Doch keine der Methoden ist marktfähig. Deshalb gelten die Geruchsmedien größtenteils als unrealistische Spielerei. Trotzdem hat der Medienkonsument auch haptische Eindrücke. Sie können beispielsweise die Druckerschwärze Ihrer Zeitung riechen und auch das Papier in den Händen fühlen. Sie könnten sie sogar essen. Doch selbst wenn sie Ihnen schmecken sollte, erlangen Sie weniger Erkenntnisse über die Welt, als wenn Sie das Gedruckte darin lesen. Zur Vorbereitung des Medientrainings konzentrieren wir uns deshalb auf das Sehen und das Hören.
Das Auge selber sieht keine Bilder. Das Ohr hört keine Töne. Beide sind, wie alle anderen Sinnesorgane auch, nur dafür entwickelt, dass sie Signale aufnehmen können. Im Fall der Medienkommunikation visuelle und akustische Signale. Diese werden in eine Art Code übersetzt und durch neuronale Verbindungen an das Gehirn geschickt. Das ist schon der ganze Job der Sinnesorgane. Die neuronalen Codes sind übrigens neutral und sogar bei allen Sinnesorganen gleich. Das Gehirn arbeitet wie eine Art elektrochemischer Apparat, der die Welt selbst nicht wahrnehmen kann. Aber es kann diese Codes wie eine Sprache verstehen, sie identifizieren, interpretieren und einem Sinnesorgan zuordnen. Aus Millionen von Informationen zimmert es sich dann eine Vorstellung der Wirklichkeit zusammen. Wir glauben dann, dass die Welt tatsächlich objektiv so ist. Aber das ist wohl ein Trugschluss. Denn das wichtigste Hilfsmittel beim Zuordnen und Verstehen der Codes ist unser Gedächtnis. Erst das Gedächtnis stiftet den Sinn, nachdem jedes Signal mit vorherigen Informationen verglichen und verknüpft worden ist. So nehmen wir alle die Wirklichkeit ganz unterschiedlich wahr. Denn in jedem Kopf sind individuelle Kombinationen von Vorerfahrungen abgespeichert. Geschlecht, Alter, Herkunft, Bildung, Gesundheitszustand, körperliche Eigenarten, familiäre Traditionen und alle Erlebnisse eines Menschen beeinflussen jeweils, wie ein Wahrnehmungssignal vom Gehirn verstanden und interpretiert wird. Und davon hängt es ab, welche Gedanken und Gefühle unser Kopf daraus bastelt.
Wahrnehmen und Verstehen ist also ein hochkomplizierter Vorgang. Wir „denken“ uns die Welt demnach eher aus einer Vielzahl von Faktoren zusammen. Ob sie wirklich so ist, wie sie uns erscheint, bleibt weiterhin die Lieblingsfrage der Philosophen. Wenn man all dies berücksichtigt, kann man von den Medienmachern nicht ernsthaft erwarten, dass sie uns die Wahrheit über die Wirklichkeit berichten – selbst wenn sie sich um eine objektiv richtige Berichterstattung bemühen.
Fast alle Journalisten wissen um die Macht der Bilder. Das Verständnis von Informationen hängt nämlich ausgesprochen stark von ihrer Visualisierung ab. Der britische Sozialpsychologe Michael Argyle fand schon im vergangenen Jahrhundert heraus, wie das Zusammenspiel von Wahrnehmung und Verstehen funktioniert. In einer Studie untersuchte er den Wirkungsgrad von sinnlichen Reizen bei sprechenden Menschen. Das Ergebnis ist beeindruckend: Die Wirkung hängt zu ca. 93 % von den nonverbalen Verhaltensweisen ab. Wenn wir einem Menschen zuhören, unterscheidet unser Gehirn nicht zwischen einer realen Begegnung und einer virtuellen. Ein Fernsehinterview wird auf die gleiche Weise verarbeitet wie ein persönliches Gespräch im direkten Kontakt.
Es ist so wichtig, in den Medien gute Gefühle zu erzeugen.
Eine gängige These lautet: Zu ungefähr 55 % ist unser Gehirn mit dem beschäftigt, was wir mit unseren Augen sehen. Gestalt, Körperhaltung, Kleidung, Aussehen, Blick sowie Mimik und Gestik werden erfasst und verarbeitet. Zu etwa 38 % interessiert sich unser Gehirn für die akustischen Signale, die unsere Ohren empfangen. Die Art des Sprechens, die Tonlage, der Tonfall, Tempo und Stimmqualität werden registriert und bewertet. Und dann bleibt beim Zuhören noch ein kleiner Rest von ca. 7 % Aufmerksamkeit übrig, den unser Kopf den Inhalten widmet.
