Sorgfältig muss ich auf die Wegbeschreibung meines Buches zum Camino achten, muss sorgfältig die Auszeichnungen zum Camino de Fatima mit einem blauen Pfeil verfolgen oder die Kennzeichnung des Caminho Portugues mit dem gelben Pfeil suchen. Neben und zwischen den Häusern blühen wiederum Wildblumen in allen Farben, immer wieder die von mir so geliebten Mohnblumen, aber auch Wildblumen in Weiß, Gelb, Lila und Blau, eine Augenweide. Diese farbenprächtige Vielfalt der Natur ist einfach unbeschreiblich schön. Die Idylle wird jedoch leider immer wieder von Autos unterbrochen, die viel zu schnell um mich herum rasen, denn selbst in den Orten scheinen die Portugiesen keine Geschwindigkeitsbegrenzung zu kennen.
Kurz vor Arzoa de Baixo komme ich an einem Rastplatz mit Holztischen und Bänken vorbei, neben dem sich ein Verkaufswagen mit frischem Obst postiert hat. Ich kaufe Kirschen und Erdbeeren, wasche diese mit der von mir mitgebrachten Selter und genieße eine entspannte Pause mit diesem Obst. Es schmeckt süß und saftig und ist einfach köstlich, sonnengereift und für deutsche Verhältnisse spottbillig. Ich sitze, entspanne und genieße. Nach dieser Obstmahlzeit ist mir schnell klar, dass es fast zu viel des Guten war, denn ich bin sehr satt, übersatt. Jedoch belastet Obst nur für kurze Zeit, ist gesund und gibt mir Kraft für den Rest des Weges.
In Azoa de Baixo angekommen, sehe ich drei ältere Leute auf dem Bürgersteig zusammenstehen, wobei einer der Männer einen Stock in der Hand hält. Beim genaueren Hinsehen stelle ich fest, dass sich zu ihren Füßen eine lebendige Schlange ringelt, grün-grau meliert, fünf Zentimeter dick und mindestens einen Meter lang. Ein wenig bin ich erschrocken, dass sich offensichtlich sogar hier in den Ort eine Schlange vorgewagt hat. Jedoch will ich mir nicht mit ansehen, was die drei Personen mit der Schlange machen und gehe schnell weiter. Wenig später wird meine Aufmerksamkeit auf eine weiße Kirche, „Eglise de la Conception“, gelenkt, die durch ihre vielen Azulejos besonders schön ist.
Kurz hinter dem Ort verändert sich mein Weg: Zwar laufe ich noch immer auf überwiegend asphaltierten Strecken, aber mein Weg verläuft nicht mehr geradlinig, sondern kurvig und ist heute mit einer Berg- und Talbahn vergleichbar. Rund herum gibt es verschiedenartigen Baumbewuchs, so dass ich den von den Bäumen gespendeten Schatten und die Ausblicke in den „Urwald“ genieße, bei dem mich immer wieder Vogelgezwitscher in allen Variationen begleitet.
Hinter Advagar gibt es wieder Sandboden, welcher zwar staubig ist, jedoch für die Füße viel angenehmer zu belaufen ist als Asphalt. An einer Wegkreuzung sitzt ein alter Mann im Schatten eines Baumes, bietet mir auf einem Stein eine Sitzpause im Schatten an und führt eine freundliche Konversation mit Gesten. Ich fühle mich gastfreundlich aufgenommen und genieße eine Trinkpause, unter dem Baum sitzend. Als ich mich dann nach etwa einer Viertelstunde wieder auf den Weg mache, schüttelt der alte Mann nur ungläubig den Kopf: Er wundert sich, warum ich bei dieser Hitze weiterlaufen will.
Sowohl in Avagar als auch in Santos raste ich in einer Bar um zu trinken: Mit jeweils eineinhalb Litern Wasser muss mein Körper immer wieder mit Flüssigkeit versorgt werden. Und trotzdem – in einer Mittagshitze von vierzig Grad und mehr entscheide ich mich, bis zur Endstation für heute für die letzten 4,5 Kilometer den Bus zu nehmen. Hier frage ich mich durch und ich habe Glück, dass ich zeitnah zehn Minuten später für 1,30 € nach Arneiro das Milharicas in die Nähe der einzigen dort befindlichen Unterkunft fahren kann. Ich erhalte dort ohne Probleme ein Zimmer und fühle mich als einziger Gast sehr willkommen – keine weiteren Pilger in Sicht.
Hier kann ich nun heute einen großen Teil meiner Wäsche im Garten waschen und trocknen, eine ausgiebige Mittagsruhe schlafend genießen und den restlichen Nachmittag draußen im Garten sitzend verbringen. Ich fühle mich sehr zufrieden und bin bald wieder gut erholt und merke auch, dass nach dem gestrigen langen Tag so allmählich meine Kraft wieder zurückkommt. Und ich überlege, ob ich nicht künftig morgens noch früher losgehen soll, um der Mittagshitze auszuweichen, um möglichst in der Kühle des Morgens viele Kilometer meiner täglichen Wegstrecke zu schaffen. Wenn ich das Leben in den portugiesischen Dörfern betrachte, kann ich feststellen, dass sich zwischen 12 und 15 Uhr niemand von der Bevölkerung der Sonne aussetzt, zu dieser Zeit gibt es nur ein Leben in geschlossenen, verdunkelten Räumen oder draußen im Schatten sitzend. Ich muss also auch für mich, die ich diese Hitze nicht so gewohnt bin, nach anderen Lösungen suchen.
