Verzehre mich nach deiner Liebe
Ach, wenn ich dich doch wiedersähe
Ach, wenn ich doch nicht einsam bliebe
Mein Herz schlägt für des Lebens Süße
Allein, was bleibt? Nur tote Füße …
Die Füße waren zu viel gewesen. Sie ragten unter dem Tisch hervor, fett, fleckig, stinkend. Drei Wochen hatten die Füße dort gelegen, wie man später herausfand. Da aber saß Paula Petrova schon in einer Nervenklinik in Marienheide.
Eigentlich hatte sie an jenem Abend im Frühjahr nur einer Bekannten unter die Arme greifen wollen, die Hilfe brauchte bei der Entrümpelung einer Messi-Wohnung. Und wenn jemand Paula um Hilfe bittet, dann ist sie zur Stelle.
Also war sie nach Feierabend im Waldhotel in Marienheide, wo sie seit Jahr und Tag und ohne einmal krank gewesen zu sein als zuverlässige Reinigungskraft arbeitete, nach Gummersbach gereist, um mit der Bekannten die Wohnung ihres Vaters leer zu räumen, der dort jahrelang gelebt hatte.
Nein, er hatte gehaust.
Paula hatte nie zuvor eine Messiwohnung betreten. Sie schwor sich danach: Sie würde das auch nie wieder tun. Schon beim Eintreten in die völlig verwahrloste Bude hatten die beiden Frauen den Atem angehalten, so widerlich hatte es darin gestunken. Aber wer hatte die toten Füße unter einem völlig vermüllten Wohnzimmertisch entdeckt? Sie natürlich. An den Füßen hing auch noch was dran, ein fetter alter Kerl im weißen Unterhemd, aber allein die Füße waren schon zu viel gewesen für sie.
Nicht, dass Paula Petrova zartbesaitet wäre. Im Waldhotel in Marienheide bekam sie so manch gruselige Gräueltat im Oberbergischen Land mit.
Sogar in dem schaurig-schönen Buch „Morde und andere Gemeinheiten“ hatte sie schon ihren Auftritt gehabt und durfte darin einige dieser Geschichten zum Besten geben.
Aber so nah wie in dieser Schmuddelbude war sie dem Tod noch nie gekommen. Sie hatte ihn ja geradezu entdeckt! Danach hatten sie fürchterliche Albträume heimgesucht. Nach zehn schlaflosen Nächten hintereinander hatte sie beschlossen: So kann es nicht weiter gehen. Sie meldete sich im Waldhotel krank und wies sich selbst ein.
Jetzt sitzt sie hier, im hübschen Garten der Klinik. Und was hat der Therapeut ihr verordnet? Schreibtherapie! Gerne in Gedichtform! Ausgerechnet.
Und wenn ihr dazu noch die ein oder andere nette Geschichte einfällt … nur raus damit!
Na super: Schreiben als Therapie.
Obwohl, warum eigentlich nicht? Machen die meisten Autoren ja auch, oder? Und mal ehrlich: Die haben doch sowieso alle einen an der Klatsche.
Daniel Juhr
Pommes mit Ketchup
Der Tod kommt oft auf leisen Sohlen,
schlägt einfach zu, ganz unverhohlen.
So kann im schönsten Sonnenschein
ein Leben flugs zu Ende sein.
Bist du dran schuld, sei auf der Hut!
Denk dir was aus für all das Blut.
Fall bloß nicht auf, kommt gar nicht gut!
Denn dumm ist der, der Dummes tut.
Als Paul mit der Brust in die Mistgabel fällt, bohrt Edgar gerade in der Nase. Fritz nicht, der musste mal und hatte keine Lust oben aufs Schlossklo zu gehen. Dabei dürfen sie da machen, das hat ihnen die Tante aus dem Schlosssekretariat sogar gesagt. Aber was soll’s, hat Edgar gedacht, als Fritz aus dem Rosengarten heraus an einen der riesenhaften Bäume getrottet ist und einfach mal losgestrullt hat. Er wollte noch rufen: „Ey, Fritz, da darf man doch nicht einfach hinstrullen“, aber da war die Buxe schon offen.
Auch gut, dann glotzt der Idiot wenigstens woanders hin, hat Edgar gedacht und sich endlich damit befasst, den dicken Bullemann zu entfernen, der ihn schon seit heute Morgen gestört hat. Fritz mag es nicht, wenn einer popelt, so wie Edgar es nicht mag, wenn einer einfach an Bäume strullt.