Ob Sie das beruhigend oder erschreckend finden, müssen Sie selbst entscheiden. Jedenfalls bildet das menschliche Gehirn mit ungefähr dieser Gewichtung ein Urteil über den Gesprächspartner. Dabei kann sich unser Gehirn schnell langweilen. Eine monotone Sprechweise oder ein ausdrucksarmes Gesicht wirken einschläfernd. Um bei der Flut von Interviews, die täglich im TV oder im Internet zu sehen sind, nicht unterzugehen, bedarf es also einer gewissen Signalwirkung. Gleiches gilt für jedes Gespräch. Folglich auch für Interviews mit dem Zeitungsreporter, die nicht aufgezeichnet und gesendet werden. Denn auch die Gehirne von Journalisten verarbeiten Wahrnehmungssignale wie oben beschrieben. Die Eindrücke, die Sie verbal und vor allem nonverbal beim Journalisten hinterlassen, werden mit Sicherheit beeinflussen, wie er über Sie berichtet. Denn bei allem Bemühen um Objektivität und Neutralität bleiben Journalisten Menschen, die sich von diesem Mechanismus ihres Oberstübchens nicht befreien können. Wir Menschen tragen alle zu fast 99,9 % den gleichen genetischen Code in uns. Reizaufnahme und Verarbeitung funktionieren deshalb bei uns allen nahezu identisch. Auch die Schlüsse, die unser Gehirn aus den Signalen zieht, ähneln sich. Nur deshalb ist es möglich, dass Menschen einander überhaupt verstehen. Dass wir zu ähnlichen Einschätzungen und Meinungen gelangen.
Nur beim Gewichten, Bewerten und Interpretieren von Signalen arbeitet jedes Gehirn individuell. Denn hier kommen die gesamte Erfahrungswelt eines jeden, die Bildung und auch die jeweilige momentane Verfassung ins Spiel. Hier geht es um Gefühle. Deshalb können wir Kommunikation heute nicht mehr ohne die dazugehörigen Emotionen betrachten. Das gilt insbesondere für Medienkommunikation, weil Bilder und Schlagworte hier einen besonderen Platz einnehmen.
Konzentrieren Sie sich beim nächsten Nachrichtenschauen im Fernsehen auf Ihre Empfindungen. Sie „mögen“ bestimmte Moderatoren, andere „mögen“ Sie nicht. Ihnen „gefallen“ einige Gesichter oder Stimmen. Sie „finden“ einen Politiker glaubwürdig oder eben nicht. Sie haben „Lust“ weiterzuschauen oder Sie können jemanden „nicht aushalten“.
Das alles sind Ausdrücke von emotionalen Reaktionen – produziert von Ihrem Gehirn. Der tatsächliche Wahrheitsgehalt einer Aussage und die Vertrauenswürdigkeit eines Sprechers sind damit weder bewiesen noch widerlegt. Es handelt sich lediglich um Bewertungen, die sich in Form von Gefühlen äußern. Wir alle nehmen diese Bewertungen ständig vor. Natürlich werden auch wir selbst regelmäßig auf diese Weise emotional beurteilt. Der Zeitungsreporter kann sich davon während seines Interviews mit Ihnen genauso wenig freimachen wie Sie.
Aus diesem Grund ist es so wichtig, in den Medien gute Gefühle zu erzeugen. „Gut“ meint hier ausdrücklich nicht das Vortäuschen falscher positiver Tatsachen. „Gut“ im Sinne eines „guten Eindrucks“ bezieht sich auf Eigenschaften wie Glaubwürdigkeit, Sympathie und Kompetenz. Wer es schafft, der Medienöffentlichkeit diese Facetten von sich zu zeigen, wird positiv wahrgenommen und genießt öffentliche Akzeptanz.
Forschungsergebnisse der angewandten positiven Psychologie zeigen übrigens, dass der Effekt eines negativen Auftritts oder einer einzigen negativen Zeitungsmeldung dermaßen stark ist, dass mehrere positive Meldungen nötig sind, um beim Zuschauer oder Leser wieder eine ausgeglichene Bewertung herzustellen. Andersherum geht es viel schneller. Evolutionsbedingt ist das menschliche Gehirn eher bereit, Negatives zu glauben, trotz einer positiven Vorerfahrung. Dieses eingefleischte Misstrauen hat unseren Vorfahren in unzivilisierten Zeiten das Überleben garantiert. Heute ist diese übergroße Vorsicht glücklicherweise nicht mehr in jeder Situation erforderlich. Aber unser Reaktionsmuster hinkt der Entwicklung der Welt ein wenig hinterher. Ein Grund mehr, sich angemessen zu verhalten, im richtigen Leben wie in der medialen Öffentlichkeit. Und ein Grund, sich mit den Kapiteln 12 und 13 über Stimme und Körpersprache zu befassen.
→ KAPITEL 12, Seite 99
→ KAPITEL 13, Seite 105
2. KAPITEL
Wer sind eigentlich „die Medien“?
Gute Frage! Schwierige Antwort!
Deutschlands Medienlandschaft ist einzigartig, vielfältig und abwechslungsreich. Sie bietet jede Menge Möglichkeiten, selbst irgendwo in den Medien aufzutauchen – aber damit auch jede Menge Gelegenheiten, sich um Kopf und Kragen