Wie sich diese ortsfremde Versorgung der Bevölkerung mit der Präsenzpflicht der in der Kleinstadt niedergelassenen Ärzte und mit den Grundsätzen der Bereitschaftsdienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) verträgt, wird Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein.
Inzwischen wurde in der Sache von Elisabeth T. Klage gegen die Ärztin Dr. S. erhoben. Vorangegangen waren Appelle an die Ärztin, ihre Haftpflichtversicherung zu benennen, um im Interesse der schwerkranken Patientin eine außergerichtliche Verständigung zu versuchen. Die Ärztin hat keine dieser Anfragen beantwortet. Sie hat auch verschiedene gleichlautende Aufforderungen der zuständigen Ärztekammer ignoriert. Das hat sich fortgesetzt in der Reaktion auf die beim Landgericht eingereichte Klageschrift, in der Schadensersatz in Höhe von zunächst 50.000 Euro verlangt wurde. Diese Begrenzung der Ersatzansprüche erklärt sich aus dem Umstand, dass die Patientin mangels Rechtsschutzversicherung die Gerichtskosten und Anwaltsgebühren zunächst selbst aufbringen musste.
Von der Möglichkeit der Klageerwiderung hat die Ärztin keinen Gebrauch gemacht. Sie hat auch weder einen Anwalt ihres Vertrauens eingeschaltet noch eine eventuell hinter ihr stehende Haftpflichtversicherung unterrichtet, so dass das Landgericht schließlich ein Versäumnisurteil gegen sie erließ. Sie wurde dazu verurteilt, die verlangten Schadensersatzforderungen in Höhe von etwa 50.000 Euro zu zahlen und den gesamten materiellen und immateriellen Zukunftsschaden der Patientin zu übernehmen.
Dieses Urteil wurde der Ärztin zugestellt. Sie hatte die Möglichkeit, ab Zustellung binnen zwei Wochen Einspruch einzulegen. Sie hat auch das nicht getan, so dass das Urteil rechtskräftig wurde.
Das Verfahren zur Realisierung der vom Landgericht zuerkannten Schadenersatzansprüche endete mit einem Fiasko. Da die Ärztin auf die Zahlungsaufforderung nicht reagierte, wurde der Gerichtsvollzieher mit der Zwangsvollstreckung beauftragt. Am 12. September 2008 wurde sie im Rahmen eines Vertretungsdienstes in einer Arztpraxis von dem – unangemeldet erschienenen – Gerichtsvollzieher mit der Pfändung konfrontiert. Die Ärztin erklärte in Form einer Eidesstattlichen Versicherung, über keinerlei pfändbare Habe zu verfügen. Die geringen Einkünfte aus dem Vertretungsdienst würden auf das Konto ihrer Mutter überwiesen (um sie der Pfändung zu entziehen). Sie erklärte außerdem, dass sie über keine Berufshaftpflichtversicherung verfüge.
Erstmals ist auf diese Weise publik geworden, dass Ärzte nicht unbedingt eine Berufshaftpflichtversicherung unterhalten müssen, die für Behandlungsfehler aufkommt. Der Abschluss einer solchen Versicherung wird ihnen zwar in den Berufsordnungen und Standesrichtlinien empfohlen, sie sind aber nicht dazu verpflichtet. Weder Gesetze noch Verordnungen, wie zum Beispiel die Approbationsordnung, machen die Zulassung des Arztes zur Ausübung seines Heilberufs vom Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung abhängig. Auch wenn eine solche Versicherung besteht, kann sie vom Versicherer, zum Beispiel wegen Beitragsrückständen, aufgekündigt werden, ohne dass dieser Umstand bekannt wird.
Diese Umgehung der Versicherungspflicht wird inzwischen in Gerichtsentscheidungen mehr und mehr angesprochen, wenn Patienten versuchen, Ärzte für Kunstfehler haftbar zu machen. Der Gesetzgeber ist dringend aufgefordert, eine solche Versicherungspflicht mitsamt regelmäßiger Kontrollen einzuführen. Bei anderen Freiberuflern wie Anwälten, Notaren, Architekten oder Steuerberatern ist dies teilweise längst der Fall. Das neue Patientenrechtegesetz schreibt aber immer noch keine Versicherungspflicht vor.
Elisabeth T. ist inzwischen verstorben, weil sie den Belastungen der Herzimplantation nicht gewachsen war. Dr. S. übt ihren Beruf weiter aus, weil sich die Ärztekammer nicht zu einem berufsständischen Verfahren entschließen konnte. Dass sie inzwischen eine Berufshaftpflichtversicherung hat, kann man ihren jetzigen Patienten nur wünschen.
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