Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 3 – Showdown in Kroatien. Tino Hemmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tino Hemmann
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783957440648
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delegiert von der Berufsfachschule, gereist im FDJ-Hemd und im Domizil als Nazi beschimpft. Und heute wollen sie zur EU gehören.« Meisner grinste, worauf Rattner ihn in ruhigem Ton belehrte: »Da musst du nicht drüber lachen, Paul. Die Kiewer hatten einfach noch nicht kapiert, dass die DDR ihre sozialistische Schwester war.« Er setzte sich. »Wohin geht’s denn?«

      »Kroatien«, antwortete Sorokin, wie aus der Pistole geschossen. »Ich wollte nur Auf Wiedersehen sagen. Und schau bitte mal nach dem Haus. Und falls was mit mir passiert, dann …« Sorokin stockte.

      »Mit dir?« Der alte Rattner lachte auf. »Erwartest du einen Atomkrieg? Ich wüsste nicht, was dich sonst aus den Schuhen hebeln sollte. Mit dir was passieren? Jetzt verarschst du mich aber.« Nach vier Sekunden setzte er hinzu: »Oder?«

      »Man kann nie wissen, was solch eine Reise mit sich bringt.« Es klang wieder selbstsicher, was Sorokin zuletzt gesagt hatte.

      »Mensch, mal den Teufel nicht an die Wand! Das wird bestimmt ein prima Urlaub. So lange warst du noch nie an einem Stück mit deiner ganzen Familie zusammen, Tolik. Genieß es einfach und vergiss deinen Job für ein paar Tage.«

      »Weißt du, Hans …« Sorokin schaute Rattner von oben herab in die Augen. »Ich wollte noch … Was sehr Privates … Mit dir …«

      Meisner trank den restlichen Kaffee aus seiner Tasse, erhob sich ruckartig und raunte: »Hab schon verstanden. Ich bin in der Waffenkammer, Hans.« Kurz darauf hatte der Obermeister den Raum verlassen.

      Sorokin setzte sich auf dessen Stuhl, der für ihn viel zu niedrig eingestellt war.

      Rattner schwieg und wartete. Er wusste nur zu gut, dass Anatolij Sorokin eine tonnenschwere Sache belastete. Sonst hätte das Gespräch niemals in eine solch intime Richtung geführt. »Was ist los, Tolik? Stimmt irgendwas nicht?«

      Sorokin flüsterte. »Der ganze Urlaub ist ein Fake.«

      »So, so«, hauchte Rattner. »Ein Fake. Und was ist ein Fake?«

      »Ein Schwindel. Ich will, dass wenigstens du es weißt. Nur für deine Ohren: Ich wurde kommandiert. Jemand plant vielleicht in Sachsen einen verheerenden Anschlag. Und ich soll rausbekommen, ob was dahintersteckt.«

      Es dauerte eine geraume Weile, bis der alte Kommissar die Ansprache verdaut hatte. »Du also. Und da können die dich nicht allein hinschicken?«

      »Mir gefällt das auch nicht. Doch sie sagen, ich wäre dadurch unauffälliger, ein unbedeutender Pauschaltourist, verstehst du?«

      »Wer sind ›sie‹?«

      »Das darf ich dir nicht sagen.« Sorokin zog einen einzelnen Schlüssel aus seiner Hosentasche. »Nimm ihn an dich. Damit kommst du in mein Haus. Geh einfach durch die Garage. Okay?«

      »Kannst du nicht wenigstens eine Andeutung machen?«

      Sorokin bewegte den Kopf einmal hin und her.

      Der Kommissar schnaufte. »Glücklich macht mich das nicht, Tolik. Du kennst die nicht zu bändigende Neugier deines Großen. Lieber wäre es mir, ihr würdet gemeinsam den Urlaub genießen. Das Leben zieht dermaßen schnell an einem vorüber. Gerade war mein Hund noch ein niedlicher Welpe, schon muss ich ihn begraben. Verstehst du?«

      »Dein Hund ist tot?«, fragte Sorokin erstaunt.

      »Du russischer Dummkopf! Ich hab doch gar keinen Hund. Ich meine das nur so. Die Zeit vergeht wie im Flug. Jetzt sind deine Kinder noch klein und niedlich. Und schon bald musst du entscheiden, was du ihnen zur Hochzeit schenkst. Ich werde dich dran erinnern, wenn du mich fragst, was du ihnen schenken sollst.«

      Sorokin dachte angestrengt nach. »Wenn ich den Auftrag nicht hätte, wären wir doch gar nicht in den Urlaub geflogen.«

      »Du verstehst mich schon.« Rattner stand auf und klopfte Sorokin auf die rechte Schulter. »Pass gut auf. Auf dich, auf Kati und auf die Kinder. Okay?«

      »Versprochen.«

      »Falls ich dir helfen kann, ruf mich an. Okay?« Rattner wartete ein paar Sekunden auf die Antwort.

