Matthias Falke
Der Actinidische Götze
© 2013 Begedia Verlag
© 2007 Matthias Falke
Umschlagbild - Alexander Preuss
Covergestaltung und Satz - Begedia Verlag
Lektorat - André Skora
ebook-Bearbeitung - Begedia
ISBN-13 - 978-3-95777-027-1 (epub)
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Der Autor:
Matthias Falke wurde 1970 in Karlsruhe/Baden geboren. Nach Abitur und Grundwehrdienst studierte er Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft und Philosophie an den Universitäten Karlsruhe und Freiburg/Breisgau. Seit 1999 ist er freier Autor, Herausgeber und Übersetzer. Sein Stück »Kassandra-Szenen« wurde 2007 beim Ersten Autorenwettbewerb des Sandkorn-Theaters Karlsruhe mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Nach Ausflügen in nahezu alle literarischen Gattungen und Genres konzentriert sich Falke in den letzten Jahren zunehmend auf die Science Fiction. Seine Texte wurden mehrfach für den renommierten Kurd-Laßwitz-Preis nominiert.
Falkes Novelle »Boa Esperanca« wurde 2010 mit dem Deutschen-Science-Fiction-Preis als Beste Kurzgeschichte ausgezeichnet.
Matthias Falke ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen. Er lebt in Karlsruhe.
Die ENTHYMESIS-Universum
Eine Science-Fiction-Saga in sieben Trilogien
1. Laertes
2. Exploration
- Explorer Enthymesis
- Ruinenwelt
- Der actinidische Götze
3. Gaugamela
4. Zthronmic
5. Tloxi
6. Jin-Xing
7. Rongphu
Musan
Das langgestreckte Becken des Febasees verlor sich in der grauvioletten Dämmerung. Das Südufer war flach, von Bungalows und den Ladenzeilen der kleinen Händler gesäumt. Winzige Inseln, die Pagoden und Tempel trugen, waren in die keilförmige Verbreiterung des Sees eingelassen, dessen Nordseite tief in das aufsteigende Gebirge eingeschnitten war. Hintereinandergestaffelte, steil aufragende Felswände, die sich in Abstufungen von Lavendel und Anthrazit verschatteten, gaben ihr das Gepräge eines nordischen Fjordes, und diese Kulisse wirkte bis zur idyllischen Südseite herunter, deren subtropischer Charme dadurch etwas Bedrohtes hatte. Das Gebirge selbst war unsichtbar, verschleiert von den abendlichen Wolken und dem Dunst, der über der tief eingeschnittenen Ebene lastete. Die Bougainvilleen auf der Veranda bildeten das Passepartout, durch das der Blick auf das verhangene Panorama hinausging. Die braunen Hügel und Vorgebirge verschwanden in ziehenden Nebelstreifen. Ab und an rollte das zerstückelte Echo eines mahlenden Donners über die Landschaft. Irgendwo dort hinten, viele Tagesmärsche entfernt, ging das allabendliche Unwetter nieder.
Der nahe Raumhafen hatte den Flugbetrieb schon lange eingestellt. Wegen der prekären Lage in der kilometertief eingesenkten Talschaft und der heiklen Windsysteme, die sich durch die riesigen Schluchten zwängten, konnte er nur an wenigen Stunden des Tages, meist am frühen Morgen, genutzt werden. Dann musste der gesamte interplanetarische Verkehr dieser Welt abgewickelt werden, denn der Tower von Feba City war der einzige auf diesem Planeten, und das trogförmige Febatal mit dem gleichnamigen See bot die einzige ebene Fläche in den verzweigten und zerklüfteten Gebirgszügen von Musan.
Selbst hier, an der Lake Side des Südufers, war das Klima rau. Mir fröstelte, als ich die paar Schritte über den sorgsam gepflegten Pala-Rasen bis zum Wasser hinunterging, um dort das letzte auberginenfarbene Scheiden des Tageslichts zu sehen und eine leichte Qat-Zigarette zu rauchen. Morgen früh würden auch wir diese Welt wieder verlassen, auf der wir drei Standardwochen zugebracht hatten und deren herber Charme mich noch gefangen hielt. Der blauleuchtende Rauch kräuselte sich in der windstillen Luft. Es war kühl und vollkommen ruhig. Ich hörte das Knistern der Glut, die sich langsam durch die getrockneten Qatblätter fraß. Zugleich spürte ich die Entspannung, die sich bis zu einer leichten Benommenheit vertiefte. Ein friedfertiges Glück erfasste mich wie eine Woge in einem seichten Meer, hob mich ein wenig an und bewirkte einen schwachen Schwindel. Erneut donnerte es hinter der Gebirgskette, die jetzt nachtschwarz und verwölkt waren. Von irgendwo war der Klang eines Erhus zu hören, des traditionellen Instruments der Musaner, dessen klagender Gesang sich wie eine zärtliche Berührung über meine träumerische Stimmung legte. Der letzte Abend. Die Schwermut, die darin liegt, dass das Glück zwar möglich, aber nicht von Dauer ist, umspülte mich wie eine traurige Musik, die nicht nur mit dem Gehör, sondern mit dem ganzen Körper wahrgenommen wird. Ich wollte nur dasitzen, die Augen schließen und mich meinen Erinnerungen überlassen, den Erinnerungen an diese Wochen des Aufenthaltes auf Musan, der noch nicht vorüber, aber doch schon mit dunkelglänzender Nostalgie umkleidet war. Nostalgie gegenüber der Gegenwart, die daraus entspringt, dass man sie nicht festhalten kann. Das ist das schlimmste: dass man zusehen muss, wie einem die Momente der Erfüllung wieder entzogen werden, wie sie einem zwischen den Fingern zerrieseln, sich auflösen wie der Rauch einer Zigarette in der Dämmerung und mitgerissen werden vom Wasser der Vergänglichkeit, das dort am reißendsten ist, wo es zu stehen scheint.
