Planetenschleuder. Matthias Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Falke
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783957770288
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waren.«

      »Dann erklären Sie uns das mal«, sagte Wiszewsky, der während der letzten Minuten verdattert von einem zum anderen gesehen hatte. Jetzt schlug er Svetlanas Hand weg, die gerade sein rechtes Ohr liebkost hatte; das war immer das Zeichen, das er sich besonders konzentrieren musste.

      »Mit Erklärungen kann ich da kaum dienen«, nuschelte Reynolds. »Das Theorem konnte bis jetzt weder bestätigt noch falsifiziert werden. Und selbst wenn wir seine Gültigkeit annehmen, beschreibt es nur bestimmte Phänomene, bzw. sagt diese voraus. Realisieren ließen sich diese bisher ebenfalls nicht, und wenn sie eintreten sollten, wüssten wir nicht, warum dies so wäre. Chessovs Satz böte lediglich ein mathematisches Gerüst zu ihrer Beschreibung.«

      »Es scheint jedenfalls hinzuhauen«, brummte Dr. Rogers. »Aber ich will natürlich Ihrer Theoriebildung nicht vorgreifen.«

      »Wir wissen darüber viel zu wenig«, beschleunigte Reynolds seinen Rückzug. »Unsere Experimente in dieser Richtung haben wir vor mehr als zwei Jahrzehnten eingestellt. Zufällig nahm ich an der Kommissionssitzung teil, die das Ende des unierten Gravitationsprogramms zu beschließen die Ehre hatte, noch bevor dieses irgendwelche Resultate hatte zeitigen können. Ich legte natürlich meinen Protest ein; Sie finden ihn in den Akten des Wissenschaftlichen Rats.«

      »Ha!«, brüllte Rogers plötzlich und schmetterte sein Glas auf den Boden. Da es aus bruchfestem Elastil bestand, prallte es zurück und flog in spitzem Winkel durch den Raum. Die Hostess, die sich gerade genähert hatte, um die leeren Behältnisse einzusammeln, suchte ihr Heil in kopfloser Flucht.

      »Sie meinen das Annihilationsprogramm?!«, schrie er. »Entschuldigen Sie ...«

      Wenn wir das letztere auf seinen Ausbruch gemünzt hätten, wären wir allerdings schief gewickelt gewesen. Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und tobte weiter vor sich hin.

      »Ich bin die ganze Zeit auf dem Schlauch gestanden«, feixte er und strahlte uns cholerisch an.

      »Sie haben recht«, stimmte Reynolds zu. »Das Annihilationsprogramm, zu dem es nie gekommen ist, da es noch vor dem Eintritt in die praktische Phase von der Liste der förderungswürdigen Projekte gestrichen wurde.«

      »Und Sie nahmen an der fatalen Sitzung teil?«, fragte Rogers grollend.

      »Ich gab meinen Widerstand zu Protokoll«, nickte unser WO ungerührt. »Natürlich wurde ich überstimmt. Es gab nur eine Gegenstimme und ein oder zwei Enthaltungen.«

      »Ich kenne das Protokoll«, erwiderte der Oberste Planetologe. »Die offizielle Begründung lautete, dass diese Entwicklungen zu viel Zeit benötigen würden; vorsichtshalber stieg man gleich aus ihnen aus.«

      Ich entsann mich noch gut dieser Zeit, die von ungeheurer Dumpfheit erfüllt gewesen war. Von solchen militärischen Geheimprojekten ahnten wir angehenden Offiziere damals noch nichts, aber es wurden auch sonst allerorten die Mittel gestrichen und gekürzt. Zum Glück befand sich die MARQUIS DE LAPLACE damals gerade auf einer mehrjährigen Exkursion zur Vega, sonst hätte man die Hälfte ihres Personals abgezogen und zur Wiederaufforstung oder in der Kinderbetreuung eingesetzt. Es war wirklich schlimm: Während die Menschheit in nie vermessene Räume aufbrach und neue Horizonte öffnete, regierten auf der Erde spießige und verklemmte Kleingeister. Glücklicherweise war diese Phase auch wieder vorübergegangen, aber ihre Versäumnisse lagen bis heute als schwere Hypothek auf uns. Das trat nicht zuletzt in diesem Gespräch zu Tage.

      Andererseits, überlegte ich noch, war es auch eine sehr glückliche Zeit gewesen. Ich hatte Jennifer kennen gelernt und wenig später waren wir zu unserem ersten gemeinsamen Flug aufgebrochen. Das private Glück gedieh also auch in politisch unfruchtbaren Zeiten, es wurde vielleicht sogar durch sie begünstigt, während die großen historischen Wendemarken oft genug von Krieg und Zerstörung, Tragödien und Katastrophen begleitet wurden. Beides ließ sich nicht gegeneinander aufrechnen, und deshalb durfte das Glück des Einzelnen nicht im Mittelpunkt strategischer Überlegungen stehen.