Was sie beide gar nicht mögen, sind Arbeitsunfälle. Da hat man anschließend immer so einen Rattenschwanz an Papierkram zu machen. Da reicht schon ein blauer Daumen, ein eingerissener Fingernagel oder ein angestauchter Arm, und die von der Berufsgenossenschaft machen eine Welle, da machst du dir aber kein Bild von.
Fritz und Edgar arbeiten seit letzten Sommer für diese Gärtnerei oben aus dem Industriegebiet. Ist so eine 1-Euro-Job-Nummer. Die wievielte eigentlich? Edgar weiß es nicht mehr. Aber so rumgärtnern ist eigentlich ganz entspannend, da biste meistens an der frischen Luft, und mit dem Fritz kann man auch gut arbeiten. Der ist so geil ehrgeizig. Da kann Edgar auch mal langsamer machen, das merkt der Fritz gar nicht, der erledigt dann einfach den Rest. Nur, wenn sich einer wehtut, das ist dann halt blöd. Fritz und Edgar hatten in den ersten drei Monaten sieben solcher Fälle, denn: Sie sind ja keine echten Gärtner, sondern eigentlich Lkw-Fahrer, Kellner, Küchenhilfen, Straßenbauarbeiter, Lageristen, Klomänner und Videotheken-Fachverkäufer (aber nur Fritz war in der Erwachsenenabteilung, das will Edgar mal schön getrennt haben).
Jedenfalls können die beiden eine Menge, nur nichts so richtig. Aber für ein bisschen Umgraben und Blumen pflanzen hier oben im Rosengarten vorm Hückeswagener Schloss, da reicht es dicke.
Wirklich gemeldet haben sie auch nur die ersten sieben kleinen Unfälle. Edgars Platzwunde Ende November, als er auf die Harke trat, die Fritz wirklich saublöd hingestellt hatte, haben sie mal schön für sich behalten. Fritz hat eine Cousine zweiten Grades, die hat ihn zusammengeflickt und gut war’s. Auch Edgars gebrochenen linken Zeh Anfang März hat die Gute wieder hinbekommen. Haben die beiden auch mal schön gar nichts von erzählt in der Gärtnerei.
Seitdem ist es ziemlich entspannt gelaufen, auch die ganze letzte Woche schon. Sonne scheint, schön warm, trotzdem nicht viel los hier oben, da können sie in Ruhe machen.
Und dann fällt der Paul in die Mistgabel.
Während Fritz strullt und Edgar popelt. Schöne Scheiße.
Na ja, an sich ist der ja nicht einfach nur in die Mistgabel gefallen. Wäre auch gar nicht möglich gewesen. Denn die Mistgabel, da schwört Edgar Stein und Bein, hat er mit den Zinken nach oben schräg an die Wand des Pavillons gelehnt. Da kann man doch gar nicht reinfallen.
Aber der Paul, der kann so was. Wie kam Fritz nur darauf, den mitzubringen? Der Junge ist irgendein Neffe von ihm oder so was und hat gerade Sommerferien, und Fritz meinte, der kommt sonst eh nur auf dumme Ideen, den ziehen wir uns mal schön zum Arbeiten ran. Muss ja keiner wissen. Weiß auch keiner, Gott bewahre. Nicht, dass Edgar an den glaubt, aber sagt man ja so. Einfach um sicherzugehen. Vor zwei Wochen hat Fritz ihn das erste Mal mitgebracht, aber das war von all seinen Ideen, sagen wir mal, nicht so die Allergenialste, denn bis gerade eben konnte Paul eine Schaufel nicht von einer Mistgabel unterscheiden. Nach zwei Wochen, oh Mann.
Nee, hat Edgar jeden Tag gedacht, den Paul kann man echt keine Minute aus den Augen lassen. Hat Fritz aber gemacht. Ist ja strullen gegangen.
Auch das wäre gar nicht schlimm gewesen, wenn Paul einfach weiter die schönen neuen Rosen eingepflanzt hätte, die sie heute auf dem Zettel haben. Aber nein, irgendwas muss ihn geritten haben, damit plötzlich aufzuhören und erst mal den Riesenbottich mit Blumenerde, den Edgar nie und nimmer freiwillig irgendwo hintragen würde, hochzuhieven und woanders hinzustellen. Als hätte ihm das gerade einer ins Ohr geflüstert: Ey, du, Paul, stell doch einfach mal diesen 60-Kilo-Bottich woanders hin, ja, machste das? Nee, hat jetzt gerade eigentlich