Ein leises, anschmiegsames Geräusch weckte mich. Ich wandte mich um. Jennifer kam über die Terrasse des Bungalows und durch die Wiese herunter. Sie trug nur ein durchscheinendes Negligé. Barfuss tänzelte sie durch das kurzgeschnittene Pala-Gras, das in diesem Klima sicher viel Pflege benötigte. Ihr Prana-Bindu-Training, das sie in den letzten Wochen aufgefrischt hatte, erlaubte es ihr, sich so gut wie unbekleidet durch den kühlen Abend zu bewegen, dennoch war ihr anzusehen, dass sie sich auf dieses Training besinnen musste, um den Aufenthalt im Freien auszuhalten. Verglichen mit den Höhenlagen von Loma Ntang herrschte hier die Idylle glückseliger Inseln, aber wirklich genießen konnte man es nach Sonnenuntergang nicht mehr. Sie hängte sich an meine Schulter, und wir sahen eine Weile gemeinsam über den See, an dessen Ufer jetzt die ersten Lichter aufflammten. Dann gingen wir wieder hinein, wobei sie mich sanft, aber doch drängend hinter sich herzog. Wir schlossen die Terrassentür, deren Polarisation sich sofort vertiefte. Der Bitumenkamin verbreitete eine angenehme Wärme. Jennifer knabberte an meinen Lippen, wobei sie etwas vor sich hinbrummte, was wie ein Tadel klang. Ich hatte während dieses Aufenthaltes die Qatraucherei wieder angefangen, aber auch das würde mit dem heutigen Tage enden. Dann schob sie mich von sich weg, bis sie eine Armeslänge Abstand hatte. Indem sie einen unsichtbaren Sensor berührte, verdunstete der hauchfeine Stoff von ihrer Haut. Nur noch ein mattweißer Nebelschleier umspielte ihre wohlgeformten Glieder.
Natürlich hatte sie es sich nicht nehmen lassen, das Shuttle selbst zu steuern. Grelles Licht stand durch die Sichtquarzscheiben herein, obwohl diese die Polarisation selbsttätig auf 50% vertieft hatten. Es war eine Welt der Extreme, auf der wir zur Landung ansetzten. Tagsüber glühende Hitze, Nachts brennender Frost. Brodelnde Basarstädte, religiöse Zentren, deren Ruf weit über ihren Heimatplaneten hinausdrang, und dazwischen endlose Gebiete der Einöde. Lebensfeindliche Hochgebirge, reißende Wildwasser, riesige Gletscher, und darin verloren die winzigen grünen Nadelstiche der künstlich bewässerten Felder, die sich auf Felsterrassen mitten in der steinigen Wildnis krallten und nur die wenigen Einwohner der kleinen Dörfer ernähren konnten. Der ganze Planet hatte nur einige zehntausend Bewohner, die in weit verstreuten Siedlungen lebten, in den Klosterburgen oder als Nomaden. Es gab keine Ozeane, keine Wälder, keine Ebenen. Ein einziges zusammenhängendes Gebirge bedeckte die Kruste des Planeten. Selbst aus den Eiskappen der Polgebiete brachen die spitzen Zacken steiler Berggipfel. Gewaltige Ströme aus schuttbedecktem Eis füllten die Täler. Aus der Luft sah es aus, als wälzten sich riesige graue Würmer durch einen scharfkantigen Untergrund. Nicht unbedingt ein Ambiente, um den honey moon dort zu verbringen. Und doch waren es unsere Flitterwochen. Am Tag zuvor hatten wir in der Offiziersmesse der MARQUIS DE LAPLACE geheiratet. Dr. Rogers, der Chef der Planetarischen Abteilung, hatte