Mörderisches Spiel in Leipzig. Uwe Schimunek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uwe Schimunek
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические детективы
Год издания: 0
isbn: 9783955522209
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es sah beinahe so aus, als ob da ein Galgenstrick baumelte. Der Sportreporter berichtete vornehmlich über die Ergebnisse der Pferderennen. In kurzen Hauptsätzen empfahl er Wank nun, Doktor Richter schnell aufzusuchen, der Direktor der Königlichen Expedition der Leipziger Zeitung habe vorzügliche Laune, sei gar zu Scherzen aufgelegt.

      Wank hatte ohnehin nicht vor zu trödeln, doch nun flitzte er die Treppe noch schneller hinauf. Als er vor dem Büro des Direktors angekommen war, war er völlig aus der Puste. Er holte tief Luft und klopfte.

      »Herein!«, rief die Vorzimmerdame.

      Wank trat ein und wurde direkt zu Doktor Richter gebeten.

      »Ah, unser Polizeireporter, ganz vorzüglich!«, rief der Direktor und winkte ihn herbei. »Das wird ein gutes Blatt heute, das habe ich im Gefühl. Zeigen Sie her, was Sie haben, Herr Wank!«

      Wank reichte Richter das Manuskript, und der begann sofort, die Zeilen zu überfliegen.

      »Eine tragische Sache«, sagte der Direktor nach wenigen Sekunden und klang dabei, als hätte er gerade im Lotto gewonnen. Sogar sein gezwirbelter Schnurrbart wippte fröhlich, als er fortfuhr: »Sie haben das ganz prächtig formuliert, Herr Wank.«

      Ein Lob vom Herrn Direktor persönlich, das musste er im Kalender notieren. »Danke, Herr Direktor«, sagte Wank.

      »Sie sollten auch mal längere Texte über besonders interessante Fälle für die Rubrik Vermischtes in unserer Beilage verfassen, junger Mann. Schlagen Sie doch bei Gelegenheit etwas vor!«

      Ein großer Report! Langsam wurde Wank die Sache unheimlich.

      Richter legte das Manuskript auf seinen Schreibtisch und fuhr fort: »Darf ich Sie noch etwas fragen, Herr Wank?«

      Wank zögerte kurz und überlegte, ob nicht doch Ärger drohte. Dann sagte er: »Selbstverständlich.«

      Richter blickte auf. Seine fröhliche Miene war verschwunden. Der Direktor legte das Manuskript auf den Stapel mit den Artikeln des Tages und fragte: »Ihre Zusammenarbeit mit Herrn Polizeihauptwachtmeister Machuntze läuft ordentlich?«

      »Gab es Beschwerden?«

      Richters Gesichtszüge schienen zu gefrieren. »Hat er denn Grund für Beschwerden?«

      »Nein, nein. Ich dachte nur …«

      »Ich will doch hoffen, dass es nur Gutes zu berichten gibt, denn ich treffe mich morgen Abend mit dem Herrn Polizeidirektor.« Richter richtete seinen Oberkörper auf, als wolle er auf seinem Sessel exerzieren. »Da wäre ich gern auf eventuelle Ärgernisse vorbereitet.«

      Deswegen also war Machuntze am Morgen geschwätzig wie ein Liebesroman gewesen. »Nein, nein«, sagte Wank. »Der Herr Hauptwachtmeister hat keinerlei Anzeichen irgendeiner Verstimmung gezeigt.«

      »Das ist gut. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, dass wir auch als Amtsblatt Seiner Majestät in unserer Stadt fungieren.«

      »Nein, selbstverständlich nicht, Herr Direktor«, antwortete Wank. Insbesondere nicht, weil der Direktor es bei jeder Gelegenheit wiederholte. Er beschloss, dem Hauptwachtmeister vorsichtshalber doch am nächsten Morgen einen Besuch abzustatten.

      Willibald Gelsenrath fuhr mit seinem Fahrrad von der Johannisgasse auf den Augustusplatz. Die Neorenaissancefassade des Museums strahlte in der Maisonne. Gelsenrath nahm sich Zeit, den Anblick zu genießen. Wenn er ein paar Minuten zu spät im Büro ankam, würde ihm niemand einen Strick daraus drehen. Schließlich hatte er gute Nachrichten zu verkünden. Der Bau in der Reitzenhainer Straße, den er für das Architekturbüro von Paul Möbius und Arthur Starke überwachte, kam gut voran.

      Auf dem Augustusplatz wimmelte es von Pferdedroschken und Fuhrwerken. Die neuen elektrischen Straßenbahnen bimmelten fröhlich durcheinander. In dem Gedränge boten Kolporteure ihre Waren feil.