Das Auffinden von Quartieren ist und bleibt eine Kunst, die jedoch im Wesentlichen erlernbar ist. Im Reiseführer für meinen jeweiligen Weg, hier in meinem französischen Reiseführer von Gerard du Camino, habe ich eine Vielzahl von Tipps für Übernachtungen, die sich nach meiner Erfahrung sehr gut eignen, da sie meist zentral am Weg liegen und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen. Sollte jedoch mein Reiseführer keine brauchbaren Tipps enthalten, gehe ich stets in die Zentren der Ortschaften, wobei ich mich meist an den Kirchen der Ortschaften orientiere. Von dort aus beginnend, nutze ich die Hinweise, die mir vielfach von den Touristeninformationen gegeben werden, oder frage mich von dort aus durch. Sollte das alles nicht möglich sein, kann man in jeder Bar nach einem Quartier fragen, zumal viele der Bars und Restaurants auch Zimmer vermieten.
Nach dem heutigen Tage geht es mir gut, ich bin ausgeruht, habe keine Blessuren und auch keinen Muskelkater mehr. So fühle ich mich bestärkt, dass meine Entscheidung, heute den Bus zu nehmen, richtig war: Ich sorge für mich und versuche nur insoweit an meine Grenzen zu gehen, dass ich mich besonders am Anfang meiner Pilgerreise nicht überfordere.
Gegen Abend laufe ich durch den kleinen Ort, um in der etwas entfernten Gaststätte zu essen. Ich erhalte ein einfaches, preiswertes Mahl, esse reichlich und bin danach nur noch müde. Als ich mich auf den Weg zurück zu meinem Quartier mache, geht gerade die Sonne unter, ca. eine Stunde früher als bei uns in Deutschland, und ich freue mich, dass ich noch im Hellen mein Zimmer erreichen kann.
Dann, im Bett liegend, sehe ich in meiner Erinnerung die Landschaften, durch die ich heute gewandert bin, und ich bin gespannt auf alle Erlebnisse, die mir der morgige Tag bringen wird.
8. Tag: 31.5.2012, Arneiro das Milharicas – Minde (18,5 km)
Heute Morgen gibt es Frühstück: Ab 7.30 Uhr erwartet mich mein Gastgeber zusammen mit seiner Frau an einem fürstlich gedeckten Kaffeetisch: Toast, Schinken, Käse, Marmelade, Kaffee, Milch, es ist an alles gedacht. Ich fühle mich liebevoll umsorgt, königlich behandelt und bin mit dem Start in diesen Tag sehr zufrieden. Wir haben eine bruchstückhafte Konversation auf Englisch, wobei mir mein Vermieter erzählt, dass die letzten Pilger aus Österreich, Italien, Spanien, Korea, Vietnam, Kanada und anderen Ländern kamen. Ich bin schwer beeindruckt. Also, auch dieser Pilgerweg ist international und wird nicht nur von Europäern begangen. Beim Verabschieden per Handschlag schenkt mir mein Gastgeber noch einen Schlüsselanhänger mit einem Foto von seiner Unterkunft – ich bin erfreut. Mir tut diese freundliche, liebevolle Anteilnahme gut, die Wünsche für einen weiteren guten Pilgerweg berühren mich. Hier in der Fremde – weitab von Zuhause – gibt es eine herzliche Gastfreundschaft, die mir sehr gefällt.
So mache ich mich heute gegen 8 Uhr auf meinen Weg, laufe dem noch angenehm kühlen Morgen entgegen. Heute verläuft mein Weg bergig, häufig auf Nebenstraßen auf Asphalt, aber auch immer wieder auf schmalen Wegen direkt in der Natur. Ich sehe Windmühlen, die leider nicht mehr intakt sind, und immer wieder ergeben sich herrlich Ausblicke auf weite Landschaften mit vereinzelten Bäumen, mit weit abliegenden Ortschaften. Immer wieder treffe ich auf meinem Weg große Ansammlungen von Olivenbäumen, die hier bereits seit vielen hundert Jahren kultiviert werden. Heute haben meine Wege in der Natur wieder Steine – die mir von den Wegen auf anderen Caminos, die ich bereits gelaufen bin, so vertraut sind.
In den kleinen Orten, die ich auf meinem Wege passiere, gibt es immer wieder frei laufende Hunde, kläffend und mich häufig aggressiv verfolgend. Hier bin ich jedes Mal wieder froh, dass ich durch meine Walking-Stöcke etwas in der Hand habe, um mich im Notfall zu verteidigen.
Schließlich erreiche ich den Nebenverlauf des Rio Aviala, kann dort