      »Okay. Versprochen.«

      Der Kriminalkommissar runzelte die Stirn. »Hast du dein Auto wieder irgendwem zum Testfahren gegeben?« Er spielte auf die unschöne Sache an, als er Sorokins Auto während dessen Abwesenheit im Straßenverkehr sah und deshalb jagen und beschlagnahmen ließ.

      »Nein. Habe ich nicht. Außerdem stelle ich den Kombi am Flughafen ab. Also wundere dich nicht, wenn die Garage leer ist.« Sorokin erhob sich und überragte Rattner um einen Kopf. Dann drückte er den alten Kommissar an sich, täuschte zwei Wangenküsse vor und verabschiedete sich. »Pass du auch gut auf dich auf, Hans. Drück deine Frau von mir.«

      »Mach’s gut, Tolik. Und grüß Kati und deine Plagegeister von mir.«

      »Ich muss los. Kati wird schon mit Anton auf mich warten.«

      Das moderne Telefon auf Rattners Schreibtisch klingelte aufdringlich. Sorokin verließ mit einem letzten Gruß das Büro.

      »Hauptkommissar Rattner«, meldete sich der Kriminalist und lauschte. »Ja, wir kommen. Bringen Sie nichts durcheinander und fassen Sie nichts an. Das darf nur die Spurensicherung. Verstanden?« Er knallte den Hörer hin, ging zur Tür und brüllte auf den Flur hinaus: »Paul? Wo steckst du schon wieder? Wir haben zu tun!«

      *

      Fedor saß am großen Esstisch im Wohnzimmer. Jekaterina Sorokin war mit Anton wichtige Dinge einkaufen, von deren dringlicher Notwendigkeit sie bis vor wenigen Stunden nichts geahnt hatte. Sonnenmilch, Schwimmflügel, Medikamente … Auch der Vater hatte noch unaufschiebbare Sachen zu erledigen und deswegen die Mutter samt Anton am Einkaufszentrum abgesetzt. Deshalb waren Fedor und Natascha ganz allein zu Haus.

      Der blinde Junge streckte die Arme aus und fast unauffällig berührten die Finger beider Hände den Aktenkoffer, der noch unheimlich neu roch. Allmählich näherten sich die Fingerkuppen dem linken Zahlenschloss. Es war auf 7 8 4 3 eingestellt, Fedors Fingerkuppen konnten die eingravierten Ziffern lesen. Mit einem Fingernagel versuchte Fedor den Riegel zu öffnen, doch der bewegte sich nicht. Also begann er, das erste Rädchen zu bewegen, stellte es rückwärts von der 7 bis zur 1.

      »Was machst du denn da?«, fragte die altkluge Stimme der kleinen Natascha in unmittelbarer Nähe.

      »Nichts«, antwortete Fedor. »Was ist, willst du fernsehen?«

      »Geht nicht.«

      »Du meinst wegen der Kindersicherung?« Fedor grinste. »Das ist ein Klacks. Warte, ich mach dir den Fernseher an.« Er streckte die rechte Hand aus, denn er wusste, dass Natascha ihm die Fernbedienung hinhalten würde, zeigte in die Richtung des Fernsehers, drückte auf den Bereitschaftsknopf und wartete fünf Sekunden. Dann gab er über die Tastatur der Fernbedienung die Ziffern 1 2 3 4 ein. Einen anderen Code hätte sich die Mutter wohl niemals merken können. Geräuschvoll meldete sich ein Fernsehprogramm. Fedor schaltete zu einem Kinderkanal um und legte die Fernbedienung auf den flachen Beistelltisch, der vor dem Sofa stand. »Okay?«

      Natascha nickte, was Fedor nur ahnen konnte, und saß bereits erwartungsfroh und die Zöpfe zwirbelnd auf dem Sofa.

      Fedor atmete auf, schlich zurück zum Esstisch und erfühlte erneut das linke Zahlenschloss des Koffers. Das zweite Rädchen drehte er von der 8 auf die 2, das dritte von der 4 auf die 0 und das rechte Rädchen von der 3 auf die 4. – Klick! Der linke Verschluss des Koffers sprang von ganz allein auf. Fedor kannte bestimmte Gewohnheiten des Vaters recht gut. Bei Zahlenkombinationen benutzte Sorokin fast ausschließlich die 1204. Am 12. April wurde Fedors Mama ermordet. Drei Monate nach Fedors Geburt.

      Jetzt lauschte er zunächst, ob Natascha von seiner Aktion etwas mitbekommen hatte. Die kicherte heftig über den Schwammkopf und zappelte auf dem Sofa, das dabei leichte Quietschgeräusche von sich gab, die ein Sehender wahrscheinlich nicht wahrnehmen würde. Er widmete sich wieder dem geheimnisvollen, väterlichen Aktenkoffer.

      Das rechte Zahlenschloss stand auf 6 4 4 4. Fedor stellte auch hier