich das Ganze aus der Sicherheit ihrer Unterstände ansah, sondern auch bei den einfachen Soldaten, denen das Herumsitzen eine größere Pein zu bereiten schien, als wenn sie nun endlich ins Feuer durften.

      Als er ein wenig mit der Ordonnanz geschäkert und sich am Scotch gestärkt hatte, erinnerte der Held von Persephone sich meiner Anwesenheit. Er sah mich an und setzte ein pfiffiges Gesicht auf. Offenbar verfügte er wieder einmal über Informationen, die mir vorbehalten worden waren.

      »Was ben Cyrion nicht sagte«, begann er mit einer Stimme, die von Alkohol und Alter rau war, »unter den Toten dieses Morgens war auch eine seiner Töchter.«

      Ich spürte, wie ich blass wurde. Cyrills statuarische Haltung war mir aufgefallen. Sie hätte als Karikatur wirken können, wenn man ihn nicht kannte. Die strenge Würde, die er ausstrahlte, war schwer mit der Tatsache in Einklang zu bringen, dass sein Volk dort draußen drangsaliert wurde, dass seine Glaubensgenossen litten und starben. Sie wurde unerträglich, wenn man nun noch dieses in Betracht zog.

      »Eines seiner Kinder hat den Tod gefunden?«, fragte ich.

      Dr. Rogers schwenkte seinen Whiskey. Für gewöhnlich hätte er jetzt einen schneidenden Zynismus angebracht. Aber er wusste um das enge Verhältnis, das wir zum Delegationsleiter der Amish hatten. Jennifer stand ihm sehr nahe. Er hatte sie zu Anfang des Kongresses daran erinnert, was ihr selbst nicht bewusst gewesen war: dass sie vor Jahren einem jungen Mädchen seines Volkes das Leben gerettet hatte. Dieses Mädchen war nun seine Frau, die Mutter seiner Kinder. Und eines dieser Kinder war in diesen Morgenstunden im Aerosolfeuer des Scytherangriffs verbrannt.

      »Cyrill und Shorena haben sieben Kinder«, sagte Dr. Rogers trocken. »Vier Töchter und drei Söhne. Eine der Töchter fiel der heutigen Attacke zum Opfer …«

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Schrecklich …«, war alles, was ich dazu sagen konnte.

      Natürlich war diese Reaktion irrational. Wir wussten, dass an die fünfzig Menschen – überwiegend Schulkinder und Frauen – das Leben verloren hatten, und die Opferzahlen der letzten Monate gingen in die Hunderte. Dennoch erschütterte uns das eine Schicksal, weil wir zufällig den Vater des Kindes kannten.

      Meine Gedanken schweiften zu Jennifer, die auf der Orbitalstation hoch über Zthronmia saß und die Beobachtermission inspizierte. Auch sie war Zeugin der Vorfälle gewesen. Kannte sie die Namen der Opfer? Wusste sie, was das zu bedeuten hatte? Und noch ein anderer furchtbarer Gedanke stieg in mir auf: Hatte ihr Angriff auf das Zthronmische Kommando, das die ENCOURAGE hatte plündern wollen, den Überfall auf Cyrills Heimatkibbuz provoziert. Der Einsatz von Aerosolbomben war eine neue Qualität. Die Zthronmic hatten ihren Terror, der seit Langem auf kleiner Flamme köchelte und die Amish in einem Klima von Angst und Schrecken leben ließ, intensiviert. Es konnte nicht anders sein: Jennifers Vergeltungsmaßnahme, die auch Rache für unsere massakrierten Kameraden gewesen war, hatte zu einer weiteren Eskalation geführt. Die Spirale der Gewalt hatte eine weitere Umdrehung beschrieben. Und wieder waren Unschuldige die Leidtragenden. Wehrlose Angehörige eines wehrlosen Volkes, das entschlossen schien, sich weder zu verteidigen noch zur Wehr zu setzen. Wie Schlachtvieh saßen sie da und sahen tatenlos zu, wie ihre Frauen und Kinder verbrannten. Ich spürte, wie eine ohnmächtige Wut in mir aufstieg, die nur eine Camouflage meiner Hilflosigkeit war. Ich hätte Cyrill am liebsten geohrfeigt. So schlimm konnten diese Scyther nicht sein. Mit zwei oder drei Feldwerfer-Batterien musste man sie in Schach halten können. Aber dazu war man zu stolz.