      Vor dem Mendebrunnen trat ihm ein Mann in einem schäbigen Anzug in den Weg und wies auf die illustrierten Blätter und Romanhefte in seinem Bauchladen. Gelsenrath fragte sich, ob er etwa wie ein Familienoberhaupt aussah, mit seinem Fahrrad und dem Zylinder nach der neuesten englischen Mode. Oder glaubte der Kolporteur etwa, ein junger Mann würde diesen Schund selbst lesen?

      Mit einem gekonnten Schwung umkurvte Gelsenrath den Kerl. Der Händler musste aus dem Weg springen und fluchte ihm hinterher. Schnell weg, dachte Gelsenrath, ehe noch ein Tumult entsteht! Mit ein paar kräftigen Tritten in die Pedale näherte er sich der Universität. Nach ein paar Metern ließ er das Rad rollen und bog in die Goethestraße.

      »Mann, Willi, das war ja eine sportliche Einlage!«, rief jemand von der Paulinerkirche her.

      Gelsenrath blickte über die Straße, da stand Horst Ludewig, sein Sportkamerad vom VfB. Der junge Kerl hatte den Hut keck nach hinten gerückt, sodass sein Haaransatz zu sehen war, und schlenderte in Hemdsärmeln herbei. Sein Jackett hielt er zusammen mit einer Mappe unterm linken Arm.

      »So solltest du mal über das Spielfeld rasen, Willi!«, sagte Ludewig. Seine Worte wurden beinahe von seinem Kichern verschluckt.

      Gelsenrath stieg vom Rad und schob es auf die andere Straßenseite. Er streckte dem Kamerad die Hand entgegen und frotzelte: »Wenn ich an einem Freitag um die Mittagszeit über den Augustusplatz schlendern könnte, hätte ich beim Training auch mehr Kraft übrig.«

      Ludewig ergriff Gelsenraths Rechte und schüttelte sie mit unerwarteter Herzlichkeit.

      »Allerdings bin ich heute auch nicht in Eile«, fügte Gelsenrath hinzu.

      »Ich muss um die Ecke in die Bibliothek, ich nehme den Weg über die Grimmaische.«

      »Dann begleite ich dich ein paar Meter.«

      Sie gingen an der neogotischen Gebäudefront vorbei, die den Platz seit seinem Umbau prägte. Die jüngst gepflanzten Bäume spendeten nur spärlichen Schatten. Ohne den Fahrtwind begann Gelsenrath in seinem Jackett zu schwitzen.

      »Du warst seit dem Halbfinale bei keiner Sonderübung, Willi«, stellte Ludewig fest. Es klang nicht wie eine Anklage, eher wie eine Bitte.

      »Ach, weißt du …« Gelsenrath suchte nach Worten, er wollte den Kameraden nicht verletzen. »Ich habe gerade im Büro viel zu tun. Ich bin kein Student mehr.«

      »Das wissen wir.«

      Sie trotteten schweigend am »Café Français« vorbei in die Grimmaische Straße hinein. Auch hier herrschte Trubel, doch es blieb genug Platz, nebeneinanderher zu spazieren.

      »Es ist auch ein wenig so, dass ich den Eindruck habe, ich werde nicht so recht gebraucht«, fuhr Gelsenrath fort.

      »So ein Unsinn!« Ludewig rief die Worte so laut aus, dass eine Mamsell mit einem riesigen Krug unter dem Arm sich herumdrehte und grimmig guckte. »Wir brauchen jeden Mann. Gerade seitdem unser Spielführer nicht mehr unter uns weilt.«

      »Nun«, antwortete Gelsenrath ruhig, »seien wir ehrlich, Horst, ich werde ganz sicher im Endspiel nicht aufgestellt.«

      »Das mag sein. Ich bestimmt auch nicht. Aber wir sind eine Mannschaft. Wir haben eine gemeinsame Aufgabe, ein gemeinsames Ziel. Wir sind Gentlemen und unterstützen uns gegenseitig, wo wir können.«

      »Ja, ja!«

      »Im Ernst. Wir müssen unsere Besten so gut wie möglich vorbereiten. Wenn wir beim Training abwechselnd gegen Heini, Bert und die anderen spielen, dann werden sie stärker gefordert. Im Endspiel gegen Prag werden sie alle Kraft brauchen.« Ludewig senkte die Stimme. »Wir erkämpfen diesen Titel auch für Thoralf Schöpf. Das sind wir ihm schuldig.«

      Gelsenrath betrachtete den jungen Kameraden. Der schaute ihm in die Augen und schien doch in einer anderen Welt zu weilen.

      »Wir haben alle unsere Kämpfe auszutragen, Willi. Ich bekomme zwar nicht mehr Hiebe, wenn ich über unseren Sport spreche, wie noch in der höheren Bürgerschule. Doch auch an der Uni gibt es Professoren, die mich mit Argusaugen betrachten«, sagte Ludewig nun wieder etwas lauter.

      Mit Möbius hatte Gelsenrath keinerlei