      Jennifer musste meine Gedanken gelesen haben, oder die gleichen Stichworte hatten bei ihr ähnliche Erinnerungen freigesetzt: Jedenfalls lächelte sie mir von ihrem Platz an Laertes' Seite zu und deutete eine Kusshand an.

      »Die Jahrzehnte«, war Rogers unterdessen fortgefahren, »die man damals als unzumutbar lang empfunden hatte, sind mittlerweile abgelaufen; wir könnten jetzt über die Technologie verfügen, die man damals zu entwickeln für unnötig gehalten hat.«

      »Nichts vergeht schneller als die Zeit«, sagte Laertes.

      »Das ist wahr«, gurrte Svetlana, deren weißrussischer Akzent verführerisch rollte. Sie war auf Wiszewskys Knie geklettert und saß nun wie ein Schulmädchen in seinem Schoß, während sie liebevoll sein ergrautes Haupt tätschelte.

      Wiszewsky, der es selbst bei geheimen Sitzungen ablehnte, auf die Gegenwart der Komarowa zu verzichten, räusperte sich und ergriff zur Ablenkung das Wort.

      »Wenn ich Sie recht verstanden habe, meine Herren, handelt es sich bei diesem, bei besagtem Theorem um ein künstliches Verfahren, nicht um ein natürliches Phänomen.«

      »Das ist vollkommen richtig, Sir«, beeilte Rogers sich zu sagen.

      Reynolds wiegte nachdenklich den Kopf.

      »Jedenfalls«, wandte er ein, »ist es bisher nicht möglich gewesen, das Auftreten von Annihilationsphänomenen in der Natur nachzuweisen.«

      »Was wohl auf dasselbe hinausläuft«, versuchte Frankel sich rasch zu profilieren.

      »Behalten Sie Ihre Haarspaltereien für sich«, fuhr der Commodore fort. »Falls es sich bei dem von uns beobachteten und erlittenen Vorgang also tatsächlich um ein solches Phänomen gehandelt haben sollte, müsste es von jemandem herbeigeführt worden sein.«

      »Korrekt«, bellte Rogers, »und Sie können gleich hinzufügen, dass kein Mitglied der Union über eine solche Technologie verfügt.«

      »Stehen wir also vor der Frage«, schloss Wiszewsky und fuhr den Zeigefinger aus, »wer steckt dann dahinter?«

      Laertes nickte dem Kommandanten anerkennend zu. Vermutlich richtete sich dieser Zuspruch vor allem auf die saubere und schnörkellose Durchführung des Syllogismus, als dass damit schon die Freude über ein Ergebnis verbunden gewesen wäre. Aber es war doch zur Kenntnis zu nehmen, dass Wiszewsky sich ermannen und demonstrieren konnte, dass er logischen Denkens fähig war.

      »Dann war es tatsächlich ein Beschuss«, kreischte Jill auf, als sie den Vortrag zu Ende gehört und verdaut hatte.

      »Genau, mein Kind«, sagte Dr. Rogers finster. »Und es gibt nur eine Macht in der Galaxis, der die technischen Ressourcen zuzutrauen sind und die auch über die Perfidie verfügt, sie einzusetzen.«

      Die Atmosphäre im Messeraum gefror. Das freundliche Weiß seiner Wände wurde fahl und eisig. Wie wenn Nebel sich über einen Gletscher schiebt, wurde das Licht zugleich matter und greller; es löste alle Konturen auf. Wir hörten die Klimatisierung summen wie einen einsamen Wind, der über eine Ebene streicht. In den Elastanverkleidungen knackten die Feldgeneratoren wie sprödes Eis.

      »Sie sprechen«, haspelte Lambert mit zitterndem Stimmchen, »von den Sinesern?«

      »Ich wäre vorsichtig mit solchen Anschuldigungen«, kam Jennifer einer Antwort Dr. Rogers' zuvor. Ihre Stimme war hart. »Seit der Schlacht von Persephone lebt die unierte Menschheit mit ihnen im Frieden, der im Vertrag von Lombok ...«

      »Erzählen Sie mir nichts von Persephone«, donnerte Rogers, der in letzten Sekunden dunkelrot geworden war. »Dieser Stillhaltefrieden, der ihnen unter dem Eindruck unseres militärischen Triumphes bei Persephone, an dem ich nicht ganz unbeteiligt war, abgetrotzt wurde, existiert für sie nur auf dem Papier, das sie genauso missachten wie alle anderen menschlichen Institutionen auch. Wer die Sineser kennt, und ich behaupte sie zu kennen, weiß, dass sie keine Sekunde zögern würden, diesen Vertrag zu brechen und ihre Schmach ungeschehen zu machen, wenn ihnen die Mittel dazu in Hand gegeben wären.«

      »Und Sie glauben«, fragte ich, »dass sie nun über