      Doch auch diese künstliche Erregung war nur Ausfluss der Tatsache, dass ich nichts getan hatte und nichts tun konnte. Und nichts tun würde?

      »Können wir das hinnehmen?«, fragte ich laut. »Selbst wenn sie selbst an ihrer absurden Gewaltlosigkeit festhalten – muss nicht die Union sie gegen solche Attacken verteidigen? Sie zwingen, sich verteidigen zu lassen? Unsere Charta ist das Pergament nicht wert, auf dem sie steht, wenn wir so etwas geschehen lassen, da hat sogar Muqa Zthé ausnahmsweise recht.«

      Dr. Rogers sah mich aufmerksam an.

      »Was willst du tun?«, fragte er ruhig. Er klang, als würde er augenblicklich in die Tat umsetzen, was ich ihm vorschlüge. Er war wieder der alte Vorgesetzte, der vor einem Angriff seine Unteroffiziere fragte, wie sie entscheiden würden – und der dann alles ganz anders machte.

      »Ich weiß es nicht!«, rief ich grollend. »Aber wenn an unseren Garantien und an all den hehren Worten irgendetwas dran sein soll, müssen sie auch für die Amish gelten …«

      Weiter kam ich nicht.

      »Es geht nicht um die Amish«, sagte Dr. Rogers freundlich.

      Ich hätte mich beinahe am Rauch verschluckt. Vorsichtshalber drückte ich Qat-Zigarette aus und wartete, bis sich der süßlich riechende Rauch verzogen hatte.

      »Worum denn dann?«, fragte ich beherrscht.

      »Jetzt guck nicht so erschrocken!« Rogers schien amüsiert. »Sagen wir: Es geht nicht nur um die Amish!«

      Ich stöhnte auf.

      »Worum geht es dann?«, wiederholte ich. »Und kommen Sie mir bloß nicht mit Zthrontat, Rohstoffen, übergeordneten Interessen.«

      Er erwiderte nichts. Stattdessen musterte er mich aufmerksam. Verdammt, ihm gegenüber war und blieb ich auf ewig der Erfolg versprechende Kadett. Und er war immer noch der strenge, aber wohlwollende Chefausbilder, der mit wissendem Grinsen zusah, wie man in die nächste behutsam präparierte Falle tappte.

      »Wenn es nur um das Zthrontat geht«, schäumte ich, »dann lass uns hingehen und es uns nehmen. Die Zthronmic bomben wir in die Steinzeit zurück. Daran kann es ja wohl nicht liegen!«

      »Sondern?«, fragte der alte Schleifer lauernd.

      »Offenbar geht es uns auch um etwas anderes.« Ich betonte das »Auch«, um ihn nachzuäffen und seine diplomatische Abgeklärtheit ins Lächerliche zu ziehen. »Um all die großen Worte, die Muqa Zthé schon diskreditiert hatte, allein dadurch, dass er sie in den Mund genommen hat.«

      Rogers genoss den Abgang des letzten Tropfens Whiskey und leckte sich die Lippen.

      »Entweder – oder«, sagte er.

      »Ja!«, rief ich. Ich schrie beinahe. Und am meisten brachte es mich in Rage, dass ich wusste, dass der Alte es nur darauf abgesehen hatte.

      »So einfach ist es nicht«, sagte er mild. »Die Wahrheit liegt in aller Regel irgendwo dazwischen.«

      Ich schüttelte